widerstandslosen Versinken in die empörte Fluth des Gefühls, und er flammerte sich krampshaft an diesen Gedanken, aber es war doch ein wildes, schneidendes Weh, das er empfand, und das rothe Herzblut der Schmerzen sicherte immer wieder durch den dürftigen Nothverband der Bitterkeit und des sarkastischen Spotts über die eigne thörichte Schwäche. Er schlug sich vor die Stirn und fragte sich, ob er darum dreißig Jahre alt geworden sei, um eine blonde, blöde Jugendeselei zu begehen, die andre in ihrem achtzehnten Jahre abmachen, ob Raison darin sei, sich in ein paar dunkle, sprechende Augen zu verlieben und aus Rand und Band zu gerathen, wenn sich hinterher ganz naturgemäß herausstellt, daß diese schönen Augen einem in weiblichen und fleinstädtischen Vorurtheilen verknöcherten Mädchen angehören; er warf sich vor, durch seinen Idealisirungsdrang an allem selber Schuld zu sein und sich ein alltägliches Geschöpf solange systema­tisch herausgeputzt zu haben, bis er sich berechtigt glaubte, sie anzubeten; er stellte sich vor, daß er es ja in der Hand habe, der engherzigen Kleinstädterin den Nachweis zu liefern, daß man es doch noch anders anfangen müsse, um einen so wilden, scheuen Vogel wie ihn einzufangen; er weidete sich im voraus an dem Bilde, das der Herr Kommerzienrath und seine vorsichtige Klientin in dem Augenblick darbieten würden, in dem er alle ihre klugen Pläne zu schanden machte, aber warum wollte nur das alles nicht so recht anschlagen, warum zuckte das arme Herz fort und fort? Er zürnte sich selber, er schalt und verhöhnte sich, er rief den Stolz zu Hülfe, der ihn schon über so vieles hinausgehoben und emporgetragen hatte und von dem er hoffte, er werde sich gegen die unwürdige Schwäche empören, aber es blieb doch bei einer Halbheit, und alle Erbitterung und Entrüstung konnte nicht verhindern, daß er die Hände vor die Augen schlug und in hülf­losem Weh stammelte: Also auch sie, auch sie!"

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So ward er hin und hergeworfen zwischen dem leidenschaft lichen Grimm über die ihm angethane Schmach, über den rohen, brutalen Stoß, den man gegen sein Herz geführt, und zwischen der herzbrechenden Traurigkeit über die rettungslose Zertrümmerung und Verwüstung seiner schönen Welt, über den blutigen Hohn, der sein Lohn war für seine aufrichtige, uneigennützige Liebe, und als der Morgen des Wintertages durch die Scheiben herein dämmerte, saß er noch immer am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt und mit müden, erloschenen Augen vor sich hinſtarrend. Die Lampe, deren Docht das Del verzehrt hatte, glomm nur noch in mattem, unsicheren Schein und war nahe am Verlöschen, als er sich endlich noch für ein paar Stunden auf sein Lager warf. Er war so müde, daß er kaum noch eines klaren Ge­dankens fähig war, und doch wollten die schweren, schmerzenden Lider sich nicht schließen, und wie sehnte er sich nach Ruhe, nach Schlummer, nach noch so kurzem Vergessen! Am liebsten wäre er garnicht wieder aufgewacht; was sollte er auch in einer Welt, die für all die rosigen Träume einer poetisch angelegten Natur nur trostlose Enttäuschungen hatte? Er hatte keine An­lage zum Pessimismus, aber in dieser schmerzensreichen Nacht legte er sich, doch mit bleichen Lippen die Frage vor, ob die weich herzigen Träumer, die ohne ihre Illusionen nicht leben können, nicht vor Efel und Abscheu sterben würden, wüßten sie, wie denn eigentlich die Welt und die Menschen sind, die sie durch gefärbte Gläser sehen müssen, um sie erträglich zu finden. War die Welt nicht für jeden einzelnen eine andere, war sie nicht vielleicht für jeden eben nur die Welt, die in seinem Auge sich spiegelte, und hing nicht alles von der Konstruktion dieses Auges ab? Und er spann den Faden dieses Gedankens, der ihm kam, als er sich wieder erhob, in trübem Sinnen immer weiter, und als er lang sam und mit schleppendem Schritt in's Comptoir ging, war alles in ihm wie ausgebrannt, und ein leises Frösteln ließ seine Zähne aufeinander schlagen. Frau Meiling, an der er im Hausflur vorüberkam, fragte erschrocken:

Aber, um Gotteswillen, Herr Hammer, wie sehen Sie aus? Sie sind ganz gewiß frank; wollen Sie Sich nicht wieder zu Bett legen, soll ich nicht den Arzt holen? Was in aller Welt ist Ihnen denn nur zugestoßen?"

Nichts, nichts, Frau Meiling!" lautete die müde Antwort. ,, Und mit dem Zubettgehen und Doktorn wird nun vollends nichts. Ich bin ein wenig übernächtig, das ist alles, und Sie brauchen Sich keine Gedanken zu machen."

Dadurch ließ sich die gute Frau freilich nicht täuschen; sie sah ihrem Miethsmann besorgt nach, schüttelte das graue Haupt und murmelte: Er hat gewiß wieder die ganze Nacht geschrieben, und das kann unmöglich gut sein. Was er nur immer zu schreiben

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haben mag? Es wäre ihm viel zuträglicher, sich bei Zeiten auf's Ohr zu legen und ordentlich zu schlafen; er arbeitet doch den Tag über genug und könnte sich nachher Ruhe gönnen." Als Wolfgang abends heimkam, fing sie ihn ab und sah ihm forschend in's Gesicht. Er bemerkte es und sagte scherzend, wie schwer ihm auch das Scherzen fiel:

Nun, sehe ich wieder manierlich aus? Es war nur eine kleine Staupe, die man beim Arbeiten am schnellsten und leichtesten über­windet."

Aber die gutherzige Alte ließ sich kein für ein U machen; Wolfgangs fahle Blässe, der erloschene Blick seiner Augen und die Schatten unter ihnen entgingen ihrem Scharfblick nicht und sie hörte es auch dem Klange seiner Stimme an, daß nicht alles war, wie es sein sollte. Sie hörte ihn noch lange mit schweren, ungleichmäßigen Schritten oben im Zimmer auf und ab gehen, und auch das beunruhigte sie. Was er nur haben mochte? Aber sie wußte längst, daß sie nicht fragen durfte, und es ließ sich ja hoffen, daß die Geschichte auch wieder vorübergehen würde. Viel leicht war er schon am nächsten Morgen wieder ganz der Alte und wünschte ihr mit einem Scherzwort einen guten Morgen er war ja nie frank gewesen.

Diesmal war er aber doch krank, wenn auch in anderer Weise, als die gute Frau Meiling meinte. Er blieb still, gedrückt und einfilbig, ging schweigend ab und zu und hatte für so manche Frage der alten, braven Frau nur ein mattes, zerstreute, melan­cholisches Lächeln. Manchen Tag kam er ihr so sanft vor, wie nie zuvor, am nächsten Tage schien er von einer nervösen, fiebernden Unruhe beherrscht zu werden, und hatte ungeduldige, fast harte Accente in seiner Stimme. Sie wurde fast irre an ihm, und wenn sie nicht so heillosen Respekt vor ihm gehabt hätte, würde sie am Ende die Frage riskirt haben, ob ihm ein Mädchen zu schaffen mache, und wer denn eigentlich die unbegreifliche Thörin sei, die ihm das Herz so schwer mache, statt mit beiden Händen zuzugreifen. Sie hörte da und dort herum, ohne jedoch nur die leiseste Spur aufzufinden, und Wolfgang kam jeden Abend mit ungewöhnlicher Pünktlichkeit heim, sodaß sich nicht einmal ver­muthen ließ, er mache irgendwo Fensterparade. So blieb das beunruhigende Räthsel ungelöst; die Tage gingen eintönig dahin, und auch in den späteren Abendstunden hielt sich Wolfgang still zu Hause; der Gewohnheit der einsamen Spazirgänge schien er ganz und gar entsagt zu haben.

Solange er in Deutschland   gelebt hatte, war ihm das Fehlen alles Familienzusammenhangs nie so fühlbar gewesen, als in den Tagen vor dem Weihnachtsabend; sich einen Abend nach seinem Sinne durch Anschluß an eine Familie zn verschaffen, war nicht seine Art, während es ihm ernstlich widerstrebte, diesen Abend im Kreise von Schicksalsgenossen im Wirthshause zu verleben. So hatte er sich denn immer ein Fichtenbäumchen besorgt, und mit einem halben Lächeln über diese ächt deutsche Gefühlsweichheit sein Zimmer mit Kerzenschimmer und Nadelduft erfüllt und sich eine Weihnachtsfreude dadurch bereitet, daß er die Lektüre eines Buches begann, das er sich lange aufgespart hatte. Er war dieser Gewohnheit in der Fremde erst recht treu geblieben, kam doch hier noch eine Regung von Heimweh hinzu, das ihm am Christ­abend doppelt schwer auf die Seele gefallen wäre. Nun erlebte er wieder einen Weihnachtsabend in der Heimath, aber diesmal fehlte in seinem Zimmer der weißgedeckte Tisch und das grüne Bäumchen. Er hatte flüchtig den Gedanken gehabt, sich auch dies Jahr nach einer Fichte umzusehen, aber ebenso rasch hatte er ihn wieder verworfen; es war ihm alles zuviel, alles gleich­giltig, und dann wollte er sich auch nicht weich machen. Er mußte hart sein, wenn er seine Rolle bis zum letzten Wort streng und folgerichtig durchführen wollte, und so beschränkte er sich darauf, Frau Meiling ein Geschenk zu machen, das die alte Frau um so tiefer rührte, als sie nicht gewagt hatte, ihrerseits an ein Geschenk zu denken. Außerdem hatte er einigen armen Arbeiter­familien anonym durch die Post kleine Geldgeschenke gemacht- dazu, den Leuten durch Brennmaterial oder Lebensmittel, die er erst hätte einkaufen müssen, eine Freude zu machen, war er doch zu müde gewesen und als er nach Einbruch der Dunkelheit einen Gang durch die Stadt machte und dabei auf ein kleines Mädchen traf, das, die blaugefrornen Händchen unter der Schürze, vor einem Spielwaarenladen stand und die ausgestellten Herrlichkeiten an­staunte, ging er mit ihr, die ihm betroffen folgte, hinein, forderte sie auf, sich eine Puppe auszusuchen, und schüttete, als sie dies gethan, den Inhalt seines Portemonnaies in ihr gedrucktes Kattun­schürzchen und schickte sie mit einem freundlichen: