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war. Daß Voltaire den finstern Soldatenkaiser, wo er nur gefonnt, verhöhnt und gekränkt hätte, wenn er nicht 18 Jahre vor Nikolaus Geburt gestorben wäre, ist gewiß niemand zweifelhaft; daß er aber noch lange nach seinem Tode und bis an Nikolaus Ende ihn beunruhigt, verfolgt und mehr als einmal in Wuth gebracht hat, dürfte manchen überraschen. Es ist eine kleine Hofgeschichte, die hier nacherzählt werden soll; eine Geschichte, die nicht allein interessant ist, weil der geistreichste Mann der geistreichsten Nation ihr Held ist, sondern weil sie auch die alle Gewalt über wältigende Macht des Geistes beweist. Ob sie sich genau so zu getragen hat, dürfte wohl gleichgiltig sein; daß sie in russischen und deutschen Hoffreisen erzählt und geglaubt worden ist, genügt
vollkommen.
Eine lange Reihe von Jahren verging. Rußland hatte Persien niedergeworfen und Armenien erobert, die Türken besiegt, Adrianopel genommen, Handelsfreiheit mit der Türkei und freie Schifffahrt im Schwarzen Meer erzwungen, die polnische Revolution von 1830 gebändigt und die polnischen Freiheitshelden mit unerbittlicher Grausamkeit niedergemezelt oder, was schlimmer war, in Sibiriens Bergwerke deportirt; und im Innern waren ebenso erfolgreiche Kämpfe geführt worden gegen alles, was auch nur entfernt nach Freiheit und politischer Selbstständigkeit der Unterthanen aussah.
Kurz vor 1830 hatte ein beispiellos scharfes Censuredikt die lezte Möglichkeit einer freien Meinungsäußerung in Rußland vernichtet, und ein Reglement über den Vortrag der Wissenschaften auf den Universitäten hatte auch die höchsten Lehranstalten in die spanischen Stiefeln des Militärdespotismus eingeschnürt. In den dreißiger Jahren ward die eiserne militärische Zucht über die ganze Civilverwaltung ausgedehnt, gleichzeitig wurde Rußland durch alle nur denkbaren Maßregeln von dem Auslande, welches sich dem Geiste der fortschreitenden Kultur nicht hatte entziehen fönnen, abgeschlossen; so wurde den Fremden die Anstellung, ja sogar der Aufenthalt in Rußland erschwert, und die Russen mußten sich das Recht, in's Ausland zu reisen, mit theurem Gelde erkaufen und durften überhaupt garnicht auswandern. Nur ein Streben zeigte sich in allen Regierungshandlungen des Czaren: aus seinen Unterthanen eine einzige durch dieselbe Sprache, dieselbe Religion, denselben Knechtjinn unzertrennlich verbundene willenlose Heerde zu machen. Und das Bemühen des Kaisers war so ziemlich mit Erfolg gekrönt worden, da drohte auf einmal wieder das Jahr 1848 mit dem Hereinbrechen revolutionärer Ideen. Um dieselbe Zeit ging mit dem Marmorpalais eine Revolution vor. Der im Jahre 1827 geborene zweite Sohn des Kaisers, Constantin, war der Erbe seines Oheims geworden und sollte sich nun vermählen und das Marmorpalais als großfürstliche Residenz erhalten. Da traf man bei den Reparaturen und Renovationen auf Voltaire . Man erinnerte sich sofort an die Abneigung des Kaisers und verbarg die unbequeme Statue in ein dunkles Kämmerchen unter einer großen Treppe, von dessen Existenz der Czar nicht einmal eine Ahnung hatte.
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Bekanntlich war die Kaiserin Katharina II. von Rußland als aufgeklärte Despotin nach dem Muster Friedrich des Großen den französischen Encyclopädisten, freundlich gesinnt gewesen und hatte besonders für Voltaire Bewunderung empfunden, mit ihm Briefe gewechselt und nach seinem Tode seine Bibliothek erstanden. Dieses letztere Andenken an den großen Franzosen hatte der mit eigenem Geistreichthum sich brüstenden Fürstin aber nicht genügt, sie wollte ein recht sprechendes Abbild von ihm besitzen und ließ sich des halb von dem berühmten Bildhauer Houdon eine Voltairestatue anfertigen. Houdon hatte dem außerordentlichen Manne fein gewöhnliches Denkmal gemeißelt; auf niederem Lehnsessel sigend, in reich drapirtem Gewande, das nur den Kopf und die Hände den Blicken des Beschauers frei läßt, zeigte das Bildwerk eine beinahe unheimliche Lebendigkeit. Der Oberkörper und der fleischlose Kopf, mit dem rungligen Gesicht nach vorn gebeugt, machten den Eindruck, als wenn sich die Statue jeden Augenblick erheben und einem nachschleichen könnte; die Augen hatten für einen Menschen aus Stein etwas ganz erstaunlich durchbohrendes, der Mund lächelte in fataler Ueberlegenheit kurz, die Statue war wirklich ganz Voltaire und ganz dazu angethan, zu frappiren, und Leute, welche nur ein Lächeln und eine Haltung zu sehen gewöhnt waren, die nämlich knechtischer Unterwürfigkeit, gründlich zu ärgern. Ob sich Katharina darüber geärgert hat, berichtet die Geschichte nicht, dafür war dieser steinerne Voltaire für den eisernen Nikolaus nicht nur ein Gegenstand des Aergers, sondern sogar des Hasses, ja der Furcht. Einige Jahre stand die Statue Die Besichtigung des Marmorpalais nach vollendeter Renoin der Bibliothek der Eremitage, jener prachtvollen Residenz vation besorgte Nikolaus natürlich selbst. Er war dabei in ausKatharina's, die nach dem Tode der Kaiserin unbenutzt und vernahmsweise guter Laune nichts wie Lob quoll über seine schlossen blieb. Erst im Jahre 1825 sollte wieder Leben hinein Lippen. Schon wollte er höchst befriedigt den Palast verlassen, kommen, als der neue Kaiser, Nikolaus I. , beschlossen hatte, die als seine Blicke von einem dunklen Winkel gefesselt wurden. Kunstschäße, welche dort in Massen aufgehäuft und fast vergessen Seine scharfen Augen hatten eine kaum bemerkbare Geheimthür waren, wieder an's Licht zu fördern. Zwar hatte Nikolaus, der entdeckt. sonst in allen Winkeln selbst herum zu stöbern pflegte, es anfangs vermieden, die Lieblingsgemächer seiner Großmutter zu betreten; er hatte die oft grausame und mit der Aufklärung nur wie mit einem unglücklichen Liebhaber kokettirende Tyrannin höchst ungerechter Weise für zu freisinnig gehalten, und sie darum eher gehaßt als geliebt. Eines Tages aber fiel ihm ein, man könne die Bibliothekräume zur Vergrößerung der Bildergallerie gebrauchen. Flugs ließ er sie öffnen und schaute nach, wie es wohl da drinnen aussähe. Einladend und freundlich war der Anblick nun gerade nicht- über ein Heer abgegriffener, mottenzerfressener Bücher, die in schnörkelichen Rokokoschränken unordentlich aufgehäuft waren, flackerte ein mühsam durch einstmals grüne, seit langem aber vergilbte Fenstervorhänge sich stehlender fahler Lichtschimmer. Die Luft war dick und dumpfig wie in einer Gruft, und mitten drinnen in dem langen düsteren Gemache hockte ein anscheinend mit grauen Laken umhülltes Skelett, das ganz aller Ehrfurcht bar hocken blieb, als der Kaiser eintrat, und ihn nur angrinste, als hätte es den Allgefürchteten verhöhnen wollen. Nikolaus erfannte das Stelett auf den ersten Blic, es war Voltaire für Nikolaus das tödtlich gehaßte Gespenst der Volksaufklärung. Der erste Eindruck war der eines Schreckens, wie er dem rauhen Soldatengemüthe des Kaisers soust gänzlich fremd war. Den Schrecken löste der grimme Zorn über den Schreck und dessen Veranlassung ab.
" Hinaus mit dem Scheusal; nie wieder will ich's sehen," donnerte der Despot seiner entseßten Begleitung zu und verließ eilends das Gemach und die Eremitage. Der Befehl des Czaren ward vollführt und die Voltairestatue zu schweigsamer Mitternacht stunde in das dem Großfürsten Constantin gehörige Marmorpalais geschafft, welches, da der Großfürst in Warschau residirte, unbewohnt und den gefährlichen Besuchen des Kaisers nicht ausgesetzt war.
,, Was steckt hinter jener Thür?"
Niemand wollte es wissen.
"
Altes Gerümpel wahrscheinlich, kaiserliche Majestät!" " Deffnen sofort!"
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Die Thür fnarrte in ihren rostzerfressenen Angeln und aus stauberfülltem Grabesdunkel starrte hohnlächelnd ein Gespenst hervor das Gespenst des Vaters der modernen Revolutionen. Der Czar war leichenblaß geworden dann übermannte ihn der Zorn. Ohne die Baukommission, welche ihn geführt hatte, noch eines Blickes zu würdigen, unfähig ein Wort zu sagen, nur mit einer ungestümen aber sehr deutlichen Handbewegung die sofortige Entfernung des tödtlich gehaßten steinernen Gastes befehlend, verließ Nikolaus sofort den Balast.
Nun war guter Rath theuer! Wohin mit dem„ vermaledeiten französischen Pavian", dessen Bosheit soweit ging, daß er noch lange nach seinem Tode einen Kaiser um seine majestätische Ruhe und hohe kaiserliche Beamte und Würdenträger um die schönsten Aussichten auf Orden, Rangerhöhungen und Belohnungen aller Art bringen konnte!
Schließlich fand sich noch ein scheinbar ganz sicherer Zufluchtsort für die Statue, die man am liebsten zertrümmert hätte, wenn jemand die Verwegenheit besessen hätte, vom Czaren die Erlaubniß dazu zu erbitten der von Katharina II. für Potemkin erbaute taurische Palast, in welchem allerlei Antiken, darunter auch ein paar verschimmelte Hoffräulein, ein unbeachtetes Dasein führten.
Der achtundvierziger Völkersturm erschütterte Rußlands innere Ruhe nur wenig; dunkle Gerüchte über eine Anfang 49 in Peters burg entdeckte Verschwörung fanden ihren Abschluß in der amtlichen Mittheilung, daß 21 höhere Beamte, Offiziere und Studenten wegen Aufruhrversuchs zum Tode durch Erschießen verurtheilt, aber durch die Milde des Czaren zu ewiger Gefangenschaft in