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fie sich keine Hoffnung machen auf Lohn im Jenseits", denn das hänge von der Gnadenwahl" ab. Nur wen der Herr von vornherein dafür bestimme, werde eingehen dürfen in sein Reich. Sein Gott regierte also rein nach Willkür. Daß diese Lehre recht schlimme Wirkung hervorbrachte unter Menschen, die sich einmal gewöhnt hatten, nur im Hinblick auf das" Jenseits" zu handeln, konnte nicht fehlen. Die sittenlosesten Bewohner Genfs und deren Familien waren in der Folge die Anhänger des Re­formators.

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Um die verderbte Welt im Zügel zu halten, gab es natürlich nach der Anschauung Calvin's   nur ein Mittel: äußerste Strenge. Er gestaltete nach und nach die Gesetze Genfs in diesem Sinne um. Schon leichte Vergehen wurden streng bestraft, barbarisch aber die Verbrechen, die er für schwere erklärte. Mit dem Be griffe Majestätsverbrechen  " wurden die Genfer erst durch ihn bekannt, und wie es sich von selbst versteht bei einem solchen Erleuchteten des Herrn" war Majestätsverbrechen   jede von der feinigen abweichende religiöse Ansicht, ja mit der Zeit wurde dazu gestempelt jeder leiseste Widerspruch gegen den frommen Mann. Denn, schrieb er einmal, wer mich beleidigt, beleidigt Gott   Vater, Gott   Sohn und den heiligen Geist." Seine Todesurtheile wurden noch dadurch schrecklich, daß er das Lebendigverbrennen, das ganz abgekommen war, wieder einführte. Auch die Folter, die in Genf   damals kaum mehr gekannt war, wurde nun bei jedem gerichtlichen Verfahren mit aller Grausamkeit angewendet. Da­neben ersann er für kleinere Vergehen entehrende Strafen, namentlich wurde kein Angeklagter entlassen ohne öffentlich Buße gethan und Versprechungen aller Art im Sinne eines bornirten Bigottismus gemacht zu haben. Damit aber ja kein Verbrecher" seiner Strafe entgehen könne, wurde ein weitverzweigtes, schmach­volles Spionirsystem eingeführt. Bei solchem Verfahren verfolgte der Reformator einen doppelten Zweck: er wollte die Menschheit im Glauben befestigen und die Ehre Gottes erhöhen, und dann fonnte er mit seinen drakonischen Gesezen leicht alle Gegner, ja schließlich seine persönlichen Feinde treffen. Und als persönlicher Feind betrachtete er in seinem Fanatismus zuletzt jeden, der nicht sein blinder Nachbeter war, wie er überhaupt nichts weniger um sich dulden konnte als unabhängige Gesinnung, eignes Ürtheil. Deshalb nahm auch allmählich unter seiner Partei Kriecherei und Charakterlosigkeit entsetzlich überhand. Die Vertheidiger der alten genfer Gesetze verfolgte Calvin   von Anfang an mit besonderer Rücksichtslosigkelt. Eine große Zahl dieses besten Theiles der Bevölkerung wurde entweder förmlich verbannt oder durch Be­drohung und mannigfache Quälereien aus der Stadt vertrieben. Denn natürlich konnte der Herrscher die Hinrichtungen nicht gleich zu massenhaft vornehmen. So wurde die Mehrzahl seiner poli­tischen Gegner verjagt, ihr Vermögen eingezogen und zum Besten der neuen Lehre und ihrer Verfechter verwendet. An Stelle der vielen Vertriebenen fanden tausende seiner Landsleute Aufnahme in der Stadt. Zum Theil kamen sie allerdings nach Genf  , weil sie ihrer Ueberzeugung wegen anderwärts verfolgt worden und in der Hoffnung, hier eine Stätte freier Forschung zu finden. Diese sahen sich indeß sehr bald getäuscht, ja sie fanden daselbst oft schlimmere Behandlung, als die gewesen wäre, der sie ent­flohen waren. Große Massen der nach der Stadt am Leman strömenden Franzosen tamen, wenn auch dem Namen nach als Flüchtlinge, in der Absicht, unter der Diktatur ihres Landsmannes auf Kosten der Einheimischen ein behagliches Leben zu führen. Wenn diese Leute nur blindlings den Geboten des Reformators folgten und allenfalls äußerlich sich als fromme Christen zeigten, durften sie gewiß sein, von demselben auf alle Weise unterstützt und selbst bei wirklichen Verbrechen( wie dies sehr häufig vorkam) höchst glimpflich behandelt zu werden. Wie wenig diese Menschen, welche mit der Zeit die Hauptstüße Calvin's wurden, wegen ihrer religiösen Ueberzeugung nach dem Eldorado des Protestantismus gewandert waren, beweist die Thatsache, daß von ihnen in der Folge zwei Drittel zum Katholizismus zurückkehrten.

In dieser Weise hatte der Verfechter der Reformation in Genf  seine Partei zu der überwiegend größern gemacht. Aber neben diesem systematischen Vertreiben unliebsamer Personen wurden gleichwohl immer noch Todesurtheile genug vollzogen. So allein in den Jahren 1542-46 achtundfünfzig( 30 an Männern, 28 an Frauen). Davon wurden 10 enthauptet, 13 gehenft, 35 lebendig verbrannt. Wahrscheinlich waren diese Opfer nicht alle Partei gegner des großen" Mannes, hie und da mag vielleicht auch ein wirklicher Verbrecher den unmenschlichen Gesetzen verfallen sein, indeß ist aus den Aften zu ersehen, daß die Schuld Sämmt­

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licher nicht erwiesen werden konnte, und als sicher ist demnach anzunehmen, daß noch weit mehr Menschen gänzlich unschuldig waren als blos 38, die wegen Zauberei" und" Bestverbreitung" ihr Leben lassen mußten. Wahrlich, wenn man nur die Gräuel­thaten aus den 4 Jahren in's Auge faßt, sollte man genug haben an diesem Verbreiter eines, aufgeklärten" Christenthums! Allein das Bild des Glaubensstreiters soll noch etwas weiter ausgeführt werden. Damit man nun nicht einwenden kann, es sei ausgeschmückt oder zu unbestimmt gehalten, sei hier eine Liste vorgeführt, welche die hervorragendsten Opfer Calvin's   nennt, sofern sie Fremde, keine Einheimischen waren, weil bei diesen be­hauptet werden könnte, politische Rücksichten möchten vielleicht Calvin   bestimmt haben, gegen seine Neigung strenger zu verfahren als er es sonst gethan haben würde.

Lebendig verbrannt wurden im Jahre 1553 Servet, 1562 d'Argillière; hingerichtet 1558 Gentili; gebrandmarkt und ver­brannt wurden die Drucker Norbert und Billount( 1561-63); gefoltert, gepeitscht und dann verbannt: F. Bellot, G. Dubois und der Pole Thomas Alexander( 1545-47-59); verbannt unter Androhung des Todes: T. Mesquin, J. P. Alciat und S. Telio ( 1558-59); lebenslänglich verbannt unter Androhung der Peitsche: J. Bolser, G. Guainier, F. le Teinturier und M. Antoine ( 1551-56); außerdem verbannt und vollständig zu Grunde ge­richtet oder durch Verfolgung vertrieben: die berühmten Italiener Gribaldo und G. Blanderate( 1555-58); Carignan, Gallo, Giustiniano und Zucchi, der begabte Castalion, C. Dumont u. a. ihrer Nachfolger im Rektorat der Schulen, endlich die Pfarrer Caroli, de la Mar, Mégret, Champereau, Veyron, Essautier, M. de Villiers und noch viele.

Was die Verfolgungen besonders verabscheuungswürdig macht, ist, daß die Betroffenen Schicksalsgenossen Calvin's   waren, Flücht­linge wie er selbst, wegen ihrer religiösen Meinungen aus der Heimath vertrieben, und daß er, während ihm in seinem Refugium Macht und Ansehen erblühte, die bevorzugte Stellung benüßte, die Aermsten vollständig zu verderben, denn in den meisten Fällen war die Vertreibung aus dem Asyl so schlimm wie ein Todes­urtheil, manchem mochte sie noch schlimmer erscheinen. Und alles nur, weil diese Leute, mit einer Ausnahme durchweg gläubige Protestanten, in ganz untergeordneten religiösen Fragen von dem Seigneur"( Lehensherr), wie er sich nennen ließ, abwichen, nach unseren Begriffen jedoch sehr orthodox waren. Der einzige unter den Genannten, der etwas weniger gläubig, war der Spanier Miguel Servede. Er war ein höchst begabter Mann, der sich nach Vienne   in Frankreich   zurückgezogen hatte und dort als Arzt und als Korrektor sein Brod verdiente. Er leugnete die Dreieinigkeit, weshalb sich Calvin   längere Zeit umsonst bemühte, ihn in seine Gewalt zu bringen, denn sogar der Bischof nahm sich seiner an. Leider war Servede, obgleich er schon einmal nur mit genauer Noth den Fangarmen Calvin's   entronnen, so unvorsichtig, auf einer Reise nach Neapel   sich in Genf   aufzuhalten. Er wurde festgenommen und verklagt. In diesem Falle zeigt sich Calvin  nicht nur in seiner ganzen grausamen Verfolgungssucht, sondern er wird uns auch noch verächtlich durch Feigheit und Lüge. Es bestand nämlich in Genf   das Gesetz, daß jeder Ankläger gleich­zeitig mit dem Angeklagten gefangen gehalten werde. Aber dazu hatte der Reformator keine Lust. Ein Strohmann" mußte für ihn in's Gefängniß wandern. Servede wurde zum Feuertode verurtheilt und im Oktober 1553 bei langsamem Feuer lebendig verbrannt! Da waren doch die fanatischen Katholiken milder als sie in Florenz   ein halbes Jahrhundert zuvor Savonarola  , ehe die Flammen ihn verzehrten, erdrosselten!-

Von den scheußlichen von Genfern verübten Justizmorden seien nur wenige erwähnt. Zuerst kam derjenige von Jakob Gruet. Mit den fürchterlichsten Folterqualen( oft wurde die Tortur in einem Tag mehrmals angewendet) wollte man den Mann, der nicht willig jedem despotischen Gesetze des Diktators zustimmte, dazu bringen, sich des Majestätsverbrechens" schuldig zu bekennen. Er wurde nach langen Martern 1546 hingerichtet.

Eine reichere Ausbeute für die Verfolgungssucht des Refor mators bot der unter dem Vorwand eines ausgebrochenen Auf­ruhrs erfolgte Staatsstreich im Mai 1555. Nach mehreren Wochen entsetzlicher Martern wurden die Brüder Comparet, Claude Genève u. a., die Calvin's Haß erregt hatten, qualvoll hin­gerichtet, überhaupt damals fürchterlich gehaust. Ein Fr. Daniel Bertholier wurde erst sicher gemacht, um dann desto gewisser den Schergen in die Hände zu fallen. Nach zweimonatlichen Folter­qualen ward er enthauptet. Nur mit Abschen kann man die in