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" Nein, Wolfgang, sage mir nicht, wohin du mich führst, ich| durch" London  " aus und adressirte ein Couvert an Herrn Kom­will auch das nicht wissen; du kannst dir nicht denken, wie süß merzienrath Reischach, Ritter 2c. es ist, alle Fesseln zu zerreißen und die alte Welt hinter sich versinken zu sehen und nur das Eine zu wissen, daß in der neuen, wie fern sie auch sei, das Glück wohnt."

Wohl, Lieb, ich begreife auch das; nun mache dich aber auf eine weite, weite Reise gefaßt, und wenn wir am Strande   unsrer neuen Welt landen, werden wir garnicht mehr viel übrig haben. Aber nicht wahr, das ficht dich nicht an? Ich habe auch eine tapfre, standhafte Frau, die sich in alles fügt und schickt? Wir finden wackre Freunde vor, und ich werde bald wieder so viel haben, daß ich dir ein kleines, behagliches Heim schaffen fann; diese brutalen Praktiker sollen sehen, daß ich meine liebe, schlanke, dunkeläugige Martha, rein aus verliebter Liebe ent­führt habe, und wir brauchen dein unglückseliges Vermögen nicht, das beinahe unser Verhängniß geworden wäre."

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" Ich verstehe dich, aber es scheint, du weißt noch garnicht, was für ein sorgsames Hausmütterchen ich abgeben werde. Sieh, so ganz arm komme ich doch nicht zu dir; ich wußte ja nicht, daß du mich mitnahmst, hatte mich vielmehr auf ein längeres Verweilen bei meiner guten Louise einzurichten, und ihr konnte und wollte ich selbstverständlich in keiner Weise zur. Last fallen. So kann es wohl sein, daß ich mehr habe, als du; aber das soll unsere Reserve sein, für's erste will ich ganz von dir ab­hängen. Sind wir erst in unsrer neuen Welt, so kannst du ja einmal nachsehen, wieviel ich in meinem kleinen Portefeuille habe; später, meinetwegen über Jahr und Tag, wird Herr Reischach freilich ausliefern müssen, was ich ihm jezt recht gern noch lassen will."

Ueber Wolfgangs Geficht glitt ein Schatten; seufzend sagte er:" Ich weiß freilich auch nicht, was anders werden soll, aber ich mag nichts damit zu schaffen haben und nichts davon wissen. Verwende die Zinsen zu wohlthätigen und humanen Zwecken, wir aber wollen unser eignes, fleines Budget haben, und solange mir Kopf und Hände den Dienst nicht versagen, soll es dir gewiß an nichts fehlen."

Glaubst du, ich wüßte das nicht, Wolfgang? Aber haben die Engländer nicht ein Sprichwort, das ungefähr besagt, die Mildthätigkeit beginne für jeden einzelnen bei ihm selber? Sollst du noch länger in der Tretmühle eines Berufs gehen, der dich doch unmöglich befriedigen kann, oder sollst du diese Dienstbar feit mit einer andern vertauschen und für Geld schreiben? Nein, das darfst du garnicht. Du wirst auch ohne Beruf immer fleißig sein und du sollst frei deinen Neigungen und Ueberzeugungen leben. Wirst du nicht die Anschauungen, die du für die richtigen hältst, mit Wort und Feder ganz anders vertreten können, wenn du in der Lage bist, überall eingehende Studien zu machen? So ungefähr denke ich mir deine Zukunft; du wirst so unendlich mehr nüßen und dir selbst ein ganz anderes Genügen bereiten fönnen."

Wolfgang hatte erst den Kopf geschüttelt, nun aber sagte er rasch und froh, fest und entschieden:

,, Wohlan, das ist die beste Rache! Dieses Geld, in das sich der Schweiß und das Mark einer verkommenden Arbeitergeneration verwandelt hat, soll die große Emanzipationsarbeit des Arbeiter standes unterstüßen, und ich will mir durch dasselbe die Freiheit von äußeren Fesseln nur erkaufen, um freiwillig in den Dienst dieser großen Kulturbewegung zu treten, die allerlei Geister, jeden an seinem Blaze, zu verwenden vermag. Es gilt, Studien zu machen in den großen Centren der Industrie in allen Kultur­staaten, und wie ich sie dann verwerthe, ob ich mich mit ihnen an das Gefühl oder an den Verstand der Einsichtigen und Wohl meinenden wende, in jedem Falle wird die Arbeit eine frucht bringende sein."

Wie es mich freut, daß mein Gedanke durch dich Fleisch und Blut und Leben bekommt! So ungefähr hatte ich mir's ja auch gedacht, aber es war alles blaß und schattenhaft und unbestimmt." Es wird vielleicht noch manches mal so sein! Aber da fällt mir ein, daß wir doch vielleicht eine kleine Rache an unserm Herrn Kommerzienrath nehmen könnten."

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Er nahm ein Blatt, schrieb mit einem Lächeln die folgenden

Worte:

,, 10. 1. 74. " Ihre heute erfolgte Verlobung und ihre gleichzeitig erfolgte Abreise nach beehren sich Ihnen anzuzeigen" und schob sie dann Martha hin, die mit zustimmendem Nicken ihren Namen darunter setzte; dann fügte er den seinigen hinzu, füllte die Lücke

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Die paar Worte sind einstweilen genug, und nun ist das Abschiedsgedicht an dich, das ich heute Abend ersonnen habe, doch nicht das letzte gewesen, was ich in diesen Räumen schrieb." " Gib mir die Verse, Wolfgang, oder lies sie mir vor!" " Ich will sie dir vorlesen; schwer genug wird es mir werden, aber ich habe schon eine solche Strafe verdient, und mitten in meinem Glück verlangt mich nach einer solchen Sühne!"

Als er geendet, füßte ihn Martha auf die Stirn und sagte leise:" Armer Freund, wie traurig mußt du gewesen sein und wie mußt du gelitten haben! Aber nun ist ja alles, alles über­standen."

Und wir müssen nun auch gehen, da ich dich doch erst noch einmal zu Frau Meiling führen muß, und Krone und Anna und wohl noch einige andere auf dem Bahnhof sein werden; wir wollen sehen, daß wir ihnen zuvorkommen fönnen."

Frau Meiling kam denn auch auf Wolfgangs ersten Ruf, und als ihr junger Miether ihr in heiterstem Tone und doch mit be­wegter Stimme seine Braut vorstellte, die er der Kürze halber und da er sich doch nicht wieder von ihr trennen könne", gleich mitnehme, da kugelten der Alten die Freudenthränen über die Wangen und sie brachte es zu keinem vorschriftsmäßigen Glück­wunsch, sondern drückte den beiden nur krampfhaft die Hände. Erst unten an der Hausthür ermannte sie sich zu einem zusammen­hängenden Sage und sagte gerührt:

" Ach, Fräulein, wer hätte sich das an dem Abend träumen lassen, wo Sie mit Frau von Larisch hier waren und ich Sie hinauf

"

Sie verstummte erschrocken, als ihr Martha erröthend die Hand auf den Mund legte und abwehrend sagte:

" Nichts weiter! Das muß er von mir erfahren, später, oder nein, gleich jetzt, auf dem Weg zum Bahnhof. Sehen Sie nicht, was für ein verwundertes Gesicht er macht?"

Man schüttelte sich noch einmal die Hände, die alte Frau füßte Wolfgang wie eine Mutter quf die Stirn, und dann trat das junge Paar Arm in Arm und von Proud gefolgt den Weg nach dem Bahnhof an; Frau Meiling, mit ihren Thränen kämpfend und sich wegen ihrer Schwazhaftigkeit scheltend, sah ihnen nach, bis sie bis sie in Dunkel und Gestöber ihren Blicken entschwunden waren; dann kehrte sie in tiefen Gedanken in ihr verödetes Haus zurück.

Als die beiden auf dem Bahnhof ankamen, hatte Martha den heimlichen Besuch bei Wolfgang, der ihr einst durch Frau von Larisch aufgezwungen worden war, gebeichtet, und diese Beichte war mit einem dankbaren Händedruck beantwortet worden. Sie betraten dabei den noch verödeten Perron, in welchem der Zug aber bereits hielt, und Wolfgang sagte nachdenklich:

Von deiner Leontine kann und muß ich dir da auch noch wunderliche Geschichten erzählen: mach' dich nur immerhin auf Briefe, Maiblümchen, sogar auf ein Rendez- vous im Walde ge­faßt, es hat sich auch noch eine dritte Dame einigermaßen für mich interessirt und mir einen anonymen Brief geschrieben."

Martha lachte, indem sie im Coupé Plaz nahm:

Am Ende gar Emmy  ? Wie komisch das wäre! Aber Scherz beiseite: kann nicht sie es gewesen sein, die Herrn Reischach auf seine Pläne gebracht hat? Nun, wir reisen ja in die weite Welt und da kannst du in aller Ausführlichkeit erzählen."

Wolfgang löste eben am Schalter die Billets, als Krone, den breitkrämpigen Hut tief in's Gesicht gedrückt, eilfertig die Stufen emporgesprungen fam; unser Freund schob seinen Arm unter den des wadern   Jüngers Guttenbergs   und ging langsam mit ihm im Perron auf und ab. Er hatte aber bald bemerkt, daß Krone zerstreut und befangen war und mit irgendeinem Entschluß kämpfte, und so sagte er denn scherzend:

Krone, Sie haben etwas auf dem Herzen und wissen nicht, wie Sie es anbringen sollen; heraus damit, sonst kommen uns schließlich noch andre über den Hals."

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Ach, es ist rein nichts eine Kleinigkeit; ich wollte Sie nur bitten nehmen Sie hier den Brief, aber machen Sie ihn erst in ein paar Tagen auf!" stieß der so Ueberrumpelte, sichtlich sehr ärgerlich über sich selbst, in hülfloser Verwirrung heraus, und wollte Wolfgang dabei ein ziemlich großes, selbstgeschnittenes, sorgsam mit Gummi zugeklebtes Couvert aufdringen. Es ist nur so ein Einfall von mir, aber Sie dürfen mir den Spaß nicht verderben."

Wolfgang würde, wäre Krone dabei ruhig und unbefangen geblieben, den Brief, um Weitläufigkeiten zu vermeiden, achtlos