leben, sich nicht um einander kümmern, werden, wenn die Wanderungszeit naht, von einem Geiste der Zusammengehörigkeit ergriffen, ordnen sich in regelrechte Schaaren und unterwerfen sich mit blindem Gehorsam der Führung einiger Individuen, von welchen man nicht begreift, durch welche Mittel sie erkoren wurden, die Führer zu sein.

Der Wanderungstrieb erregt im Vogel eine fieberische Un­ruhe, bei Wärme und reichlicher Nahrung flattert er im Käfig schlaflos die Nächte hindurch, und der Kukuk und manche andere Vögel sterben, wenn man sie vom Wandern abhält.

Alle diese Erscheinungen treten am deutlichsten bei den regel­mäßigen periodischen Wanderungen ein, fehlen aber auch zum Theil nicht bei den ungeregelten durch Umstände bedingten und bei jener von Dst nach West gehenden, im Laufe des Jahrtausend sich vollziehenden, durch welche Europa einen Theil seiner Thier­bevölkerung erhalten.

Doch genug einstweilen hiervon, ich wollte von recht nahe liegenden Beobachtungen sprechen!

Gibt es ein anmuthigeres, eleganteres, zarteres Thier, als unser einheimisches Reh? Dieses überaus zierliche, fein geformte Köpfchen mit den gutmüthigen Augen, sind sie nicht geschaffen, um sich daran zu ergößen, wären sie nicht werth dieses Thierchen zum geliebten Gespielen des Menschen, zum getreuen Hausthier zu machen?

Es ist eine eigenthümliche Poesie in dieser Thiergestalt, die jeden anheimelt, sei es, daß er so glücklich ist, sie zwischen den Zweigen des Waldes zu erblicken, oder ihr gezähmt in einem Thiergarten zu begegnen. Man begreift den Dichter, der diese Thiere in Verbindung bringt mit zarten Jungfrauen, es liegt in dem ganzen Geschöpfe etwas mädchenhaftes, unschuldiges, das diese Ideenverbindung rechtfertigt. Jung eingefangen und vom Menschen gezogen wird das Reh außerordentlich schnell zahm, es folgt seinem Pfleger auf Schritt und Tritt, so gut wie ein Hund, wenn es aber älter wird, ändert sich dieses Verhältniß sichtbar. Während das weibliche Reh seine ursprüngliche Zahmheit noch behält, bricht in dem Bock die wilde Natur hervor, es ist, als ob plötzlich ein böser Geist in ihn gefahren wäre, seine Zahmheit verwandelt sich in Dreistigkeit, er hat die Furcht vor Menschen verloren, und folgt seiner wilden Kampfbegier. So oft man auch die Zähmung der Rehes versucht hat, soviel Liebe und Sorgfalt auch auf dieses Thier verwendet wurde, immer und immer scheiterte der Versuch der vollständigen Zähmung in der Gefangenschaft, die Sehnsucht nach Freiheit bricht in einer unbeschreiblichen Weise hervor und erfaßt das liebe Thier. So ist es eine längst konstatirte That sache, daß das Reh, selbst dann, wenn es in einem noch so großen Park eingefriedigt ist, einem scheinbar ganz uneingeschränkten

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Naturleben überlassen ist, nicht gedeiht. Man kann hierfür durchaus keine stichhaltigen, materiellen Gründe anführen; selbst dann, wenn man ein als Lieblingsort des Rehes bekanntes Ge­hölz, in welchem es alle zu seinem Gedeihen nothwendigen Be­Singungen anerkanntermaßen findet, mit einer Einfriedigung ver­sieht, fängt es an zu verkümmern. Krankheiten befallen es, und wenn ein solcher Rehstand auch in glücklichen Verhältnissen nicht zum Aussterben kommt, so fehlt die natürliche Fortentwicklung, die das Reh in der gänzlich ungebundenen Freiheit zeigt. Fragen wir nun nach der Ursache, so bleibt uns nichts anderes übrig, als anzunehmen, daß dem Rehe jenes ungezähmte Freiheitsgefühl innewohnt, das jede und sei es selbst die weiteste Grenze als eine Einschränkung seines persönlichen Selbstbestimmungsrechtes empfindet, ein Gefühl, das uns nur noch bei einem Thiere in so greller Weise entgegentritt, nämlich bei unserer Kreuzotter, die in der Gefangenschaft nicht nur jede Nahrung verschmäht, sondern sogar bei der Gefangennahme ihren Mageninhalt ausspeit, um sich so schnell als möglich dem Hungertode zu weihen. Mich er­innert das Reh lebhaft an ein Volk, das gleichsam ein Fluch über die Erde treibt, des nirgends heimischen Boden unter den irrenden Füßen hat, an das räthselhafte Volk der Zigeuner, dieses Volk, das mitten im Herzen der zivilisirten Welt alle Mühen und Gefahren des ungebundenen Umherschweifens dem ruhigen Kleben an der Scholle und des Lebens Einerlei, das den einen Tag so wie den andern spinnt, vorzieht; in beiden ist es das Freiheitsgefühl, das Bewußtsein, frei zu sein, das es verschmäht, sich in goldene Fesseln schlagen zu lassen, die Festigkeit des Charakters, die freilich im Kampfe um's Dasein den Kürzeren zieht, weil sie das Prinzip der Civilisation, nämlich das der Ver­gesellschaftung, verscheucht, die aber nichtsdestoweniger unsere volle Achtung verdient.

Die Geschichte des Rehes übrigens und die Betrachtung des Verhältnisses, in welchem dieses Thier zum Menschen steht, gibt nus Aufschluß über wichtige Beziehungen, die zwischen den Menschen einerseits und der Thierwelt andrerseits statthaben, und das Ver­halten der einheimischen Thiere in der Gefangenschaft gegenüber dem der Thiere andrer Zonen läßt uns Schlüsse ziehen auf die Gestaltung und Entwicklung des Thierlebens im Laufe der Zeiten. So ist nichts so unbedeutend, kein Verhältniß so geringfügig, daß wir nicht aus ihm lernen könnten und jedes Thier, wenn wir seine Naturgeschichte, wenn wir seine historische Bedeutung er­forschen, ist im Stande, uns eine Leuchte aufzustecken auf dem Wege zur Erkenntniß des organischen Lebens. Die Sehnsucht frei zu sein, ruht tief in jedem seelischen Wesen, sei es Mensch oder Thier! Es ist ja ein göttlicher Gedanke frei zu sein!" ob schon der Dichter sagt: Frei sein ist nichts, aber frei werden!"

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Weltausstellungsbriefe.

II.

Paris , Ende April 1878. Von den meisten Besuchern einer Weltausstellung wird diese nur als ein großartiges Vergnügungsschauspiel betrachtet, ihnen zuliebe wird das Unternehmen mit Pomp und Prunk in Szene gesetzt, die unend­liche Kosten verursachen. Ich bin überzeugt, wenn es einer Regierung einfallen würde, in irgend einer kleineren Stadt eine große Bretter bude zu errichten und in derselben die Ausstellung abzuhalten, ohne besondern äußern Glanz; nicht 2 Prozent der Besucher, die jetzt hier erwartet werden, würden sich einfinden. Das ist sehr begreiflich, denn nur wenige, die ein wirkliches Interesse an der Ausstellung haben, sind pekuniär so situirt, daß sie ihrer Belehrung wegen eine weite Reise machen können; diejenigen, welche es können, würden, falls der An­ziehungspunkt der Ausstellung wegfiele, doch reisen. Daß die Regierung und besonders die Geschäftswelt von Paris nicht anders denken und die Ausstellung nur als eine temporäre neue Zierde von Paris be trachten, beweisen die vielfachen Vorbereitungen und Projekte, welche mit der Ausstellung eigentlich nichts zu thun haben. Die Hauptsache ist und bleibt eben das Geschäft und das Vergnügen in Paris . Die Fremden werden in beide hineingezogen und müssen durch ihre Einkäufe die Summen, welche ausgegeben, verdreifacht und verzehnfacht den Ich bin kein prinzipieller pariser Geschäftsleuten wieder einbringen. Gegner der Weltausstellungen, aber fest scheint es mir doch zu stehen, daß der mit der großen Baute ausgetrommelte Nußen einer solchen für die meisten Besucher ziemlich gleich Null ist. Da kommen die Fremden von allen Enden der Welt, laufen ein paarmal durch die Ausstellungs­räume, finden dies niedlich, dies amüsant, dies espritvoll, gehen dann Wer ihren Vergnügungen in der Stadt nach und reisen wieder ab. früher schon mehrere Ausstellungen besucht hat, ist noch vom vorigen

male des Anstarrens und Anstaunens müde und richtet sein Augen­merk auf die Nebensächlichkeiten, wie z. B. auf den Ausstellungspark, die einzelnen Gebäude, welche doch nur den Raum für die eigentlichen Ausstellungsgegenstände hergeben, auf die Restaurationen, die Musik­aufführungen 2c. 2c. Wenn nur das Ganze einen recht großartigen Eindruck macht, wenn sich daselbst nur recht viel ,, Welt" versammelt und alles ringsumher von morgens früh bis abends spät in Reichthum und Genuß schwelgt, dann sind die meisten Besucher schon zufrieden. Ist's da ein Wunder, wenn die Ausstellungskommission für die Schale mehr besorgt ist, als für den Kern? Leider scheint die diesmalige Weltausstellung mehr als früher nur für jene Genußsüchtigen eingerichtet zu werden. Ich habe mich schon seit längerer Zeit durch Bücher und Zeitungen, sowie durch eigne Prüfung mancher Gegenstände, die aus­gestellt werden, überzeugt, daß die Weltausstellungen mehr und mehr zu einfachen Jahrmärkten allerdings in einer kolossalen Ausdehnung hinabsinken, zu Märkten, auf welchen stets dieselben Dinge feilgeboten und von der Jury dekorirt werden. Wenn sie so schnell aufeinander­folgen, wie in leßter Zeit, 1867 in Paris , 1873 in Wien , 1876 in Philadelphia , 1878 in Paris und fünftig 1880 in Rom , so verfehlen sie gänzlich den hohen Zweck, eine Kontrole des Fortschritts der inter­nationalen Industrie zu schaffen und dadurch den Schöpfungsgeist und Unternehmungssinn des arbeitenden Volks anzuregen. In so furzen Zwischenräumen, wie die, welche oben angegeben, wird aber unmöglich ein Fortschritt zu erkennen sein, und, was schlimmer ist, der ruhige Gang der Entwicklung in der Arbeit der Völker wird durch die speziellen Vorbereitungen auf die Weltausstellungen gestört.

Aber was hilft es, diese Betrachtungen anzustellen, da die Welt­ausstellung nun einmal vor der Thür steht? Der ehrenvolle Auftrag, der mir geworden, den Lesern der ,, Neuen Welt" über jene Bericht zu erstatten, geht nicht dahin, die Inopportunität und andere Mängel zu beklagen, sondern vor allen Dingen das wahrhaft Nußbringende, welches