Lebensglück einer erbärmlichen, plumpen Intrigue Herrn Reischachs zum Opfer gefallen war, dann war allerdings ihres Bleibens in seinem Hause nicht länger, ja sie beschloß sogar, unter Zurück lassung eines lakonischen, schriftlichen Abschieds dieses Haus zu verlassen und für's erste ein Asyl bei einem Schullehrer in einem fleinen Dörfchen am Fuße des Riesengebirges zu suchen, dessen Frau eine große Liebe und Anhänglichkeit für sie hegte und von der sie das war sicher auch ohne vorherige Anmeldung mit offenen Armen aufgenommen ward. Sie ging sofort, ent­schieden aber ohne Hast, daran, sich auf die Abreise vorzubereiten; sie konnte eine Strecke weit denselben Zug benußen, der Wolf­gang in die Ferne führen sollte, und dieser Gedanke hatte einen wehmüthigen Reiz für sie. Es war nur das Nöthigste, was sie in einen Koffer packte, den sie durch Annas Vermittlung un­bemerkt im Voraus nach der Bahn bringen ließ; mit Geldmitteln war sie für längere Zeit versehen, da sie die Gewohnheit hatte, sich bei Beginn jedes Vierteljahres vom Kommerzienrath eine bestimmte Summe auszahlen zu lassen. Der Boden brannte ihr unter den Füßen; ihre Augen schwammen in Thränen, aber ihre Lippen preßten sich fest aufeinander und sie empfand es als eine unnennbare Wohlthat, daß sie in ihrem Zimmer bleiben konnte und nicht hinunter zu gehen brauchte. Ter Anblick des Kom­merzienraths wäre ihr unerträglich gewesen und sie würde Mühe gehabt haben, ihm gegenüber ruhig und gelassen zu bleiben. Sie ließ den Frühkaffee, den ihr Dorette heraufbrachte, unberührt; es war ihr, als könne sie in diesem Hause nichts wieder über die Lippen bringen, als müsse hier alles einen faulen, dumpfigen, widrigen Geschmack haben. Und konnte man überhaupt an Essen und Trinken denken, wenn man einen Brief, wie den Wolfgangs, wenn man Verse wie die seinen vor sich liegen hatte, mit der Aussicht, sich einen endlos langen Tag hindurch an diesen bitter­füßen, fummervoll- innigen Worten zu berauschen?

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Während Martha so mit der Entschiedenheit des in ihren besten und heiligsten Empfindungen beleidigten Weibes einen Entschluß faßte, der ihr nicht einmal einen Kampf kostete, saß der Kommerzienrath mit seiner Tochter am Frühstückstisch.

Er war ungewöhnlich einfilbig und verstimmt und suchte er­sichtlich nach einem Ableiter für seine üble Laune. Aber Emmy war nicht gewöhnt, sich von dem Herrn Papa und seinen gelegent­lichen Anwandlungen schlimmen Humors einschüchtern zu lassen und sie unterdrückte die Frage nicht, die ihr schon seit einigen Tagen auf den Lippen schwebte.

Was ich dich schon lange einmal fragen wollte, Papa: Wie steht es mit Herrn Hammer und Martha? Du wolltest doch dafür sorgen, daß er endlich mit der Sprache herausginge und sich ein Herz fasse, und ich hatte eigentlich im Stillen gedacht, du würdest es so einrichten, daß wir Martha ihren geliebten Wolfgang zu Weihnachten bescheerten; das wäre doch ganz reizend gewesen."

Der Kommerzienrath schob die Tasse mit einer so heftigen und unmuthigen Bewegung zurück, daß das Geschirr schwankte und flirrte und Emmy ihn höchst betreten und vorwurfsvoll ansah. " Tas fehlte gerade noch, daß du nun auch noch kommst und mir mit solchen Geschichten den Kopf warm machst! Schlag dir den Gedanken aus dem Sinne daraus wird nichts!"

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Wird nichts? Ja, Papa, wie soll ich denn das verstehen? Warum trittst du so plötzlich zurück? Du warst doch erst ganz einverstanden?

" Das war ich allerdings, aber zu einer Verlobung gehören bekanntlich immer zwei, und dieser Herr Hammer, den ich in der zartesten Weise ermuthigt hatte, sich um Martha zu bewerben, hat sie gestern Abend, förmlich öffentlich, in der beleidigendsten Weise ausgeschlagen. Es scheint, daß mein Fräulein Tochter sich denn doch ganz merkwürdig getäuscht hat, und es war nicht sehr überlegt von mir, mich auf ihre Vermuthungen und Ein­bildungen zu verlassen."

Es war vielleicht das erste mal, daß er seiner Tochter gegen über so bitter ward, und dieser Umstand und die unbegreifliche Neuigkeit versetzten Emmy in eine sprachlose Bestürzung. Sie wurde ganz blaß und stammelte endlich:

" Ja, aber Papa, das ist doch garnicht möglich da muß irgend ein unglückseliges Mißverständniß

"

Mißverständniß! Ich sage dir, Emmy , dieser Herr Hammer weiß ganz genau, was er will. Das ist ein fanatischer Mensch,

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den der Teufel reitet; er hat nicht blos Martha ausgeschlagen, weil sie zur guten Gesellschaft gehört, die er auf's grimmigſte haßt, er hat auch gestern Abend eine skandalöse Rede gehalten und für den infamen Sozialdemokraten gesprochen, der in unserm Wahlkreis aufgestellt worden ist wahrhaft empörend!" " Das hat mir doch gleich geahnt, das da wieder eure abscheu­liche Politik im Spiele ist! Aber dann ist es auch nicht so schlimm, wie du es machst; es wird und muß sich noch alles aufklären und ausgleichen, und vielleicht hast du nur vielleicht solltest du das weitere einmal mir überlassen- in Herzens­sachen ist ein Mädchen doch-"

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Willst du etwa damit andeuten, daß ich nicht diskret und zartfühlend genug zu Werke gegangen bin? Du schienst so etwas durchblicken lassen zu wollen. Weibliche Einbildungen- Roman­ideen- Gartenlauben- Redensarten weiter nichts!", fuhr der Kommerzienrath ärgerlich auf.

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Aber Papa, du bist ja heute so ungnädig, wie ich dich noch garnicht gesehen habe!" erwiderte Emmy , ein wenig die Hände faltend." Du schnurrst mich ja an, als hätte ich Herrn Hammer heirathen wollen."

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Der Kommerzienrath mußte trotz seines kochenden Unmuths lächeln. Du bist ein Kind, Emmy wie kannst du nur so etwas aussprechen? Nun, lassen wir die fatale Geschichte der Mensch ist es nicht werth, daß ich mich seinetwegen erbose, und du wirst ihn um so leichter vergessen, als ich ihn natürlich Knall und Fall fortgejagt habe gleich in der Versammlung. Wahrschein­lich ist er jetzt schon über alle Berge- hier hat er sich unmög­lich gemacht, das wird er wohl selber einsehen, und soviel wird er ja noch haben, um wieder hinüber nach England oder nach Amerika zu kommen."

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Nach einer kleinen Pause setzte er möglichst freundlich hinzu: " Was Martha anlangt, so thun wir wohl am besten, Rück­sicht auf ihren leidenden Zustand zu nehmen und ihr erst in einigen Tagen in schonender Weise Mittheilung von dem Vor­gefallenen zu machen. Daß du mir Andeutungen gegeben hattest und daß ich infolge dessen mit diesem Hammer über sie gesprochen habe, braucht sie natürlich nicht zu wissen; wir brauchen ihr ja nur zu sagen, was sich in der Versammlung zugetragen hat das genügt."

Emmy erwiderte hastig und fast erschrocken:

Selbstverständlich, Papa. Ich bitte dich um Gotteswillen, keine Silbe über unser Gespräch zu verlieren; Martha würde es mir nie verzeihen, mich in ihre Angelegenheit gemischt zu haben, und ich glaube, auch du würdest garnicht gut dabei fortkommen. In manchen Dingen ist sie sehr streng und besteht auf ihrem Kopf. Ich glaube, sie bräche für immer mit uns, verlaß dich darauf, Papa!"

Den Kommerzienrath fielen allerlei alte Geschichten ein; er nickte zustimmend und etwas bedenklich mit dem Kopfe, und Emmy rief dem Fortgehenden noch nach:

" Ich muß nachher doch einmal nachsehen, wie es Martha geht, aber ich werde meinen Besuch möglichst abkürzen, und wenn sie, was ich nicht hoffen will, bereits etwas über die unglückliche Versammlung gehört hat, so weiß ich von allem kein Wort."

Als sie eine Stunde später zögernd und befangen Marthas Zimmer betrat, fand sie diese mit Schreiben beschäftigt und sehr schweigsam und konnte sich also, was ihr sehr lieb war, nach kurzer Zeit mit der Ankündigung zurückziehen, daß sie nach Tische zu einer befreundeten Familie über Land fahren und erst spät abends zurückkommen würde.

Die ewig Muntre und Gutgelaunte hatte aber doch einen innerlich unruhigen Tag. Vielleicht war es ihre Pflicht, Martha einen Wink zu geben; aber dann hätte sie eingestehen müssen, daß sie in der ganzen Intrigue eine Rolle gespielt, und ihr Schuld­bewußtsein wog eben doch schwerer als das Mitleid mit Martha. Zudem konnte sie ja irren was ging sie auch am Ende der ganze Handel an und welche Verpflichtung hatte sie, Martha den Besitz eines Gatten zu verschaffen, dessen Neigung doch eigentlich ihr gehörte? Vielleicht hatte Wolfgang Martha nur deshalb aus­geschlagen, weil er seine unglückliche Liebe zu ihr nicht durch einen Ehebund entweihen wollte. Ueberdies kamen ihr diese Vermitt­lungsgedanken erst, als sie mehrere Stunden von M. entfernt war sie konnte also garnicht beichten und war recht sehr zu­frieden damit, einen so guten Entschuldigungsgrund zu haben, der sie auch für die Zukunft gegen gelegentliche kleine Gewissensbisse schützte. ( Fortsetzung folgt.)