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„ Wissen Sie denn aber auch, daß Sie Sich eine schlaflose und mir eine traurige Nacht hätten sparen können, wenn Sie mir gestern Abend offenherzig gesagt hätten, daß Sie den Brief eigentlich erst abgeben dürften, wenn Herr Hammer fort sei, daß Sie ihn mir aber früher brächten und daß er erst heute Nacht reise?" „ Ach ja, das wollte ich auch erst thun, aber ich hatte nicht den Muth dazu; die Worte blieben mir in der Kehle stecken und so bin ich schließlich mit schwerem Herzen gegangen, ohne Ihnen eine Silbe gesagt zu haben."
Nun, werden Sie mir nicht wieder betrübt die Nacht, die hinter mir liegt, ist ein geringer Preis für alles Liebe und Gute, das in dem Briefe steht, und alles, was noch dunkel bleibt, muß sich nun klären; wäre Ihr tapfrer Retter freilich schon fort gewesen, so war es zu spät und dann war der Brief recht sehr traurig für mich."
Anna nickte nur Marthas Worte waren ja einigermaßen dunkel für sie, aber sie glaubte sich nicht berechtigt, zu fragen. Sie sagte ablenkend:
„ Es ist gewiß ein recht schöner Brief gewesen, den ich einer andern als Ihnen garnicht gönnen würde. Aber Sie hätten nur sehen sollen, wie traurig und ernst Herr Hammer am Mittwoch war; er wollte sich freilich nichts merken lassen, er that, als wäre ihm alles gleichgiltig, aber ich hätte kein Mädchen sein müssen, wenn ich nicht gefühlt hätte, daß es nicht richtig mit ihm war und daß es eine geheimnißvolle Bewandniß damit hatte, daß Sie den Brief, der ihm so wichtig zu sein schien, erst haben sollten, wenn er fort war. Ich habe absichtlich von Ihnen gesprochen; er zuckte mit feiner Wimper, aber ich sah es ihm an den Augen an, daß ihm das Herz schwer war. Ich habe ihm hoch und heilig versprechen müssen, den Brief nicht früher abzugeben, keine Minute früher, und ich habe es ernst gemeint und war stolz darauf, daß er sich auf mich verließ. Aber als ich dann allein war, da kamen mir so allerlei Gedanken und ließen mich nicht wieder los und ängstigten und quälten mich und zuletzt konnte ich nicht anders ich mußte Ihnen den Brief eher geben. Er brannte mir wie Feuer in den Händen, so oft ich ihn aus meiner Kommode nahm und die Adresse betrachtete in meinem Herzen und in meinem Kopfe ist noch nie eine solche Verwirrung gewesen, wie in diesen paar Tagen. Ich kam nicht über den Gedanken weg, daß er Sie lieben müsse, recht ernsthaft und ehrlich lieben, und das weiß doch auch ich, daß zwischen zwei Menschen, die sich lieben und nicht zusammenkommen können, so leicht ein Mißverständniß entsteht, das gar keinen ordentlichen, vernünftigen Grund hat und doch immer größer und größer wird, bis sie schließlich denken, sie können sich gar nie wieder versöhnen. Und dann machen sie schließlich einen recht thörichten Streich und der eine läuft fort in die weite Welt oder heirathet eine andre, wenn es ihm auch das Herz zerbrechen will und es ist ja nicht immer eine fleine Anna, die mit ihrem einfachen Verstand flüger ist, als der grundgescheidte, gelehrte Herr, der andern helfen kann, sich selber aber nicht! Und ist das nicht auch hübsch? Sehen Sie, jezt möchte ich mir vor Uebermuth die Hände reiben, wie ein ausgelassenes Schulmädchen."
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Martha hatte der Kleinen, die sich ganz in Eifer geredet hatte und deren Augen von innerster Befriedigung blizten, nachdenk lich und lächelnd zugehört und wiederholt mit dem Kopfe zugenickt. Nun sagte sie ernst:
Sie mögen so unrecht nicht haben und Sie geben auch mir in mancher Hinsicht eine beherzigenswerthe Lehre. Was in dem Briefe steht, gibt Ihnen recht, was Herrn Hammer betrifft, und Ihnen darf ich schon sagen, daß Sie errathen haben, was er dachte und fühlte. Aber nun sagen Sie mir an mich mußten Sie doch auch denken; haben Sie mich denn auch errathen? Ich bin ja immer verschlossen genannt worden und mun sagen Sie mir am Ende, daß ich mein Geheimniß doch noch nicht sorgfältig genug gehütet habe."
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Anna lächelte sehr überlegen und fast ein wenig übermüthig. „ Aber Fräulein, von Ihnen wußte ich ja, was ich von Herrn Hammer nur vermuthete- nicht wahr, Sie sind nicht böse, wenn ich das sage?"( Martha verneinte mit leichtem Kopf schütteln.) Denken Sie noch an die dunkle Rose aus Herrn Hammers Garten, die Sie Sich von dem kleinen Mädchen geben ließen? Ich habe es wohl gemerkt, daß Sie sie zu Hause in ein Buch legten und dann habe ich Sie einmal in Pyrmont ohne Absicht dabei überrascht, als Sie die Rose aus dem Buche nahmen und sie küßten, und nun wußte ich gleich Bescheid. Es freute
mich so sehr, daß Sie Herrn Hammer lieb hatten, denn eine bessere Frau konnte er doch auf der ganzen Welt nicht finden, und darum habe ich Ihnen auch, als man so viele Worte über den Schiffer machte, der ein Kind aus dem Rhein zog, recht absichtlich alles erzählt, was ich von dem Krawall in der Fabrik wußte und was ich eigentlich auch für mich behalten sollte. Damals haben Sie gerade so leuchtende Augen gehabt, wie heute, und mir jedes Wort vom Munde genommen und mir so herzlich gedankt, daß ich mir eben auch in aller Stille meinen Vers darauf gemacht habe. Und dann sind Sie auf der Reise so traurig gewesen, Sie wurden so froh, als es wieder heim ging, und das habe ich mir alles zurecht gelegt und gemerkt." Martha erröthete leicht, aber sie war nicht in der Stimmung, sich jetzt ihrer scheuen, hoffnungslosen Liebe zu schämen. sagte einfach: Auch das mag alles richtig sein, und hoffentlich fönnen nicht alle so scharf beobachten; es haben ja wohl auch nur Sie so viel Interesse an mir genommen."
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Sie
" Glauben Sie das nur nicht, Fräulein Martha; ich habe mehrmals von Frau v. Larisch und Fräulein Reischach Andeutungen gehört, die bewiesen, daß sie auch ungefähr wußten, wie es Ihnen Herr Hammer angethan hatte."
Martha hatte den Kopf in die Hand gestützt; dann erwiderte sie entschlossen:
„ Das soll jetzt hoffentlich alles gleichgiltig sein und jedenfalls soll es mich nicht anfechten. Aber nun, Anna, lassen Sie mich allein; ich habe noch vieles vor, das Sie wohl auch freuen wird, und das will überlegt sein. Und über alles, was Sie wissen, halten Sie reinen Mund gegen jedermann. Diesmal müssen Sie allerdings gewissenhaft sein, sonst könnte uns schließlich doch noch alles fehl gehen."
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Anna legte mit einer anmuthig übermüthigen Uebertreibung und einem strahlenden Blick die Linke vor den Mund, die Rechte auf die Brust und neigte zum Zeichen des Gehorsams den Kopf; Martha kounte in diesem Blicke lesen, daß Anna diesmal ihr Versprechen unbedingt halten würde, und die Kleine hatte in der That das Gefühl, als werde erst eine blinde Unterwerfung unter Marthas Wunsch ihren Ungehorsam Wolfgang gegenüber zu einem segensreichen machen. Davon, was Martha nun thun würde, hatte sie freilich kaum eine Vorstellung, als sie mit glühenden Wangen aus dem Zimmer huschte und, ein Liedchen summend, die Treppe hinablief, aber sie verließ sich unbedingt auf die einsam Zurückbleibende und war überzeugt, daß diese es verstehen werde, alles zu einem guten Ende zu führen.
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Mit dem Erwachen des Tages war es auch in Marthas Seele heller geworden; als der Sturm der ersten Erregung vorüber war, ward sie eher wieder eines scharfen Nachdenkens fähig, vermochte sie eher wieder die Verhältnisse kühl und gelassen zu überdenken und fragte sich bald mit einem gewissen Staunen, wie es nur möglich gewesen sei, Wolfgangs Andeutungen so gar räthselhaft zu finden. Es schien ihr jetzt fast selbstverständlich, daß der Kommerzienrath der Mittelsmann" gewesen war, von dem Wolfgang mit so viel Geringschägung und Bitterkeit sprach, und erwog sie, was ihr einst der Rektor über Wolfgang's politische Thätigkeit gesagt hatte, so brauchte sie nur noch die Annahme, daß Frau v. Larisch eines Tages aus Uebermuth oder Langerweile in ihrer leichten, spöttischen, verirenden Weise Herrn Reischach mit den Vermuthungen bekannt gemacht habe, die sie ja nach Annas Angaben wirklich hegte, um sich das weitere im großen und ganzen erklären zu können. Sie kannte den Kommerzienrath und wußte genau, wieviel er sich auf seine Weltflugheit einbildete, wie tief er von der dünkelhaften Ueberzeugung durchdrungen war, ein schlauer Diplomat zu sein und alles fertig bringen zu können; sie hatte sich schon mehr als einmal in die Nothwendigkeit versezt gesehen, Plänen, die er für ihre Zukunft geschmiedet und die er ihr mit großer Selbstgefälligkeit und Siegeszuversicht auseinandergesetzt hatte, auf's Entschiedenste und Kategorischste zu widersprechen, und bei seiner Vorliebe für kruume Wege war es ziemlich naheliegend, daß er versucht hatte, die ihm gewordene Kenntniß in seinem politischen Interesse auszubeuten, auf eine Lüge, das wußte sie, kam es ihm dabei nicht an, und eine edle, zarte, uneigennützige Denkungsweise oder den Stolz einer Ueberzeugung setzte er bei niemandem voraus war es da ein Wunder, wenn er den reizbaren, empfindlichen und stolzen Wolfgang auf's tödtlichste und plumpſte verletzt hatte?
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Sie zweifelte nicht, daß die Auskunft, die ihr Wolfgang vor seiner Abreise noch geben mußte, ihre Vermuthung im wesentlichen bestätigen würde; wenn dem aber so war, wenn ihr Liebes- und