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Der Frühling einst und jetzt.

Keine Jahreszeit ist so wie der Frühling von dichtenden Menschen besungen worden und keine wurde mit soviel Recht gepriesen wie der Lenz. Das haben die Gegensäße im Natur­leben verursacht. Der Winter ist für den Naturfreund der wider wärtigste Gefelle, für die geplagte Schuljugend eine Marterzeit, für Braut und Bräutigam eine oft allerdings süße- Zeit der Gefangenschaft, für den kindergesegneten armen Hausvater die jährlich wiederkehrende Periode des Hungers und Frostes, für den Greis die Zeit stiller Einkehr und leiblicher Heimsuchung. Wie ganz anders der Frühling!

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Allmählich oder plötzlich erwacht der Genius des Lebens und sprengt die Fesseln der nordischen Mächte. Die vorher starre Erdrinde öffnet sich an allen Enden; des Himmels Königin von den Sonnenanbetern nicht umsonst göttlich verehrt durch bricht die frostige Nebeldecke des Winters und auf ihren Ruf ersteht die Pflanzenwelt aus langem, langem Schlafe. Schnee­glöckchen läuten die herrliche Zeit des Blühens herbei. Veilchen und Primeln, Anemonen und Seidelbast eilen dem kommenden Heere der Blumen als Herolde voraus. Und in den kahlen, blätter losen Bäumen beginnt das Knistern der zersprengten Knospen hüllen, und die Vögel in den Zweigen ahnen das Kommen ihrer Fest- und Feiertage und sie beginnen zu singen, zu zwitschern und zu jubiliren. Die ganze Welt beginnt mit einem male eine andere zu werden.

Und alles das wirkt so wohlthätig, so sorgenverscheuchend, so hoffnungbeseligend, so durchwärmend und durchleuchtend auf des Menschen Gemüth. Auch er beginnt zu singen, zu jauchzen und dem Weltschmerz seinen Rücken zu kehren. Auch er, der bisher gebeugte, beginnt ein anderer zu werden und wieder aufrecht zu wandeln unter andern Menschenkindern und im trauten Umgang mit der erwachenden Natur.

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Der Mensch hat einst geglaubt. Und wenn wir von allen frommen Gesängen und geistlichen Liedern, welche zum Preis des Ewigen" gedichtet wurden, Tag und Stunde ihrer Geburt fennten, so würden wir finden, daß die große Mehrzahl derselben im Frühling selbst oder beim herannahenden Lenz der glaubenden Menschenbrust entfloßen. Aber damals stand unser Geschlecht noch auf dem Piedestal eines sich selbst vergötternden Gözen. Man glaubte, den unsichtbar Ewigen" zu preisen und streute sich selbst Weihrauch und Blumen. Man schmeichelte sich, Endzweck der Schöpfung zu sein und setzte alle anderen Kreaturen so ohne weiteres als seine eigenen Diener: der laue Südwind, welcher den Schnee von den Dächern und Feldern fegt ein Engel Gottes im Dienste des Menschen; der Genius des wiedererwachen den Naturlebens ein segenspendender Freund derer, die sich vorlogen, die Blume des Feldes blühe und dufte ihretwegen. Ja, und die trillernde Lerche in blauer Frühlingsluft, sie stieg ja für unsere Väter himmelan, um den feldbauenden Landleuten die schwere Arbeit zu versüßen und am lichten Sonntag die Menschenkinder zu lehren, daß man Gott zu preisen habe.

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Ja, das war die Zeit der naiven Weltanschauung: eine Zeit der Märchen, als die Phantasie noch im Feierkleide lustwandeln ging, die Blumen des Feldes für sich in Anspruch nahm und sich beim Frühlingskonzert der Vögel des Waldes als Königin" in's Parterre ſetzte. Die Phantasie ist die ältere, leichtgeschürzte und oft sehr ausgelassene Schwester des Verstandes. Sie schoß auf zur blühenden Jungfrau und setzte sich zur Beherrscherin der ganzen Gedankenwelt, als der Verstand, ihr jüngerer Bruder, noch in den Windeln lag und erst Miene machte, allmählich auf allen Vieren zu gehen. Aber der Junge ist mit der Zeit groß geworden, ein kecker Jüngling, der sich der Herrschaft seiner Schwester Phantasie zu entwinden versuchte und schließlich in Freiheit gelangte. Jetzt schickt er sich an, Herr der Welt zu werden, indem er der älteren Schwester das Szepter aus der Hand windet.

Der Aufschwung, den die wissenschaftliche Erforschung der Thier und Pflanzenwelt infolge der Darwin 'schen Theorie ge­nommen hat, brachte auch eine wissenschaftliche Beantwortung der Frage: Wie erklären wir die Farbenpracht, den Wohlgeruch und die Honigabsonderung der höheren Pflanzenblüthen und wie haben wir die mannichfaltige Anordnung und Gestalt der ver­schiedenen Bestandtheile der höheren Blumen zu verstehen?

Es ist eine seltsame Erscheinung in der Geschichte des Natur­erkennens, daß zwei der interessantesten Räthsel des Frühlings zu

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gleicher Zeit ihre Lösung fanden: das eine ist das Problem der Blumen, das andere dagegen das Problem des Vogelgesanges. Beide Räthsel fanden ihre Lösung im gleichen Prinzip: in der Liebe. Darwin hat das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl im Kampf um's Dasein auch in der Sphäre des Geschlechtslebens beider Naturreiche, der Pflanzen und der Thierwelt, wieder­erkannt und für Thiere und Menschen mit dem speziellen Namen geschlechtliche Zuchtwahl" belegt. Es hat sich gezeigt, daß viele Thiere, namentlich viele Vögel und auch manche Säuger, nicht allein von der Gestalt und Farbe, sondern auch von der Stimme ihrer fünftigen Ehegatten Notiz nehmen. Vorab sind es die Weibchen, welche bei der Wahl ihrer Männchen genannte Faktoren so sehr in Rechnung bringen, daß zur Paarungszeit unter den männlichen Ehekandidaten eine förmliche Konkurrenz eintritt und ein bald blutiger, bald unblutiger Wettkampf um die Gunst der umworbenen Weibchen ansgefochten wird. Die Hähne kämpfen mit einander um das Hühner- Harem auf Tod und Leben, und ein spornloser Hahn hat gar keine oder nur geringe Aussicht auf Nachkommenschaft, wenn ein bespornter Konkurrent mit ihm um den Besitz der Hennen kämpft. Der männliche Hirsch besißt ein Geweih, mit dem er den Kampf mit einem Rivalen um dasselbe Weibchen aufnimmt, wobei der Stärkste Meister wird und der Schwächere ohne Nachkommen dahingeht. Auer- und Truthähne paradiren um die Wette, indem sie vor den anwesenden Weibchen ihre Gefieder in allen möglichen theatralischen Stellungen ent­falten. Bei buntgefiederten Vögeln sind es vorab die Männchen, welche sich durch Farbenpracht auszeichnen, und man hat beobachtet, daß die umworbenen Weibchen von Farbe und Anordnung der Federn bei der Auswahl ihrer Männer Notiz nehmen. Bei unsern Singvögeln sind es wiederum die Männchen, welche sich ganz besonders in der Gabe des Gesanges vervollkommnet haben, während die Weibchen den besten Sängern den Vorzug geben. Dasselbe gilt von den Grillen und Cikaden, bei denen sich die Männchen allein der Gabe des Zirpens und Schrillens erfreuen, wie ja denn schon ein alter Dichter sang: Glücklich leben die Cikaden, weil sie stimmloſe Weiber haben."

So hat die neuere Naturwissenschaft auch für die ästhetischen Seiten des Thierlebens eine natürliche Erklärung gefunden. Das Tanzen der Mücken und Fliegen im Abendsonnenschein eines lauen Frühlingstages ist ein Wettkampf in der Sphäre des Liebelebens im weitern Sinne, nicht minder als der melodische Gesang unserer gefiederten Waldbewohner. Und wenn die erwachende Natur sich im Lenz mit Farbe und Melodien bekleidet, so ist es der all­mächtige Selbsterhaltungstrieb der lebenden Natur, die Liebe in allen Tonarten und Farbenabstufungen, welche ihrem Natur­drange Ausdruck gibt.

Wir fassen hier das Wort Liebe" im weitesten Sinne: als Verkleidung des Geschlechtstriebes, der naturwissenschaftlich definirt nichts anderes anstrebt, als die Vereinigung zweier verschiedener Geschlechtszellen zur Erzeugung eines neuen In­dividuums. Die Liebe" ist Naturnothwendigkeit.

Wenn wir das Leben der einzelnen Pflanze, des einzelnen Thieres oder des einzelnen Individuums unseres eigenen Ge­schlechts von der Eizelle an bis zum Tod, von der Wiege bis zur Bahre verfolgen, so finden wir, übereinstimmend bei allen höheren Organismen, daß die Höhe der vollen Entwicklung, die Glanzperiode des Einzelwesens dann erreicht ist, wenn die ge­schlechtliche Fortpflanzungsfähigkeit in ihre Rechte tritt. Bei den höheren Pflanzen ist es die Zeit des Blühens, bei den Thieren die Zeit um die erste Paarung; des Menschen Blüthezeit" ist das Zeitalter des Freiens. Und gar oft ist diese" Blüthezeit" eine sehr kurz zugemessene. Der Pessimist Schopenhauer sprach eine große Wahrheit, als er sich dahin äußerte: Mit den Mädchen hat es die Natur auf das, was man einen Knalleffekt nennt, abgesehen, indem sie dieselben, auf wenige Jahre, mit überreich­licher Schönheit, Reiz und Fülle ausstattete, auf Kosten ihrer ganzen übrigen Lebenszeit, damit sie nämlich, während jener Jahre, der Phantasie eines Mannes sich in dem Maße bemäch­tigen könnten, daß er hingerissen wird, die Sorge für sie auf Zeit Lebens, in irgend einer Form ehrlich zu übernehmen, zu welchem Schritte ihn zu vermögen die bloße vernünftige Ueber­legung keine hinlänglich sichere Bürgschaft zu geben schien. Sonach hat die Natur das Weib, eben wie jedes andere ihrer Geschöpfe ( wie jedes andere Lebewesen) mit den Waffen und Werkzeugen