Volkes erweckt, wie er, der Vielgeschmähte, der eitle und charakter schwache, trotzdem aber wahrhaft geniale Mann; wie sehr man auch seine persönlichen Fehler tadelt die Menschheit hat in ihm einen ihrer erfolgreichsten Vorkämpfer für Aufklärung und geistige Befreiung zu verehren.

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Wie Voltaire der Vater, so ist Rousseau der Erbe der fran­ zösischen Aufklärung; er theilt den Haß gegen das Bestehende, dieser Haß beruht aber auf andern Gründen und strebt nach andern Zielen. Hatte Montesquieu die Macht und Freiheit des englischen Staatslebens dem gedrückten Frankreich als anzu strebendes Ziel vorgeführt, spricht jetzt Rousseau das kühne Wort, selbst England sei ein gedrücktes, freiheitsloses Land; Frei heit und Wohlfahrt könnten nur da kräftig gedeihen, wo das Volk selbst unmittelbar souverän sei,

Derselbe Mann aber, welcher an Kühnheit und Neuheit der politischen Anschauung alle gleichzeitigen Denker und Staats­fünstler weit hinter sich läßt, kämpft zugleich mit dem leiden schaftlichsten Eifer gegen den Atheismus und Materialismus und fehrt zum Gottesglauben zurück, freilich nicht auf Grund der Offenbarung und des Kirchenglaubens, sondern auf Grund des dem Menschen innewohnenden Gefühlslebens.

Rousseau war eben eine ganz neue, tiefe und ursprüngliche Natur, rein aus sich selbst sich entwickelnd, unberührt von allen herrschenden Gesinnungen, Urtheilen und Vorurtheilen; ein Kind des Volkes, liebte er dasselbe und setzte ohne Ausnahme alles in unmittelbare Beziehung zu demselben. Lange hatte er sich nach Freiheit und Unabhängigkeit gesehnt; er, der Geniale, mußte den Bedientenrock tragen und vor hohlen Köpfen sich bücken. Er lernte einsehen, daß diejenige Freiheit, deren Ideal er seit den Drangsalen seiner Jugend im Herzen trug, nicht denkbar ist unter solchen Zuständen der Gesellschaft, die nur den Reichen und Mächtigen Vortheil bringen, unter dem unerträglichen Druck dieses armseligen Staatslebens, das die Gesammtheit unter die Gewalt­

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herrschaft der nur durch zufällige Geburt, nicht durch Kraft und Selugheit Bevorzugten stellt. Seine edle Seele grollt gegen eine unnatürliche Bildung, welche den Menschen zwar verfeinert, aber auch verweichlicht; er grollt gegen den Staat, welcher den Menschen zu unwürdiger Knechtschaft erniedrigt. Die tiefsten Fragen der Menschheit gähren und wühlen in ihm und lassen nicht ab von ihm, bis sie Zusammenhang und feste Gestalt gewinnen; das Alte und Schädliche will er zertrümmern, Neues und Heilbringendes an die Stelle sezzen, die Menschheit zu Glück und Freiheit er­ziehen. Alle seine Schriften stehen mit gleicher Härte und Schroff­heit, aber auch mit gleicher Frische und Zähigkeit im Dienste dieser gewaltigen Aufgabe. Gegen das Veraltete erhebt sich die frische Werdelust des unabweislichen Fortschrittsbedürfnisses, gegen das Erstorbene und Erstarrte die Jugendfrische und Innerlichkeit der nach unverkümmerter Entfaltung lechzenden Menschennatur, gegen die einseitige Sprache hohler Federsuchserei die ansprechende, natürliche Sprache des fühlenden Herzens.

Solche neue, ungebundene, von Grund aus umwälzende Geister sind am besten geeignet, die stockende Geschichte wieder in Gang zu bringen; es liegt etwas Schwärmerisches, Prophetisches in Rousseau ; mit einem biblischen Ausdruck möchte man sagen, er wie Voltaire waren, gewaltige Rüstzeuge" ihrer Zeit. Er war ein wahrer Sturmvogel der Revolution; er sprach aus, was als unbestimmtes Sehnen durch die ganze Menschheit hindurchzog; nicht blos in den Helden von 89 und, 93 sehen wir seine Ein­wirkungen, sondern ebenso in den begeisterten Jünglingen der deutschen Sturm- und Drangperiode, in der Empörung der Schiller 'schen Jugendwerke gegen den Zwang der bürgerlichen Ordnung.

Auch auf seinem Leben und Charakter haften viele und häß­liche Fehler, wir haben es aber blos mit seinen Werken zu thun, uns fümmert das Gefäß nicht, in welchem der Geist eingeschlossen war, der heute noch so mächtig auf uns wirkt. ( Schluß folgt.)

Wie soll man mit Verbrechern umgehen?

Das achtzehnte Jahrhunderte strich die beschimpfenden Strafen, das neunzehnte schafft die Todesstrafe ab. Menschenrechte brechen sich Bahn, müßten sie auch gegen Jahrhunderte kämpfen, Menschen­würde muß geachtet werden, und fordert es auch ein Mitglied der menschlichen Gesellschaft, das im Kampfe um das Dasein ge­fallen ist ein Verbrecher. Die" gute, alte Zeit" der Tortur, des Prangers und des Stockschillings sah in der Strafe nichts als ein Abschreckungsmittel, durch welches ein jeder zum Ver­brechen Geneigte von der Begehung zurückgeschreckt werden sollte; durch die Summe von Uebeln, die der Sträfling zu erdulden hatte, sollte die Lust an der Gesetzesübertretung unterdrückt werden die Strafe des Verbrechers war ein Mittel für den Vortheil anderer. Daher die rohen und unmenschlichen Straf methoden, daher die entsetzlichen Leibesstrafen, welche das Mittel­alter erfand und deren Erzählung schon uns mit Grausen erfüllt, daher die lächerlichen Beschimpfungen, welchen man den Ver­brecher aussetzte, um so auf die Moral des Volfes zu wirken. Man benugte den Verbrecher als Werkzeug, um auf das Gemüth anderer einen wohlthätigen Einfluß auszuüben einen Einfluß, den man nicht einmal erreichte. Denn während die Sittlichkeit gehoben werden sollte, sant sie immer mehr. Weit entfernt mit Schaudern erfüllt zu werden, zogen Familien zu öffentlichen Hinrichtungen fröhlich wie zu Komödien hin, und vor dem Pranger belustigte sich das Volk vielleicht nicht weniger, als einst der ent­nervte, unter Despoten sich beugende Römer, wenn in der Arena Verbrecher und Gladiatoren, deren einziges Vergehen es war, im Kriege gefangen worden zu sein, unter dem Jauchzen der Zu­schauer mit Löwen und Tigern kämpfen mußten. In dem Ver­brecher aber, wenn er mit dem Leben davonkam, regte sich der Troß gegen seine Beiniger, und, statt jetzt einen ordentlichen Lebenswandel zu beginnen, übertrat er von neuem das Gesetz. Einer solch' inhumanen Rechtsanschauung, wie sie diese Zeit bietet, fonnten Freiheitsstrafen nur wenig genügen; die Strafen mußten ja öffentlich sein, wenn der Abschreckungszweck erreicht werden sollte. Noch weniger war ein Bedürfniß vorhanden, für eine nügliche Einrichtung der Strafanstalten zu sorgen; schwere Uebel

sollten den Verbrecher treffen, Besserung erstrebte man für ihn nicht. Erst das Ende des vorigen Jahrhunderts, erst jene Zeit, die mit mächtiger Faust Irrthum und Vorurtheil zu Boden warf und Aufklärung hineinzutragen suchte in all die Finsterniß, welche das Mittelalter zurückgelassen hatte, erst sie ließ auch der Menschenwürde des Sträflings Gerechtigkeit widerfahren. Seit der große Engländer Howard raftlos Nordamerika und Europa durchreist hatte, um die Gefängnisse kennen zu lernen, seitdem er gezeigt hatte, welch' grausigen Anblick die Gefängnisse darböten, seitdem fing man auch an, für des Sträflings Aufenthalt zu sorgen. Mit jener Zeit beginnen auch die Reformversuche auf dem Gebiete des Gefängnißwesens, die auch heute noch lange nicht zum Abschlusse gelangt sind und nicht eher zum Abschlusse gelangt sein werden, als man sich für die Wahl eines bestimmten Haftsystems entschieden haben wird.

Das älteste System, das schon sehr frühzeitig gehandhabt wurde und noch heute die meiste Anwendung, namentlich in deutschen Strafanstalten, gefunden hat, ist das System der ge­meinſanen Haft. Tag und Nacht bleiben die verschiedenen Ge­fangenen zusammen, und jeder Verkehr ist ihnen unter einander gestattet; den Tag über arbeiten sie in gemeinsamen Arbeits räumen, die Nacht bringen sie in gemeinsamen Schlafsälen zu. Von den bessern Elementen erwartet man in dieser Verbrecher gesellschaft immer einen wohlthätigen Einfluß auf die schlechteren, es soll eine segensreiche Wechselwirkung entstehen; der eine soll den andern im Guten zu überflügen suchen und durch diesen Wetteifer eine allmähliche Umkehr der ganzen Verbrechergesellschaft zum Wege der Tugend erreicht werden. Es läßt sich nicht leugnen, daß man dieses System im Laufe der Jahre mannigfach zu ver bessern gewußt hat, dennoch konnte man sich die vielen Nachtheile, die aus dem gemeinsamen Verkehr der verschiedensten Verbrecher entstehen, nicht verhehlen und suchte deshalb auch diesen Nach­theilen zu begegnen. Dies führte zunächst zu dem sogenannten Auburn'schen oder Schweigsystem. Während die Sträflinge die Nacht über in ihren besondern Schlafzellen getrennt bleiben, arbeiten sie den Tag über in gemeinsamen Arbeitsräumen und