mit ihm anzustoßen. Die Klugheit gebot uns eigentlich, es zu thun; aber wir hatten nicht den Muth, unser Glas mit dem jenigen dieser Unglücklichen in Berührung zu bringen, deren Hände uns noch von dem Blute hingemordeter Föderirter zu raucheu schienen.
Von da an blieben wir in dem hintern Theil des Ladens, um der Aufmerksamkeit der Soldaten zu entgehen, die unaufhörlich das Comptoir erfüllten. Gegen 1 Uhr Nachmittags wollten wir sehen, ob es kein Mittel gebe, die Linien zu passiren. Der Platz der Mairie wimmelte von Soldaten; die einen biwackirten neben ihren Gewehren, die andern hatten sich auf den Trottoirs ausgestreckt und fochten im Freien ab. Sie sahen abgemattet aus und wie Menschen, welche infolge gehabter Anstrengungen gereizt und zur Brutalität geneigt sind. Die linke Mauer der Mairie entlang erblickten wir eine Menge Leichen, die nebeneinander am Boden lagen. Nicht eine erbärmliche Neugierde, es war das herbe Verlangen, die Wahrheit zu ermitteln, was uns vorwärts trieb; wir wagten es, uns zu nähern, auf die Gefahr hin, erkannt zu werden. Die Soldaten hatten auf die Brust der Erschossenen Zettel mit den Aufschriften:" Trunkenbold"," Mörder", " Dieb" gelegt und ihnen mehrfach einen Flaschenhals in den Mund gesteckt.
So suchten diese Kinder des Volkes die Kinder des Volks, welche auch für sie und ihre Freiheit gestorben waren, noch im Tode zu entehren. Wie erhaben erschien uns jetzt jener pariser Föderirte, der die vor den Trancheen gefallenen versailler Soldaten auflas und wie ein Bruder pflegte, und in wie strahlendem Lichte ließ uns die Beschimpfung, welche unsere verblendeten Brüder ihnen zufügten, den Heroismus der Unsrigen erscheinen! Wir konnten uns nicht enthalten, von da bis vor La Roquette zu gehen. Dumpfes Geknatter ließ sich von außen vernehmen. Von Zeit zu Zeit erschien vor dem Thore eine Kolonne Gefangener jeder Lebensstellung, jedes Alters und jeder Kleidung; das Thor schloß sich hinter ihuen. Diese Kolonnen hatten neues Futter für die Mezeleien zu liefern. Das Gefängniß La Roquette war einer der Schlachthöfe, die nach dem Kampfe in Paris eingerichtet wurden. Vom Sonntag bis zum Montag Morgen wurden hier mehr als neunzehnhundert Opfer durch die Mitrailleusen niedergemäht, ohne Ürtheilsspruch, ohne Verhör, einfach auf die Handbewegung eines Bataillonschefs hin, der am Ein
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gang des Gefängnisses stand und nach Willkür und Laune die Opfer bezeichnete.
Wir betrachteten diese Mauern, hinter denen unsere Kameraden röchelten. Seit acht Tagen hatten wir des Grauenhaften gerade genug vor Augen gehabi wir hatten gesehen, wie Frauen und Kindern von den versailler Granaten der Leib aufgerissen wurde, wir hatten unsern Nachbar auf der Barrikade getroffen zusammenstürzen sehen, wir hatten gesehen, wie einer, der erhobenen Armes seine Kameraden anfeuerte, plöglich verstummte und auf dem Pflaster hinschlug, wir hatten an hundert Stellen gewaltige Blutlachen gesehen, doch das war der freudige Tod gewesen, der Tod des Helden. Dieser Tod in Haufen jedoch, ohne Kampf und ohne Rache, dieser Tod durch den dummen, geräuschvoll schnurrenden Mechanismus der Mitrailleuse, dieser Tod im Beisein von Pfaffen, welche die Gebete für die Sterbenden murmelten, erfüllte uns mit eisigem Entsetzen, und regungslos standen wir vor den fluchbeladenen Mauern, die diese Gräuel dem Auge verbargen. Begreift man nun die pariſer Frauen, die den Anblick dieser Henker von Offizieren nicht zu ertragen vermochten und sie in's Gesicht schlugen und verlangten, mit hingeschlachtet zu werden? Wir mußten aber darauf bedacht sein, so oder so aus Paris . zu entkommen. Der Boulevard Voltaire war abgesperrt, wir versuchten, durch das Faubourg St. Antoine zu entschlüpfen. In der Straße Basfroi sahen wir ganze Haufen von Todten aufgethürmt, die man aus allen Winkeln herbeigeschafft hatte; die Einwohner wurden genöthigt, Chlor auf diese Leichenhügel zu werfen. Ebenso zwang man alle Vorübergehenden, beim Abtragen der Barrikaden mit Hand anzulegen.
Offiziere mit wahren Galeerengesichtern überwachten die Arbeiten. Ein oder zwei male wurden wir scharf von ihnen in's Auge gefaßt, aber wir setzten unsern Weg fort, ohne auch nur den Kopf zu wenden. Wir tamen an verschiedenen Freunden vorüber, die uns ebenso wenig zu kennen schienen als wir sie. Auch sie suchten ohne Zweifel einen Ausweg. Aber der Bastilleplay war noch strenger bewacht als der Boulevard Voltaire. Um jedem unglücklichen Zufall auszuweichen, hielten wir es für rathsam, unser Hotel wieder aufzusuchen.
Die gute Frau erwartete uns voll Unruhe. Sie sagte uns, wir hätten eine Unvorsichtigkeit begangen, da wir ja beliebig lange in ihrem Hause bleiben könnten. ( Fortseßung folgt.)
Weltausstellungsbriefe.
III.
Paris, im Mai 1878.
Derjenige, der das politische Motiv, von welchem ich im ersten Briefe gesprochen habe, gewissermaßen erfunden und das Projekt einer Weltausstellung zuerst in die Deffentlichkeit gebracht hat, ist Emile de Girardin , ein begabter Mann, der in der politischen Geschichte Frankreichs seit Beginn der Louis Philipp'schen Regierung eine verhängnißvolle und wenig ehrenhafte Rolle gespielt hat. Man hat ihn mit einer Ratte verglichen, die das Schiff jedesmals verläßt, wenn es im Sinken begriffen, auch mit einem Sturmvogel, der das nahende politische Unwetter vorher anzeigt, und beide Vergleiche sind nicht schlecht gewählt. Er hat jeder Regierung gedient und ist darin das Prototyp aller ruhmsüchtigen Bürger, er war nacheinander der Champion des Königs Philipp, der Republik, des Kaisers Napoleon und jetzt wieder der Republik , zu deren beredtesten Vertheidigern und Lobpreisern er nunmehr gehört. Seine Dienste, die in der That in Anbetracht seiner großen schriftstellerischen und journalistischen Begabung jeder Regierung hochwillkommen waren, haben ihm Geld, Einfluß und allerdings einen etwas zweifelhaften Ruhm eingetragen. Mit dem größten Geschick als Redakteur verbindet er eine genaue Kenntniß der öffentlichen Meinung, und, indem er der letzteren oft in gröbster Weise schmeichelt, weiß er sie im Sinne der jeweiligen Regierung zu beherrschen.
Noch im Jahre 1875 und 1876 war der sogenannte Deutschenhaß und die Sucht nach Rache bei der großen Mehrzahl im französischen Volk sehr en vogue. Die Herren von der Regierung befürchteten Unheil, waren aber klug genug, einzusehen, daß ein verfrühter Rachekrieg gegen Deutschland , welchen die Volksmeinung zu wünschen schien, nur doppeltes Elend über Frankreich bringen werde. Da taufte plöglich, im Februar 1876, der alternde Girardin, welcher sich schon zur Ruhe gesezt hatte, das täglich erscheinende Blatt ,, La France ", und ebenso schnell fast überrumpelte er seine zahlreichen Leser mit dem Vorschlage einer internationalen Weltausstellung im Jahre 1878. Das ,, Petit Journal"( ein kleines Blatt, welches täglich in 400,000 Exemplaren verkauft wird), der Figaro" und einige andere kleinere Blätter be grüßten schon andern Tags die Girardin'sche Idee mit Jubel, gleichsam auf Kommando einer unsichtbaren Macht, welche aber leicht zu errathen
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war. Acht Tage später schon erschien ein Dekret Mac Mahons, welches die Idee der Weltausstellung sanktionirte, und die Eröffnung derselben auf den 1. Mai 1878 festsette. Der Zweck, die kriegerische und überhaupt unruhige Stimmung der Bevölkerung zu besänftigen, wurde fast mit einem Schlage erreicht. Paris insbesondere begeisterte sich für die Idee, jetzt an der Spize aller friedliebenden Völker zu marschiren. Der Coup war überraschend gut gelungen und vielleicht auch deshalb, weil er nicht unpraktisch zu nennen ist.
So begann die Geschichte der Weltausstellung von 1878. Es ist nicht anders als in der Ordnung, Emile de Girardin zuerst zu nennen unter den Männern, die sich um das Zustandekommen des großen Unternehmens besonders verdient gemacht haben.
Wir wollen die Einzelheiten der nächsten zwei Jahre überschlagen. Bereits Ende April 1876 war die Ausstellungskommission, welche die Vorarbeiten zu leiten und die Voranschläge der Kosten zu machen hatte, ernannt. Man hatte sich an kompetenter Stelle geeinigt, daß diesmal die Weltausstellung ganz auf Kosten des Staats hergestellt werde, entgegengesetzt dem Verfahren im Jahre 1867, wo die Regierung mit einer privaten Aktiengesellschaft einen Kompagnievertrag abschloß, bei welcher Gelegenheit dann die letztere auch einen Reingewinn von einer million Franken nach Schluß der Ausstellung ihren Aktionären anbieten konnte. Die Geldmänner Frankreichs , Rothschild , Foult 2c. behandelten das Unternehmen damals als Geschäft, und diejenigen, welche 1867 Paris einen Besuch abstatteten, werden sich noch schmerzlich daran erinnern, wie theuer ihren Geldbörsen dieses Geschäftsprinzip zu stehen kam. Jede Kleinigkeit auf der Weltausstellung war an einen Bächter vergeben, und dieser raubte gemeiniglich das Publikum in schlimmster Weise aus. Die Aussteller mußten theure Miethe für ihre Räumlichkeiten bezahlen, und das Publikum fonnte faum einen Schluck frischer Luft gratis bekommen. An den Kassen wurde nicht gewechselt und auch kein Kleines Geld angenommen, damit dem Pächter des Wechselgeschäfts an den Pforten der Profit nicht verloren gehe. Einer Aktiengesellschaft wurde das Recht übertragen, sämmtliche Stühle und Sitzpläße in der Ausstellung pro Stunde und Minute zu vermiethen und zwar zu un erhört hohen Preisen. Desgleichen hatte der Bierbrauer Fanta die alleinige Erlaubniß, Bier auszuschenken, und that dies, indem er die Seidel durch Fingerhüte ersetzte und dennoch den Preis nicht verminderte.