Der Anker wird gelichtet, ein Glockenzeichen, ein Pfiff und ächzend hebt das Dampfroß an zu stampfen. Kaum haben wir die Brandungsbarre am Außenmolo passirt, als das Schiff mit dem in zweiter Auflage betrunkenen Souffleur um die Wette zu schwanken begann, und wir armen Landratten, obzwar nüchtern, brachten nach schmerzlichem Ringen den Meergöttern reichliche Opfer dar. Wie hilflos ist doch der Mensch im Kampfe mit den Elementen. Der Kapellmeister mit dem Bariton un Bassobuffone versuchten einen Tarock aber bald kauerten sie, in Plaids und Mäntel gewickelt, wie ein Häuschen Unglück unter dem Fokmast; bekanntlich diejenige Stelle, wo es am wenigsten schaukelt,- aber für die Drei schaukelte es hier noch immer zu viel, denn ihre sonst röthlichen Nasen waren bedenklich erblaßt, ein Zeichen der nahenden Eruption. Der Souffleur, die geschenkte Schnapsflasche zärtlich an sein Herz gedrückt, lehnte am Rauchfang und machte mit seinem Schnarchen dem Sturmwind Konkurrenz. Die Choristen und Musiker, gleich Odysseus ' Gefährten nach der durch die Circe bewerkstelligten Metamorphose, verkrochen sich essend und trinkend in die regengeschüßten Winkel am Verdeck, um nach kurzer Zeit auf Poseidon's Geheißleichenblaß und mit großen Umwegen zur Brüstung zu wanken und das Genossene über Bord zu spediren. Der Verfasser dieser Stizzen sdlich mit schlotterndem Gebein wie das böse Gewissen umher, denn auch ihm hatte die Seekrankheit mit trübem Schleier die Sinne umivunden und gleich Aqua tofana, dem schleichenden Gift, die Kräfte gelähmt. Der fettige Dunst der Maschine, der Anblick der in den unmöglichsten Stellungen zusammengekrümmten Kollegen gab mir den Rest. Die Einladung zum Mittagessen, welche der Stewart( Kellner) ein schiefbeiniger Neger, schwarz wie Ebenholz, mit gellender Stimme ausrief, flang mir wie qualifizirte Bosheit, denn mein mißhandelter Gaumen ließ nicht einmal einen Tropfen Wasser, geschweige die fünf Gänge der Table d'hôte zur Labung des brennenden Magens durch.
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Nur zwei Männer blieben seefest und promenirten auf dem schwanken Deck als ob sie mailänder Trottoir unter den Sohlen hätten, der winzige Haut- und Knochenmann, Direktor Papanicola und der böhmische Trompeter Hrdlitka, der wahrscheinlich statt des Magens einen Bierkrug im Leibe hatte. Wenigstens berech tigte der Umfang seiner Elephantentaille zu dieser Annahme.
Den weiblichen Theil der Gesellschaft verschlang der Orkus der Kajüte und gab ihn erst in der Gegend der Gartenstadt Bujukdere, dem Sommeraufenthalt der europäischen Gesandten am Bosporus , frei.
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Als nach ununterbrochenem Stürmen die rasche Strömung ( Teufelsfluth nennt sie der Türke), die vom Schwarzen Meer in die Propontis( Marmara- Meer ) dringt, unser Schiff erfaßte, schwand wie mit einem Zauberschlag die lähmende Wirkung der Seekrankheit, denn das Wetter klarte auf", wie die Seeleute sagen. Auch Frau Sonne hatte Mitleid mit uns und gab ihr Wolkenincognito auf, um die steilen Userfelsen und die paradiesischen Landzungen, die wie Blumenampelir auf den Wellen zu schweben schienen, zu vergolden. Die Segenspenderin lachte dem Erdenrunde, und ihr strahlendes Licht, ihre belebende Wärme hob unseren gesunkenen Pulsschlag.
Gesund zu sein ist nicht das höchste Glück auf Erden, sondern gesund zu werden.
Bald wimmelte es am Deck wie in einem Ameisenhaufen.
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Der eine lief zur Damenkajüte hinunter, um sich nach dem Befinden der Frau und Kinder zu erkundigen, für deren Wohl und Wehe er in der Apathie gar keinen Sinn gehabt hatte; der andere griff nach Speise und Trank; die Matrosen verschwanden im Schiffsbauch, um Toilette für die Schönen des Phanar ( Griechenviertel von Konstantinopel ) zu machen; die Damen stiegen mit ihren Handarbeiten auf Deck, um, von Kindern umjohlt, sich an der Luvseite des Schiffes niederzulassen, während die Männer peripathetisch mit sichtlichem Behagen die lang verschmähte Cigarre schmauchten.
Schon wölbt sich prächtig klarer Himmel über uns, doch vergebens späht das Auge am Horizont nach dem modernen Kalifensitz, der Königin der Städte.
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Konstantinopel ist wie Neapel und Venedig eine der Wunderinseln unserer Träume, aus denen uns Feenmärchen der Vergangenheit entgegenwinken und die Romantik unverblaßt unserer Phantajie ihren Tribut abliefert, aber wie alle orientalischen Städte nur aus der Entfernung, denn unter der unheilvollen Berührung der Söhne des Propheten ist aus dem einst so präch tigen Konstinopel der griechischen Kaiser ein Bild der wüsteſten Zerstörung das türkische Stambul geworden. Alles was die Kunst und Wissenschaft hier an unermeßlichen Schäßen aufgehäuft, haben die Türken während der vier Jahrhunderte ihrer Herrschaft derart zerstampft und vernichtet, daß selbst jede Spur davon unrettbar verloren ging. Aus dem Schutte der Paläste, welche einst die Zierde und der Stolz des goldenen Byzanz, der Kapitale des oströmischen Reiches, waren, entstand das heutige Stambul mit seinen hölzernen, schmußigen, fensterlosen Häusern, in übelriechenden, holperigen, engen Gassen, oder auf winkeligen, unregelmäßigen Plägen, welche alle insgesammt von Schmutz und Unrath starren und deren einzige Reinlichkeitsorgane die zahl losen halb verhungerten Hunde sind, deren Kadaver sie aber auch verpesten.. Auf dem berühmten Atmeidanplaße sind jezt nur mehr die armseligen vereinzelten Ueberbleibsel der prachtvollen griechischen und römischen Monumente und Bauwerke sichtbar, welche hier einstens prangten. Von all der fabelhaften Herrlichkeit, welche hier geherrscht, ist nichts mehr zu sehen als ein unvollendeter Obelisk in der Mitte des Plazes, ein früher mit Kupfer bekleideter Pfeiler, der so prächtig war, daß er wie der Koloß von Rhodus für ein Weltwunder galt, und endlich ein dreifaches Schlangengewinde, dessen Köpfe aber nicht mehr vorhanden sind und das den Dreifuß von Delphi getragen haben soll. Die marmornen Stufen des Hippodrom sind verschwunden, der Raum hat durch schlecht gebaute Häuser sich um das Vierfache verringert und aus dem unebenen schmutzigen Boden sproßt hie und da eine Sykomore oder Platane hervor; es gibt nichts traurigeres als den schroffen Gegensatz zwischen dem Einst und Jezt dieses Plazzes. Hier giebt es keine Spur mehr von der Statue des Herkules Trihesperus, noch von jener der Liebe athmenden Helena und der berühmten Wagenlenker; fort sind der Eseltreiber vonAftium, die Wölfin des Romulus und Remus , das Nilpferd, die fliegenden Sphinge und die zwei Ungeheuer Scylla und Charybdis; auch die Altäre des Zeus, Saturnus, Mars, der Venus, der Selene und des Merkur fehlen, dafür sieht man hie und da die schmutzige Bretterbude eines Kaffeewirthes auf dem mit Kehricht und Abfällen aller Art bedeckten klassischen Boden. ( Fortsetzung folgt.)
Die Sehnsucht nach Freiheit beim Thiere.
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Von Dr. B. Goffweis.
Wie der Vogel, auf dessen Flügeln noch der Waldodem ruht, gefangen gehalten, angstvoll umherflattert, sein zartes Köpfchen gegen die Stäbe des Käfigs stößt, um wieder jene goldene Freiheit zu erlangen, in der er geboren so läßt sich bei all' unsern Thieren eine Sehnsucht nach Ungebundenheit beobachten, welche wunderbar genug ist, um die Aufmerksamkeit des Menschen zu erregen und seine Denkfraft zu ihrer Erklärung herauszufordern. Ja selbst jener Mensch, der alles zu ignoriren geneigt, was nicht seinen beschränkten und egoistischen Interessen dienen kann, wird durch des Phänomen der Wanderlust der Thiere, eine der außer ordentlichsten Erscheinungen in der Natur, die eine Menge ungelöster Räthsel in sich birgt, auf das Thierleben aufmerksam
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werden. Es ist nicht im Nahrungs- und Wärmebedürfniß allein begründet, es ergreift mit energischer Gewalt die sämmtlichen Individuen der Thierart eines Landes, leitet sie auf den nächsten Wegen zu den Sammelpläßen und führt durch uns nur wenig begreifliche Verständigungsmittel, die allgemeine Uebereinstimmung, die Festsetzung des Tages und der Stunde der Reise herbei, es weist mit der Sicherheit der Magnetnadel die Wanderschaaren über Berg und Thal, über Flüsse und Meere nach den fernsten Gegenden, gibt ihnen die Kraft zu ungeheurer Anstrengung und erstaunlichen Leistungen, bei kaum vergönnter spärlichster Nahrung und Ruhe, und führt sie wieder zur bestimmten Zeit in die alte Heimath zurück. Thiere, die sonst unabhängig von einander