Auf Klippen und Dünen, in Schlick und in Sand, An der Wimper der Woge sprizenden Schaum, Sah ich im Geiste mein Heimatland,
Das buchengrüne, in wachem Traum; Wenn im Sturme die Möve ängstlich schrie
Und des Leuchtthurms Licht durch den Nebel glomm, Kam fernher geweht eine Melodie,
Eine liebe, vertraute, und lockte mich: ,, Komm!"
Nun bin ich daheim, doch mein Herz ist schwer. In den Domen des heimischen Waldes träumt Meine kranke Seele vom ewigen Meer, Das zu weißem Geflock an der Klippe zerschäumt. Es rauschen die Kronen; die Grasmücke singt Durch die heimliche Stille, doch mir ist weh, Und lausch' ich den Stimmen des Waldes, so klingt Durch sie alle hindurch ein mahnendes: ,, Geh!"
Hier wird mir bange, hier ist es schwül. Ueber grüne Wogen mit Kämmen von Schnee Weht drüben erfrischend der Wind und kühl Und die Möve freischt und cs donnert die See. Dort war ich ganz und aus einem Guß, Hier bin ich zerrissen, krank und getheilt; Meine Lippe schmachtet nach einem Kuß
Ob Meer und Wind mir die Seele heilt?
Kaum hatte er das Buch wieder in die Brusttasche geschoben. als er auch die eiserne Parkpforte leise klirren hörte, und als er den Blick erhob, sah er sich Frau von Larisch gegenüber.
" Sie wußten, daß Sie mich erwarteten?" fragte sie mit einer leichten Befangenheit, die sie besser kleidete, als alle fecke Sicher heit, die sie bei früheren Anlässen entwickelt hatte.
Wolfgang nickte leicht mit dem Kopfe. Ich konnte wohl nicht in Zweifel darüber sein, da man Ihre Handschrift so leicht nicht vergißt. Sie hat etwas höchst Charakteristisches."
Wollen Sie mir Ihren Arm geben und mich tiefer in den Wald führen? Sie begreifen, daß ich jede Begegnung zu vermeiden wünsche; nicht nur soll, was ich Ihnen zu sagen habe, unter uns bleiben, sondern es ist auch am besten, wenn niemand ahnt, daß ich Ihnen einen Wink gegeben habe."
,, Nichts einfacher als das, gnädige Frau."
Er nannte sie zum erstenmale so und hatte die abgeschmackte Titulatur bisher stets geflissentlich vermieden, infolge einer Regung demokratischen Selbstbewußtseins, das lieber anstieß, als sich beugte. Frau von Larisch entging es nicht, daß er sich dieser Form bediente, und sie sah ihn überrascht und halb vorwurfs voll an.
,, Sie könnten die, gnädige Frau' auch heute beiseite lassen, denke ich. Nie war sie so überflüssig."
Wolfgang erröthete leicht; er mußte sich sagen, daß er im Unrecht war, und dieses Bewußtsein stimmte ihn wider Willen weicher.
" Ich würde mir in der That Vorwürfe machen müssen, wenn ich Sie vorsätzlich gekränkt hätte, denn ich bin Ihnen für Ihre gütige Absicht, mich zu warnen, den lebhaftesten Dank schuldig, und diese Dankbarkeit wird dadurch, daß Sie mir schwerlich etwas neues sagen und daß ich genau zu wissen glaube, vor wem Sie mich warnen wollen, gewiß nicht verringert. Sie wollen mich darauf aufmerksam machen, daß Herr Weinlich und Herr Rektor Stord mir auf Schritt und Tritt nachspüren und daß sie hoffen, mir einen geheimen Verkehr mit den Häuptern des sozial demokratischen Arbeitervereins nachweisen zu können, weil sie glauben, mich dadurch für hier unmöglich zu machen?"
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,, Sie sind ein Herenmeister, woher in aller Welt wissen Sie das?" lautete die betroffene Antwort.
Wolfgang lächelte. Lassen Sie das mein Geheimniß bleiben; ich bin zum Schweigen verpflichtet, wenigstens moralisch, und Sie werden mich dieser Pflicht nicht abtrünnig machen wollen."
"
Würde ich Glück damit haben? Ich werde den Versuch klüglich unterlassen. Uebrigens ist es am Ende kein so großes Wunder, daß Sie die Pläne Ihrer Feinde kennen, denn möglicherweise ist Herr Reftor Stord anderwärts nicht vorsichtiger gewesen, als uns gegenüber."
" Darf ich fragen, wen Sie unter diesem, uns' verstehen?" sagte Wolfgang, mit einem vergeblichen Versuch, die Spannung zu verbergen, mit der er auf die Antwort wartete.
" Ich will offner sein, als Sie es sind. Der Herr Rektor hat sich seines Vorhabens Fräulein Reischach, Fräulein Hoyer und mir gegenüber gerühmt und schien seiner Sache so sicher zu sein, daß ich ernstlich besorgt ward und es für meine Pflicht hielt, Sie
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vor Unvorsichtigkeiten zu warnen, zu denen Ihr Stolz Sie so leicht verführen könnte. Aber Sie scheinen ja sehr kühl über diese Intriguen zu denken und sich so sicher zu fühlen, daß Sie sich berechtigt glauben, die Warnung lächelnd und achselzuckend entgegenzunehmen. Das gefällt mir übrigens so gut, daß ich gern auf das Bewußtsein verzichte, Ihnen einen Dienst geleistet zu haben."
Es lag etwas wie Bewunderung in dem Ton, mit dem diese Worte gesprochen wurden und in dem Blick, der sie begleitete.
Aber Wolfgang erwiderte ernst und mit einem leichten Anflug von Traurigkeit:" Ich bin weit davon entfernt, mich so sicher zu fühlen, als Sie annehmen; es wird mich im Gegentheil garnicht überraschen, wenn ich der Koalition erliege, die sich gegen mich gebildet hat und die mir schließlich doch hinterrücks ein Bein stellen wird. Ich bin, um ein militärisches Gleichniß zu brauchen, ein verlorener Posten in Feindesland, und habe mich schon gefragt, ob es mir gar so sehr verübelt werden könnte, wenn ich den Posten aufgäbe, auf den mich der Zufall gestellt hat. Es würde mir grade in diesen Herbsttagen leicht werden, auf und davon zu gehen; der Zugvogel in mir regt jetzt, wo die letzten Geschwader unserer Sommervögel sich lärmend zum Aufbruch rüsten, fast sehnsüchtig die Schwingen, und selbst wenn ich ungern ginge, würde ich mich mit dem welfen Laube trösten, das jeder Windhauch von den Aesten streift, wie ich mich mit ihm trösten würde, müßte ich aus dem Leben scheiden."
Er hatte es ohne jede Affettation gesagt, mehr zu sich selbst, als zu der anmuthigen Frau, die ihren Arm unwillkürlich fester auf den seinen legte; er fühlte, wie jeder Finger ihrer Hand ein mildes Feuer ausströmte, das ihm durch alle Adern floß, und. als er sie ausah, überraschte ihn ein Ausdruck in ihrem Gesicht, den er noch nicht kannte. Es lag urplößlich etwas Mädchenhaftes in ihrem Wesen, etwas Sanftes, Anschmiegendes, Schüch ternes und fast Demüthiges, und sie war ihm in diesem Moment unvergleichlich gefährlicher, als je zuvor.
Ob sie eine Ahnung davon hatte? Es war, als verschleire sich ihr Blick von einer im Auge zerdrückten Thräne, als sie leise, ein wenig traurig und mit beinahe stockender Stimme sagte:
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" Wird Ihnen das Scheiden von hier so leicht? Ich hatte geglaubt, die Trennung würde Ihnen aus mehr als einem Grunde schwerer fallen, und dieser resignirte Ton gefällt mir nicht an Ihnen, weil ich größere Tiefe und Wärme des Gefühls für Orte und Menschen bei Ihnen voraussetzte. Aber ich hätte mir sagen können, daß Sie das anscheinend unvermeidliche Gebrechen aller Poeten theilen, sich in der Praxis von all' den zarten und schönen Empfindungen zu emanzipiren, die ihren Dichtungen Reiz und Zauber verleihen."
Bielleicht thun Sie mir doch sehr unrecht, vielleicht bin ich viel mehr Mensch als Poet, und vielleicht sind es grade rein menschliche Empfindungen, die mir das Scheiden leichter machen, als dies ohnedem der Fall sein würde. Ich habe hier schmerz liche Erfahrungen zu machen gehabt und bin in Verwicklungen gerathen, die befriedigend zu lösen ich keine Hoffnung habe. Und ist es nicht besser, ich gehe, bevor mir das Herz wund geworden ist und ich die Frische und Elastizität der Seele eingebüßt habe? Bisher habe ich den Kopf oben behalten, aber ich bin aus weichem Thon gemacht und kann nicht dafür stehen, daß ich nicht auf die Dauer an dem Widerstreit zwischen einer ernsten Neigung und äußeren Verhältnissen ernstlich erkranke."
Er dachte dabei an Martha, der er es vorwerfen zu dürfen glaubte, daß sie, grade sie, keinen Schritt gethan hatte, wie Frau von Larisch, und selbst die lustige, halb kindische Emmy. Der Aufschluß, den ihm Frau von Larisch gegeben, ließ ihm, trotz mancher räthselhaften Wendung, kaum einen Zweifel darüber, daß der erste Brief von Emmy herrührte; darauf, daß er nicht von Martha geschrieben war, hätte er blindlings einen Eid geleistet; Handschrift und Stil konnten nicht die ihren sein. Er vermochte eine Aufwallung von Bitterkeit und Trauer nicht zu unterdrücken und daran, daß seine Worte von Frau von Larisch falsch gedeutet werden konnten, ja daß sie dieselben beinahe falsch deuten mußte, dachte er mit feiner Silbe.
Frau von Larisch verstand ihn aber wirklich falsch. Wenn er Martha liebte, wie sie bisher so fest geglaubt, wie fonnte er dann von äußeren Hindernissen sprechen? War Martha nicht in jeder Hinsicht frei, brauchte er nicht blos um sie zu werben, und konnte es denn einen Moment zweifelhaft sein, auch für ihn, daß er mit offenen Armen empfangen ward? Aber vielleicht hatte sie sich geirrt, vielleicht lag in Wolfgangs Worten eine Anspielung auf