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Thaddäa hob das Haupt ihres Vaters empor, drückte ihren| Mund auf die Wunde, blies in dieselbe hinein und versuchte, dem starren Körper des Greises wieder Leben einzuflößen. Vergebens! Bu spät!
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" Sobald der Tod konstatirt ist!" hatte Murawiew gesagt, und der Schlächter von Lithauen wußte, was er sagte.
Thaddäa stand einen Augenblick wie erstarrt. Sie war so hoffnungsfrendig gewesen, daß ihr Vater gerettet werden würde. Sie erstickte endlich ihr Schluchzen und trocknete ihre Thränen. Ihr Antlig nahm einen falten, finstern, entschlossenen Ausdruck an. In ihren Augen glühte ein unheimliches Feuer.
„ Herrin," sagte der alte Diener in tröstendem Tone, indem er sich ihr näherte.
Sie wehrte ihm, mit hastiger Geberde.
" Laß mich, Bogumil!" erwiderte sie. Ich habe ein Mittel gefunden, meinen Schmerz zu bekämpfen. Eine Lithauerin verschwendet ihre Zeit nicht mit nuglosen Klagen, sondern sie handelt. Mir bleibt die Rache. Kehre nach Hause zurück, ich wünsche es!" Der Diener füßte die Hand seiner Gebieterin und ging weinend hinaus.
Nachdem Bogumil sich entfernt, sagte das junge Mädchen zu dem Arzte, der um seine Rührung zu verbergen, sich abgewendet hatte:
Sie haben Ihre Pistolen in Bereitschaft, Doktor?" " Ja, mein Fräulein."
" Dann erzeigen Sie mir die Güte, mir dieselben zu leihen, ich bitte darum."
Der Arzt leistete dem Wunsche des jungen Mädchens Folge. Sie sind geladen?"
"
" Sehr sorgfältig."
,, Gut, ich danke Ihnen."
Thaddäa sammelte das geronnene Blut, welches am Halse ihres Vaters sich befand, und ließ es in den Lauf der Waffe fallen.
" Doktor," sprach sie dann, dieses Blut macht die Kugel naß, nicht wahr?"
,, Natürlich, mein Fräulein."
Sie verbarg die beiden Pistolen in ihre Kleidung. Darauf ließ sie sich an der Seite ihres Vaters nieder und betete.
,, Auf Wiedersehen, mein Vater... dort oben!" flüsterte sie endlich und drückte einen langen Kuß auf die Stirn des Leichnams. Es war elf Uhr, als Thaddäa Liwinska die Wohnung des jüdischen Arztes verließ.
zurückkehren wollte und begab sich auf den Weg, den er gezwungen war, einzuschlagen.
Kurz vor ein Uhr erschien der General, umgeben von seinen Kosaken.
Das junge Mädchen hatte sich an dem Thorweg eines Hauses aufgestellt, an welchem Murawiew vorüberkommen mußte. Der Gefürchtete kam endlich.
Zitternd vor Grimm und Erregung erhob sie die Hände und drückte beide Pistolen gleichzeitig ab.
Das Pferd des Tyrannen machte einen Seitensprung, aber mit gewaltigem Ruck riß er es wieder herum.
Thaddäa schrie laut auf vor Ingrimm und Verzweiflung. Murawiew war nicht getroffen.
Man stürzte sich auf das junge Mädchen.
Reißt sie in Stücke!" schrie Murawiew wüthend.
Die Kosaken fielen über sie her und in wenigen Minuten war Thaddäa eine Leiche!
Und Murawiew?
Er kehrte, nachdem er bis zum Oktober als Menschenschlächter in allen Theilen Lithauens gewüthet und durch alle nur erdenklichen Grausamkeiten den Aufstand bezwungen hatte, auf seine Güter zurück.
Mit Abscheu ward nach dieser Schlächterei sein Name in ganz Europa genannt; Rußland aber vergötterte ihn, pries ihn als einen Helden! Der Unterdrücker der Freiheit, der Verächter aller Menschenrechte, der Caligula der Neuzeit, ward von seinen knechtisch gesinnten Landsleuten als ein Tapferer, ein Edler gelobt und verehrt!
Sein dankbarer Kaiser, der milde Czar Alexander, belohnte ihn noch im selben Jahre mit dem Andreasorden und der Erhebung in den Grafenstand.
Allein alle Ehrenbezeigungen, die ihm erwiesen wurden, alle Huldigungen, welche man ihm darbrachte, machten den Schlächter von Lithauen nicht glücklich. Er hatte keine ruhige Stunde mehr; in seinen Träumen sah er die blutigen Gestalten seiner Opfer als hohnlachende Gespenster an seinem Lager stehen. Eine schmerzhafte Krankheit befiel ihn, raubte ihm monatelang den Schlaf. Er ließ sich, um die ersehnte Ruhe zu finden, nach seinem Gute Logo schaffen, und fand sie wirklich, doch in anderer Weise, als er sie erhofft hatte. Nach beinahe dreitägigem, schrecklichen Todeskampfe starb er hier am 11. September 1866, beweint von niemanden, verflucht von den Polen und Lithauern, verachtet von allen Menschen, die ihn kannten und den Namen Mensch verdienen.
Das Vogelnest.( Bild Seite 376.) Der Meister, von dessen Bild Das Vogelnest" wir heute eine Nachbildung bringen, gehört zu den talentvollsten und bedeutendsten Malern der Gegenwart. Vor allen andern Künstlern zeichnet Franz Defregger die große Naturwahrheit, scharfe Charakteristik und die tiefempfundene Poesie seiner Bilder aus. Sein Hauptgebiet, auf dem er gradezu Klassisches leistet, ist das Genrebild, jene Gattung von Darstellungen, in denen ein Stück Leben möglichst naturgetreu dargestellt, ein Vorgang geschildert wird, dessen menschliche Träger keinen Anspruch auf eigne geschichtliche Bedeutung für sich besonders machen, aber gleichwohl nicht ohne allgemeine kulturgeschichtliche Wichtigkeit sind. Meist haben nun die Künstler, welche diese Gattung pflegten, aus dem Volksleben ihre Stoffe geholt, aber gar oft sind sie selbst diesen so fremd, daß ihre Darstellungen des Volkslebens nicht wahr, sondern steif und gemacht" erscheinen; malen sie Bauern und Hirten, so stellen sie Salontiroler und arkadische Schäfer aus Nirgendheim dar. Ganz anders Defregger , der 1835 zu Kronach im Busterthal in Tirol geboren, einer jener Naturkünstler ist, welche sich in der Kunstgeschichte stets vortheilhaft abheben von Zeitgenossen, die in ausgetretenen konventionellen Bahnen hintraben und die nicht mehr die Natur direkt studiren, sondern wenn sie Bildwerke fertigen, der staunenden Mitwelt Kopien von Kopien in einer Manier liefern, die eben in der Mode ist. Aehnlich wie Giotto und mancher andere Meister, dessen Namen in der Kunstgeschichte glänzt, hat Defregger , schon als Hirtenknabe einem unwiderstehlichen Drange folgend, mit Röthel und Stift gezeichnet und in Holz geschnigt, aber erst 1860 widmete er sich einer regelrechten Schulung seines Talents, unter der Leitung des Bildhauers Stolz in Innsbruck . Nachher in die münchener Akademie als Schüler aufgenommen, übten Piloty's Lehre und Beispiel einen segens reichen, nachhaltigen Einfluß auf unseren Künstler aus. 1863 ging Defregger auf zwei Jahre nach Paris , wo er allerlei Anregungen erhielt und auch den definitiven Entschluß faßte, sich ausschließlich der Malerei zu widmen. Von da ab hat er uns mit einer ganzen Reihe prächtiger Meisterwerke beschenkt, durch welche alle jener realistische Hauch unbedingter Naturwahrheit weht, die doch nie zur Flachheit und
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Trivialität herabsinkt; er führte mit seinen Genrebildern aus dem tiroler Volksleben: Der Ringkampf in Tirol"," Der Tanz auf der Alm"," Die Wildschüßen" und vielen anderen Bildern auf das wirksamste den Krieg gegen alles theaterhafte Gepränge und der affektirten Bauern und Genrebildermalerei; er stellt nur Selbsterlebtes, wirklich Empfundenes dar, da kann es denn seinen Werken nicht an Wahrheit mangeln. Dieses Selbstfürsichreden seiner Bilder erlaubte uns denn auch, uns mehr mit dem noch in München rüstig wirkenden Künstler selbst zu beschäftigen. Sein Bild ,,, Das Vogelnest", macht jede erklärenwollende Bemerkung überflüssig. Es sei denn, daß wir ein Wort der Fürbitte einlegten für das gefiederte Völklein, dessen Repräsentant der Hauptheld auf unserm Bilde ist. Freilich wird auf dem Defregger 'schen Bild das, wogegen wir sprechen möchten, so anmuthig dargestellt, daß dieses Beispiel nicht sehr abschreckend wirken dürfte. Füttert doch der älteste Knabe sorglich den kleinen Gefangenen und die Kinder werden ihn alle gewiß recht lieb haben, aber sicherlich bliebe der arme kleine Kert, statt in das Gitterhäuschen zu wandern, viel lieber in Freiheit und empfinge seine Aßung von seinen Eltern, den naturgemäßen Ernährern seiner Jugend. Gewiß muß er selbst in einem solchen Augenblick Angst genug ausstehen. Darum Schuß und Schonung und Freiheit unseren Sängern!
wt.
Caub und die Pfalz.( Bild Seite 377.) Kein Strom ist durch Sage und Geschichte mit unserem Volksleben so eng verwachsen, wie der Rhein . Deshalb ist er von jeher Deutschlands Schmerzenskind gewesen, und zahllose blutige Schlachten wurden um seinen Besiß ge= schlagen. Er ist ein alter Knabe, denn schon in jener Zeit, da in Europa die Abendröthe der römischen und die Morgenröthe der germanischen Bildung ihr Licht mischten, war er die Pulsader des europäischen Völkerverkehrs. In die Epoche der römischen Eroberungszüge fällt die erste Anpflanzung des Weinstocks an seinen anmuthigen Ufergeländen. Er ist aber auch ein Sonntagskind, denn während noch die eisige Faust des unerbittlichen Winters unter gleichen Breitengraden anderer Länder