lebe die Commune!" und drehte sich wieder um, um weiter zu schlafen. Schlafen und sterben waren in dieser Stunde völlig gleichbedeutend für diese durch sechstägigen Kampf erschöpften Männer, von denen am nächsten Tage so vielen tausenden die Erde zum Leichentuch werden sollte. Von Zeit zu Zeit eine un­vollendete und überdies werthlose Barrikade, bewacht von einigen düstern Föderirten, die gebieterisch das Losungswort verlangten und die selbst, nachdem es gegeben war, nicht immer den Weg frei gaben in der letzten, schwersten Stunde glaubt man nur noch an eins, an sein Gewehr.

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Gegen Mitternacht dachten wir daran, uns ein Asyl zu suchen, um einige Stunden zu schlafen. Ueberall verschlossene Thüren fein Mensch antwortete. In der Rue des Amandiers sahen, wir endlich einen Mann auf der Schwelle eines Hauses stehen, der, neugieriger oder unerschrockener als die andern, dem Plazen der Granaten zusah. Wir baten um Einlaß. Ich habe kein Bett!" sagte er und trat zurück, um sich in's Haus zu begeben. Aber wir hatten den Fuß zwischen Thür und Schwelle gesetzt und sagten: Ein Winkel genügt uns!" Wir waren unser vier, er war allein. Ohne Zweifel imponirte ihm unsere entschiedene Haltung, denn schließlich wies er uns in eine Art Schuppen nach der linken Seite der Hausflur.

Wir streckten uns auf dem Fußboden aus, buchstäblich zu Ende mit unserer Kraft. Seit Sonnabend Abend hatten wir fein anderes Bett gehabt. Ich hatte mit Alphonse Humbert, der seit diesem Tage ununterbrochen bei mir geblieben war, während der Nächte im Stadthause, auf dem Boulevard Voltaire  , in der Mairie des 11. und in der des 12. Arrondissements biwadirt. Kaum ein oder zweimal hatten wir eine wirkliche Mahlzeit ge­halten. Schmutzig, mit langem Barte und wirrem Haar, an allen Gliedern wie gerädert, sanken wir in einen unruhigen, oft unterbrochenen Schlaf und sagten uns, daß der nächste Tag vielleicht allen unsern Mühsalen ein Ziel seßen werde. In einem solchen Zustande physischer und moralischer Erschöpfung hat das Leben keinen höheren Werth, als ein Goldstück in den fieberhaft zitternden Händen eines entmnthigten Spielers.

Zwei Stunden nachher, beim ersten matten Tagesgrauen, er­wachten wir. Alphonse Humbert und ich hielten es für räthlich, aufzubrechen; X. und sein Kamerad waren geneigt, zu bleiben. Wir kamen dahin überein, uns volle Freiheit des Handelns zu wahren, und Humbert und ich ersuchten den Concierge, uns hinauszulassen unser Weggang schien ihn innerlich sehr zu

erleichtern.

Die Straße war öde und einsam; wir verfolgten sie bis zu Ende. Am Eingang des äußeren Boulevard stand eine von vier oder fünf Föderirten besetzte Barrikade. Man verlangte uns das Losungswort ab es war Charles Cherbourg. Auf dem Boule­vard angelangt, wendeten wir uns zur Linken; überall Dede und Schweigen. Wir kamen überein, bis zur Mairie des 11. Aron dissements vorzubringen. Vom Mittwoch bis zum Freitag war diese Mairie das Hauptquartier des Widerstandes gewesen, und wir wußten, daß sie noch am Abend vorher von den Unsrigen besetzt gewesen war.

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Augenblick zu verlieren hatten, verließen wir uns auf unser gutes Glück und klingelten am ersten besten Hotel. Es war am Ein­gang der Rue Richard le Noir, welche auf den Mairieplat mündet. Das Hotel war ein sehr bescheidenes, eine Art Hotel garni; im Erdgeschoß befand sich eine( natürlich geschlossene) Weinhandlung mit Weinstube. Auf unser hastiges, fräftiges Klingeln öffnete fich die Thür des Hotels; eine Frau erschien auf der Schwelle und fragte: Was wünschen Sie?" Sie mochte vierzig Jahre alt sein und sah freundlich und anständig aus; sie betrachtete uns mit neugieriger Miene." Zwei Betten, Madame, sagten wir. Sie erwiderte ohne Zögern:" Treten Sie ein!" rief eine Magd und befahl ihr, zwei Zimmer für uns in Stand zu setzen. Als dieselben bereit waren, hieß sie uns hinaufgehen, ohne nach Namen oder Papieren zu fragen. Zum ersten male seit sechs Tagen genossen wir einer furzen, wirklichen Ruhe. Aber unsere seit langem so gewaltsam angespannten Nerven vertrugent keine lange Rast. Um 7 Uhr springe ich an's Fenster und gewahre, daß, in einer Entfernung von 300 Metern, die dreifarbige Fahne auf dem Thurm der St. Ambrosiuskirche weht, die auf dem Platz Voltaire   steht, nicht weit von der Mairie. Es war um uns geschehen, wir hatten die Versailler vor der Thür. Wir gingen sofort hinab.

Die Eigenthümerin des Hotels weinte bitterlich. Was gibt's denn?" fragten wir." Ach, meine Herren," antwortete sie, sie erschießen alles. Das ist eine wahre Schlächterei drüben auf dem Plaze." Ich sah Humbert, er sah mich an und unser Ent­schluß war gefaßt. Hören Sie an, Madame!" sagte ich zu ihr, wir wollen Ihnen gestehen, wer wir sind. Wir sind Föderirte; wir werden sicher erschossen, wenn man uns in seine Gewalt be­kommt. Wollen Sie uns verbergen?"

" O gewiß, meine Herren!" erwiderte sie mit Wärme und Eifer. Ich habe einen Neffen, der mich nächstens besuchen wollte, der sind Sie, wenn, es Ihnen recht ist!" Sie zeigte auf mich. Was Sie betrifft( sie zeigte auf Humbert), so hat meine Magd natür­lich Heimathspapiere. Sie wird sie Ihnen geben." Und sie rief die Magd, die gleichfalls ohne Zögern einwilligte.

" Nun wohl, Madame, da ich fortan zur Familie gehöre, will ich Ihnen einen Rath geben. Seffnen Sie Ihre Weinstube!" Nein, ich mag keinen Versailler bei mir sehen." Wenn der Laden verschlossen bleibt, durchsuchen sie das Haus, und wir sind verloren. Deffnen sie hingegen, bekommen sie bei Ihnen etwas zu trinken, so wird man Sie damit verschonen."

Es geschah!- Es kamen Leute der Marine- Infanterie. Ihre Hautfarbe war gelblich, ihre Bewegungen schwerfällig, ihr Blick umschleiert." Gibt es viele Todte?" fragten wir. " Ja," erwiderte einer von ihnen mit verthiertem Tone; wir haben Befehl, keine Gefangenen zu machen; der General will es so;"( sie konnten uns ihren General nicht nennen); wenn sie nicht Feuer angelegt hätten, würde man nicht so mit ihnen ver­fahren, aber da sie es gethan haben, muß man sie umbringen." Hierauf fuhr er fort, indem er sich zu seinem Kameraden wendete: Diesen Morgen ist dort( und er zeigte auf die Barrikade der Mairie) einer in der Bluse gekommen. Wir haben ihn fort­Blöglich bemerkten wir in der Rue de la Roquette Ver- geführt. Ver geführt. Ihr werdet mich doch wohl nicht erschießen? sagte er. sailler. Ohne Zweifel gehörten sie zu denen, die am Abend vor-, O, gewiß nicht. Wir haben ihn vor uns her getrieben und her den Kirchhof Père- Lachaise   genommen hatten. Wir warfen dann-piff uns in eine Querstraße und eilten der Mairie zu. Sie lag schweigsam und öde da; dichter schwarzer Rauch drang aus den Seitenfenstern. Auf dem Platz Voltaire   standen ein Dußend Föderirter. Was wollten die Tapfern noch hier? Sie hatten sich darauf gesteift, ihren Posten zu behaupten. Und doch waren die beiden Geschütze, welche den Plazz Voltaire vertheidigten, be­reits mit zerschmetterten Lafetten zusammengesunken. Derartige Szenen echten Heldenthums haben sich während dieses wunder baren Kampfes an tausend Punkten von Paris   abgespielt, ohne einen Chronisten zu finden.

Wir waren jezt also abgeschnitten; alles war zu Ende. Wir hatten seit Montag den 22. gekämpft; jetzt, Sonntag den 28., war kein Widerstand mehr möglich es war uns also wohl erlaubt, an unsere Rettung zu denken. Aber wohin uns wenden? Humbert wohnte im Quartier Latin  , ich in der Cité Bergère, nahe dem Boulevard Montmartre  , in großer Entfernung vom Play Voltaire  , und ohne Zweifel war man bereits in unsern Wohnungen gewesen, um uns zu verhaften. Es war überdies deshalb unmöglich, diese Viertel zu erreichen, weil wir von 60,000 Mann umringt waren. Andrerseits kannten wir in der Gegend, in der wir uns befanden, feine Seele. Da wir feinen

paffwie er drollig zappelte!"

Wir hörten die Erzählung dieser viehischen Gesellen an und. bemühten uns, zu verhindern, daß uns der Abscheu der Seele in's Gesicht trat, als drei Mann mit einem Korporal hereinkamen. Sie ließen sich im Comptoir einschenken und wir glaubten zu bemerken, daß sie uns scharf in's Augen faßten. Wir versuchten, uns in den Laden zu verfügen, aber bald ward es ersichtlich, daß wir, namentlich von dem Korporal, beobachtet wurden. Wenn ihm der Einfall fam, uns abzuführen, so waren wir Kinder des Todes; in diesem Augenblick waren die Unteroffiziere unum­schränkte Herren über das Leben der Pariser  , in höherem Grade vielleicht als die Offiziere, Es galt augenscheinlich, fed und ruhig Front zu machen. Einer der drei Soldaten sprach mit einem unverkennbaren südlichen Accent. Sie sind aus dem Süden?" sagte ich und näherte mich ihm." Ja," antwortete er. Und aus welchem Drte?" Aus Nérac  !"

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" Da habe ich Bekannte," und ich nannte einen Mann. " Teufel," sagte der Korporal, der nicht aufgehört hatte, mich fixiren, das ist ja mein Vetter."

Ich hatte wirklich mit ihm studirt und sprach davon. Die Stirn des Korporals glättete sich er forderte uns sogar auf,

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