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verheißungsvoller Perspektive schauen, aber der dumme Deutsche verstand es noch immer nicht, seine Unschuld zur vollsten Evidenz zu erweisen! Unter Schimpfworten wurde er daher aufgefordert, zu gestehen", und auf die Frage Was?" er bedeutet, daß man ihn schon zur Vernunft bringen werde, worauf er zu den Ratten zurückkehrte. Frau Dicker wußte besser Bescheid. Sie begab sich, eine quittirte, aber unbezahlte Rheinweinrechnung( im Betrage von 300 Silberrubeln) in der Hand( dazu sechs Flaschen Lieb­ frauenmilch ), zu einem in ihrem Hotel speisenden Oberstlieutenant, welcher denn infolge dessen das Mißverständniß" aufklären zu wollen versprach. Nachdem dies nun durch ein kleines, auf einen Hundertrubelschein gestrichenes Pflaster für des archimandritischen Verwalters verwundete Ehre, sowie durch weitere Bepflasterung der Untersuchungsbehörde und des Gefängnißdirektors bewirkt war, wurde Herr Dicker freigelassen. Natürlich wähnte der quer köpfige Deutsche , seine Freilassung seiner Unschuld zu verdanken und seine Frau hatte für ihre That den Dank dahin. Da brach der heilige Krieg" gegen die Türkei aus und ein Ukas verordnete folgende sinnreiche Kriegssteuer. Alles Papiergeld mußte abgestempelt werden, was ihm 5 Prozent Werth benahm. Folge: Niemand achtete vollends mehr darauf, ob er ächte oder falsche Banknoten in die Hand bekam. Aber Herr Dicker that es. Wieder zu seinem Unglück. Denn er hätte dem edlen Verwalter gar zu gern etwas am Zeuge geflickt und setzte daher insgeheim Prämien für solche aus, die dem Manne das Ausgeben eines falschen Scheines nachweisen könnten. Das kam dem Verwalter zu Ohren, es wurde ihm unbehaglich und er bat den Archiman driten, doch ja recht auf seiner Hut sein. Durch des letzteren Einfluß erstreckte sich diese Vorsicht auf weitere und weitere Kreise, und so wurden denn die Geschäftsbeziehungen sehr schwierig", bis der Civilgouverneur, die allgemeine Kalamität auf ihre Quelle zurückführend, es für das Beste hielt, wenn Herr Dicker bald wieder im Gefängnisse säße. Das gelang mit Leichtigkeit und- die Cirkulation falschen Geldes und das gegenseitige Vertrauen" waren wieder hergestellt. Wie man sich unschwer sagt, war dies alles nur dadurch möglich, daß( was ich bisher noch ver­schwiegen) es in Rußland grade soviel falsche als ächte Banknoten gibt"!! Wie man hieraus schon ersieht, treibt die Bestechung in Rußland üppige Blüthen, sehen wir zu, ob wir vielleicht noch wunderlichere entdecken können? Unsere Blicke umherschweisen Lassend, wo sich dieselben etwa vorfinden möchten, springt uns zunächst ein großes Gebiet in die Augen das Gerichtswesen. das Gerichtswesen. Der erste Satz des französischen Civilcoder:" Die Kenntniß des Gesezes wird bei jedermann vorausgesetzt," ist bekanntlich ein allgemeiner Grundsatz( Unwissenheit schüßt nicht vor den Folgen des Gesetzes"), und wenn darnach die russische Gesezeskunde, bei 21 Foliobänden, 2000 Seiten und darüber per Stück, auch etwas schwer gemacht ist, so sollte man doch denken, daß die Rechts­pflege in Rußland sich der sorgfältigsten Ausbildung erfreue, namentlich wenn man noch obendrein erfährt, daß über alle er denklichen Handlungen durch spezielle kaiserliche Erlässe verfügt ist( wozu aber dann die 21 Wälzer?!). Und so ist denn in Ruß­ land alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt, während in anderen Ländern umgekehrt alles erlaubt ist, was das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet. Würden alle diese Erlasse streng ein gehallen, so könnte kein Mensch auch nur Athem holen." Da aber das Athmen die unerläßlichste, vitalste Lebensfunktion ist, so weiß man sich eben zu helfen: man erkauft sie. Die Leute kaufen sich die individuell benöthigte Freiheit grade so, wie man in England Gas und Wasser kauft." Auch hat der Russe einen gutmüthigen Charakter, und nur in den Ostseeprovinzen ist es in dieser Beziehung anders, da die Deutschen fürchterliche Bureau­fraten" sind und als Beamte es vorziehen, sich mißliebig zu machen, als sich bestechen zu lassen. Ein russischer Civilprozeß ist that sächlich eine Auktion, bei der der Meistbietende Recht bekommit." In Strafrechtsfällen ist es des Advokaten wichtigster Schritt und

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Das

erste Sorge, dem Klienten die einzig richtige Anwendung seines Geldes zu zeigen, das ist-die Bestechung des Richters; im Unterlassungsfalle wird Angeklagter selbstverständlich verurtheilt. Bei der hiernach völligen Preisgebung der Aermeren, haben sich Artels" oder Unterstüßungsvereine gebildet, die natürlich nur die Beschaffung der Geldmittel zu Bestechungszwecken zum Ziele haben, und wehe dem Stande, der Klasse, zu deren Gunsten solche nicht bestehen, wie z. B. die Dienstboten. Eine Magd oder einen Diener, den die Herrschaft z. B. Diebstahls halber hat in's Gefängniß werfen lassen, kann dieselbe so oft peitschen lassen als sie will, natürlich wenn der Gefangenwärter zu diesem Behufe bestochen worden. Wenn man bedenkt, daß Unterschleif und Veruntreuung geradezu die Hauptquelle aller Geschäfte auf dem Lande ist, so erscheint es gewiß sonderbar, daß ein Richter die Stirn haben sollte, noch einen Dieb einsperren zu lassen." Möglicherweise( meint der Verfasser) sei man auch von dem Un­passenden dieses Verfahrens überzeugt, indem bei Reisen des Czars die Gefangenen schockweise freigelassen und von der Be­völkerung als ihre( ehrlichen) Brüder begrüßt werden, deren einziges Verbrechen im Unglück( erwischt zu werden) bestanden. So ist denn gerade die Vortrefflichkeit" der russischen Gesetze die Ursache größter Korruption und man sieht recht deutlich:" Der Segen kommt von oben"... Nirgends, nebenbei bemerkt, zeigt sich das so außerordentlich eklatant und naiv( ja manchmal hoch­komisch) zugleich, als in Rußland ... Die Geschworenen übrigens haben eine solche Abneigung gegen das Verurtheilen, daß sie gar oft gegen einen Inculpaten mit der Frage herausplatzen:" Willst du versprechen, es nicht wieder zu thun?" Und als einmal die Schöffen schon drei Stunden lang zur Berathung sich zurück­gezogen hatten und ein ungeduldiger Richter nachzusehen schickte, was sie denn trieben, da waren sie sammt und sonders durch's Fenster verduftet, um keinen Wahrspruch abgeben zu müssen.

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Und da wir einmal bei dem Thema Bestechung" sind, so wollen wir eine weitere Aehrenlese halten, die wir uns freilich aus dem ganzen Werke zusammensuchen müssen. So heißt es 3. B. einmal: Diebe und Polizisten sind die große Pest russischer Sädte, namentlich aber die letzteren." Die Russen seien nicht Diebe von Natur nach ihrer Ehrlichkeit auf dem Lande, wo es keine Polizei gibt, zu schließen. Aber in den Städten, da sei das verderbliche Beispiel des Beamtenthums und der für Geld zu aller möglichen Nachsicht zu bringenden Polizei zu groß. So wird denn wahrhaft reißend, fabelhaft gestohlen. Aber das Geld und nur dieses zaubert die Sachen wieder zur Stelle, habe man auch den doppelten Werth der gestohlenen Effekten zu bezahlen. Wer jedoch einflußreich genug ist, sich der Polizei allenfalls gefährlich zu machen, dem ersetzt sie sogar den Werth derselben, wenn ihre Organe der Gegenstände selbst wieder hab­haft werden konnten. Handelsleute zahlen häufig eine Diebes­versicherung" an die Polizei, da aber die Diebe bei ihren glänzenden Geschäften noch mehr zu zahlen in der Lage sind, so wird erstere Prämie nur ad valorem"( nach der Höhe der Summe) acceptirt. Unglaublich, wie es flingen möge" Gefängniß­direktoren lassen oft Diebe expreß dazu frei, um zu stehlen! Jm vorigen Jahre berichteten die moskauer Zeitungen folgenden Fall. Ein berüchtigter Einbrecher, der zur Zeit seine Haft ver­büßte, wurde in einer Nacht wieder an der Arbeit( bei einem reichen Kaufmann) betroffen. Er gestand, von seinem Schließer unter der Bedingung herausgelassen worden zu sein, daß jener mit ihm gehe und seinen Beuteantheil erhalte. Der Schließer verneinte dies mit nichten, sagte aber seinerseits aus, daß er im Auftrage des Direktors gehandelt, der sich den Löwenantheil be­dungen habe. Dieser hinwiederum wälzte die Schuld auf die Polizei ab, die ihm Weisung ertheilt habe, den Gefangenen zu irgendeinem, nicht näher angegebenen, Zwecke freizulassen. Der Einbrecher wurde von den Geschworenen freigesprochen, der Schließer aber war nicht einmal angeklagt worden. ( Fortsetzung folgt.)

Märchen.

Literarhistorische Stizze von. Wittich. ( Schluß.)

Die meisten dieser ausländischen Produkte wurden durch Ueber­setzungen und Bearbeitungen auch uns Deutschen nahe gebracht, besonders hat das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts auf diesem Gebiete eine rege Thätigkeit entfaltet.

In dem mittelhochdeutschen Heldenliede Gudrun" erzählt der alte Wate bei einem Sturme seinen Schiffsgefährten eine Wasser­märe", ein Seemärchen, das er gehört von Kinden". Zu Givers wäre ein Reich, wo man Mauern baue aus Silbersand und Bau­