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regnerisches Wetter vorherverkündigt. Wäre ihnen die Einrichtung des| sogenannten hundertjährigen, Kalenders bekannt, sie würden sicherlich nicht so fest auf die Wetterprophezeiungen vertrauen. Der hundert jährige Kalender erschien am Ende des 17. Jahrhunderts und hat den Abt des Klosters Langheim   bei Kulmbach   Dr. Mauritius Knauer zu seinem Verfasser, obwohl sein eigentlicher Urheber der seinerzeit große und berühmte Astrolog Stöfler ist, der für 1524 den Welt­untergang durch eine neue Sintfluth prophezeite, weil im Februar dieses Jahres drei Planeten im wässerigen Zeichen der Fische standen! Mit hundert Jahren hat der Knauer'sche Kalender nur das zu thun, daß er für sehr lange Zeit anwendbar ist, keineswegs gibt er die Witterung einer hundertjährigen Periode, sondern von sieben zu sieben Jahren, deren jedes einem der damals bekannten sieben herrschenden Himmelskörper untergeordnet ist. Diese sind Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond, die in der genannten Reihen folge in der Regierung abwechseln. In jedem siebenten Jahre muß also die Witterungserscheinung sich wiederholen; 1883, 1890 2c. muß also dasselbe Wetter herrschen, was 1876 regierte. Die genannten Jahre stehen unter dem Regiment des Mars, der ,, mehr trockne als feuchte Jahre" liebt, wie Knauer uns belehrt. Saturn hat kalte, feuchte Jahre, Merkur   mehr trockene als feuchte und zugleich mehr kalte als warme und daher selten fruchtbare 2c. Aber nicht nur im allgemeinen werden die Witterungsverhältnisse charakterisirt, auch die einzelnen Monate und Tage zieht der hundertjährige Kalender in den Kreis seiner Belehrung. So soll der Februar aller Jahre, die unter der Herrschaft Merkurs  stehen, folgendes Wetter uns bringen: Beginnt trübe und gelind bis zum 3., dann bis zum 6. trübe und kalt, am 8. schön, dann Regen, vom 23.- 26. Schnee und etwas Kälte." Da nun das Jahr 1900 unter Merkur   steht, so verdanken wir dem hundertjährigen Kalender schon jetzt die Kenntniß des Wetters für Februar des genannten Jahres. Auf gleiche Weise können wir für jedes beliebige Jahr schon jetzt das Wetter erkunden. Jeder Einsichtige muß erkennen, wie unsinnig dem­nach die Angaben der Witterungsverhältnisse nach dem hundertjährigen Kalender sind, und an seinem Theile dazu mitwirken helfen, daß diese dem Geist der Zeit hohnsprechenden Witterungsnotizen aus unseren Kalendern verschwinden. H. St.

Mittel gegen den Baumblüthen schädliche Insekten. Jährlich hört man die Klage, daß Früchte, wie Aepfel, Birnen, Pflaumen, Würmer enthalten, welche sie beschädigen und verderben. Ursache sind gewisse Insekten, welche während des Blühens sich auf die Blüthen werfen, die Fruchtknoten anbohren und ein Ei hineinlegen, das sich in der Frucht entwickelt, sich von ihrem Fleische nährt und sie erst ver­läßt, wenn die Metamorphose zum vollständigen Insekt vor sich geht, welches dann im nächsten Jahre wieder Blüthen beschädigt. Man hat gegen diese Insekten ein Mittel gefunden: sie können den Essiggeruch nicht vertragen. Es genügt also, um sie zu entfernen und selbst um sie zu tödten, die Zweige der Bäume zur Zeit der Blüthenentwicklung mit einer Mischung von Essig und Wasser zu besprengen. Man wendet einen Theil Essig und neun Theile Wasser an, mischt gut und besprengt mittels einer Gießkanne die Knospen damit. Die Erfahrung hat er= geben, daß so behandelte Bäume mit Früchten, und guten Früchten, bedeckt waren, während andere nicht so geschützte Bäume fast nichts trugen. Dr. B.-R.

Ein neuer Kurirschwindel. Zu dem unter gleichem Titel in Nr. 33 d. J. enthaltenen Feuilletonartikel über den Mattei'schen Geheim­mittelschwindel geht uns von einem homöopathischen Apotheker die be­richtigende Mittheilung zu, daß er das Depot jener Mattei'schen Mittel nicht infolge eines Protestes homöopathischer Aerzte, sondern schon vor Sieben Jahren aus eigenem Antriebe aufgegeben habe. Er habe diese Mittel nur sehr kurze Zeit geführt und seine Firma von dem Augenblicke an, wo man gewußt, daß man es nur mit einem plumpen Schwindel zu thun habe, nicht durch Begünstigung desselben beflecken wollen.

Kerztlicher Briefkasten.

Berlin  . C. G. Sie können keinen Arzt zwingen, Ihr Kind mit einer Lymphe zu impfen, die Sie ihm besorgt haben. Ebensowenig fann Sie aber auch der Arzt zwingen, Ihr Kind abimpfen zu lassen. Von Airy's Naturheilmethode ist nichts zu halten.

Hamburg  . R. L. Wildunger Brunnen ist allerdings gegen chronische Blasen- und Nierenleiden, namentlich gegen die mit Steinbildung ver­bundenen Katarrhe der Harnwege sehr oft von wesentlichem Nuzen. Doch hängt die Auswahl unter sehr vielen ähnlich wirkenden und sich doch von einander unterscheidenden Quellen stets von den individuellen Verhältnissen des Kranken ab, weshalb wir Ihnen empfehlen, zuvor mit einem Arzte zu sprechen, der Sie und Ihren Harn untersuchen kann.

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Ueberhaupt sollte niemand ohne ärztliche Einwilligung eine Brunnenkur brauchen, da grade auf diesem Gebiete viel gesündigt und geschwindelt wird. Zum Beispiel ist der mit dem ungarischen Bitterwasser getriebene Mißbrauch gradezu ein schreckenerregender. Es können durch den konsequenten Gebrauch eines so drastisch wirkenden Mittels ganz unheilbare Darmstörungen entstehen.

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Breslau  . Frau H. Bleiben Sie nur bei der Milch. Sie ist für Kinder bis zum ersten Lebensjahre die einzige und passendste Nahrung. An Zuckerwerk und Teigwaaren", sagt Sonderegger ,,, gehen in Städten und auf dem Lande tausende von Kindern uunöthigerweise und vor­zeitig verloren." Es ist unglaublich, welche werthlosen und einseitigen Nahrungsmittel in aller Herren Länder den armen Kindern in den Mund gesteckt werden, nur um den Gebrauch der Milch zu verhüten. Das Wiegenkind des Bettlers bekommt eingeweichtes Brot mit Wasser, das Bauernkind kleberarmen Weißmehlbrei mit Milch, das vornehme Stammhalterchen vollends nur Tapioca, Arrowroot oder Reismehl, auch Salep, dessen Gummischleim gänzlich unverdaulich ist, und alle diese Kinder erkranken und sterben an der Einseitigkeit ihrer Stärke­mehlnahrung."

J. N. in Solingen  , Gustav R. in Berlin  , R. J. in Hohen= stein und ein Abonnent in Reichenberg wollen sich an Aerzte am Orte wenden, da sich das Leiden derselben ohne Untersuchung nicht be­urtheilen läßt. W. M. in Berlin   wolle die Einreibungen mit Kampher­spiritus unterlassen. P. St. in Berlin  . Warum nannten Sie Ihren Namen und Ihre Adresse nicht, damit wir Ihnen schreiben konnten? Die übrigen bis zum 7. Juni eingegangenen Briefe wurden, soweit es thunlich, direkt beantwortet. Dr. Resau.

Redaktions- korrespondenz.

Breslau  . F. B. Was Jhr ,, Stein der Weisen", bestehend in der Aegyptentafer" eigentlich soll, begreifen wir nicht; noch weniger, was dergleichen beweisen fönnte. Sie mögen es recht gut meinen, hätten aber offenbar mit der Entwicklung Ihrer eigenen

Dentfähigkeit noch alle Hände voll zu thun.

Worms  . M. J. Bebel nimmt in seinem Artikel ,, Zur Kulturgeschichte des Orients" diese Barbaren  ", die Muhamedaner nämlich, nicht mehr in Schuß, als durch die Ge= schichte gerechtfertigt ist. Die Türken der Gegenwart stehen den europäischen   Christen an Intelligenz und Gesittung im allgemeinen unzweifelhaft nach; ihre mittelalterlichen Vor­fahren standen aber großentheils ebenso sehr den unter der Herrschaft des Papstthums geistig und sittlich unbeschreiblich verkommenen chriftlichen Völkern voran. Ihre Sen bung, welche an die Expedition der N. W.  " hätte gerichtet sein sollen, ist nun auf dem Umwege über die Redaktion ersterer zu Händen gekommen.

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Berlin  . A. Die Ehe soll unserer Auffassung nach nicht nur ein Vertrag zum Zweck der Erzeugung und Erziehung von Kindern sein, sondern auch eine Vereinigung von Mann und Weib zum Zwede geistiger und fittlicher Ergänzung und Unterstüßung. Insbesondere ist die Ehe insofern von höchster sittlicher Bedeutung, als sie Eltern und Kinder anhält, die Besonderheiten anderer Menschen kennen und respektiren zu lernen, und den ordinären Egoismus des ganz auf sich selbst beschränkten Menschen zu Gunsten der edleren Sorge für nächststehende andre aufzugeben. In diesem Betracht ist die Ehe und die Familie in der That die Grundlage des Staates, der desto besser seine in der Förderung des Wohles aller seiner Angehörigen bestehende Aufgabe zu lösen vermag, je mehr es gelungen ist, an die Stelle der rohen Jchsucht die Freude an der Förderung fremden Glückes zu segen.

Genf  . 2. S. d. V. Das einzige Drama, welches wir Ihnen zu Ihrem Zwecke mit gutem Gewissen empfehlen können, ist das historische Schauspiel ,, Madame Roland  ", von M. Kautsky, im Verlage von Rosner in Wien   erschienen. Wenn Ihrem Verein einige Mittel und eine nicht zu kleine Anzahl sehr strebsamer Kräfte zur Verfügung stehen, tönnen Sie dasselbe zur Aufführung bringen. In jedem Falle wird Ihnen das Studium des Stückes, das Lesen desselben mit vertheilten Rollen oder auch der Vor­trag durch einen deklamatorisch besonders begabten Mann zum Vortheil und zur Be friedigung gereichen. Die sonst vorhandenen ,, sozialistischen Theaterstücke" sind gewiß alle aus dem redlichen Streben, etwas Tüchtiges zu leisten, hervorgegangen, und einer und der andre der uns bekannten Verfasser ist auch allgemeinliterarisch trefflich be­anlagt, aber das Drama soll die Krone der poetischen Produktion sein; Kronen aber erringen auf dem Gebiete des Geistes nur die höchst begabten, und auch diese nur nach ernsteftem Studium und sorgfältigster, mühevoller Arbeit. Sie können Sich übrigens, ohne Furcht, an Ihrer sozialpolitischen Gesinnung Schaden zu leiden, an die Werte der großen deutschen Dichter wagen, vor allen an Schiller und Goethe, und werden bei diesen Geistesfürsten reiche Schäße gediegenen Gedankengoldes vorfinden und gemein­schaftlich zu studiren und zu deklamiren genug haben. Was mit Ihrer sozialistischen Gesinnung in den Werken dieser und anderer Größen der deutschen Literatur nicht har­monirt, das können Sie bei der tausendfältigen Anregung Ihres Geistes und Gemüths, welche Ihnen darin zutheil wird, getrost in den Kauf nehmen. Des frühverstorbenen genialen Georg Büchner   großartiges Drama Dantons Tod  " empfehlen wir Ihnen übrigens zur Lektüre selbstverständlich auch auf das wärmste.

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Wittorf  . F. R. Die fünffilbige Charade ist in der Form sehr hübsch und ließe auch in den Gedanken garnichts zu wünschen übrig, wenn Sie als Auflösung einen Gegen­stand gewählt hätten, der für die Befriedigung der geistigen Bedürfnisse des Armen größere Bedeutung hat. Die dreisilbige Charade ist politisch nicht ganz unbedenklich und in den beiden ersten Berszeilen auch formell nicht so gut. Die erstere werden wir ge=

legentlich, vielleicht mit einer oder der anderen Korrektur, verwenden.

Barmen. K. Sch. Ihre Novelle., Arm und Reich" ist Ihrem Wunsche gemäß an Sie zurückgesendet worden. Frdl. Gr.

Kopenhagen  . G. H. Ihre neueſte Busendung vermochten wir noch nicht zu prüfen. Sind Sie, wie beabsichtigt, während der Pfingstfeiertage auf Bornholm   gewesen, so senden Sie uns vielleicht eine kurze Beschreibung des Ausflugs nach dieser wenig be­tannten Ostseeinsel.

Leipzig  . Dr. M. V. Die Biographie Berangers soll im nächsten Quartal zum Abdruck gelangen. Ihre in unsern Händen befindlichen satirischen Gedichte erscheinen uns für die N.." nicht bedeutend genug.

Eine Anzahl der für diese Nummer bestimmten Korrespondenznotizen mußte für die nächste reservirt werden. ( Schluß der Redaktion: Dinstag, den 11. Juni.)

Inhalt. Ein verlorener Posten, Roman von R. Lavant  ( Fortseßung).- Voltaire und Roussean und ihre kulturhistorische Mission, von C. Fehleisen( mit dem Porträt Rousseau's  ). Wie soll man mit Verbrechern umgehen? Wie ein Communard den Versaillern entkam, von Lissagaray  ( Forts.). Merkwürdige Gelehrsamkeit. Lasciate ogni speranza, Gedicht von 2. Jacoby. Weltausstellungsbriefe.( III. Schluß.) Voltaire und die Genfer. Ein mittelalterlicher Hochzeitszug( mit Illustration). Ueber den hundertjährigen Kalender. Mittel gegen den Korn­blüthen schädliche Insekten. Ein neuer Kurirschwindet. Aerztlicher Briefkasten. Redaktionskorrespondenz.

Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Plagwizerstraße 20).- Expedition: Färberstraße 12. II. Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .