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Glanz und und Elend.

Ein Kulturbild.

Wer jemals in Wien   in Sachers Restaurant gefrühstückt hat,| Worten schloß Kraßnigg seine farbenprunkende Schilderung à la muß mir beipflichten, daß die fesche Kaiserstadt an der Donau Makart  . Paris  , das Babylon   an der Seine, nicht nur im schwindelhaften Aufpuz der Nichtse, die man Leckereien nennt, sondern auch in dem unverschämten Hinausschrauben der Preise erreicht hat.

Eine aufgeräumte Gesellschaft von Lebemännern frühstückt bei Sacher in dem traulichen Eckzimmer, zu dem man auf einer sehr diskreten Wendeltreppe gelangt. Die Tauben hätten uns nicht schöner zusammentragen können. Man müßte ein zweiter Kardinal Mezzofanti sein, der bekanntlich 79 Sprachen verstand, um mit jedem Genossen der Tafelrunde in seiner Muttersprache verkehren zu können. Und doch waren wir alle unter den Fittigen des Doppelaars, innerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle, geboren und repräsentirten nur einen fleinen Bruchtheil von Austrias vielgestaltigem Völkergewimmel.

Fangen wir mit dem Senior der Gesellschaft, dem Baron von Ormay, an, um dessen braune Augen man besorgt sein mußte, wenn man die senkrecht aufgewichsten Nadelspißen seines Schnurr­bartes ansah. Sein drollig- gemüthliches Deutsch hätte ihn als Magyar- ember dokumentirt, wenn es nicht schon der verschnürte Anzug gethan hätte, in dem sein stattlicher Körper wie angegossen stat. Gastfrei und reich, war er unerschöpflich im Auffinden passender und unpassender Veranlassungen von Gastereien. Ein­mal war es ein gewonnener Prozeß oder eine verlorene Wette, das andre mal ein Namens- oder Geburtstag und sofort. Heute feierten wir den Todestag seiner Frau, einer Xantippe, die ihm vor zwei Jahren den Gefallen gethan hatte, zu sterben.

Sein Nachbar zur Linken war die interessanteste Persönlich­keit von uns allen. Desterreichs genialster Bildhauer Hans Gasser  , ein moderner Diogenes, der mit Stolz erzählte, daß er noch nie Handschuhe getragen; schüchtern wie ein Kind und stark wie ein Löwe. Er war ein Kärnthner, ein Prachtexemplar jenes kernigen Bergvoltes, welches, zwischen Italiener   und Slaven   eingekeilt, bis auf den heutigen Tag ungeschmälert seine deutsche Eigenart bewahrt hat. Seine mehr wie vernachlässigte Kleidung und das lange braune Haar, worauf fed ein Kalabreser saß, ließen keinen Zweifel über sein Künstlerthum aufkommen. Sprechen konnte er nicht viel, aber desto mehr trinken. Als Kuriosität führe ich an, daß ich ihn nie essen gesehen habe.

Ormays Nachbar zur Rechten, Kraßnigg, obwohl von slavischer Abkunft, ich glaube ein Krainer, sprach und schrieb ein elegantes Deutsch und war seines Zeichens Journalist, gleich gewandt über und unter dem Feuilletonstrich. Gesucht und gefürchtet zugleich, war er eine jener katilinarischen Existenzen, welche die Wogen der Revolution entweder zum Ministerfauteuil oder auf den Laternenpfahl emporheben. Niemand wußte, wo er wohnte oder ob er überhaupt wohnte, denn heute warf er den Verdienst von mehreren Wochen zum Fenster hinaus, um morgen auf mehrere Wochen zu verschwinden, der Himmel weiß, wohin. Bezeichnend für seine Simistische Weltanschauung war das Feuilleton, mit welchem er h in Wien   einführte: Die letzten Augenblicke eines Selbstmörders." Heute himmelstürmender Idealist und morgen chnischer Realist- furz, Narziß Rameau   im Frack. Die deutsche Sprache hat keine erschöpfende Bezeichnung für diese literarischen Vagabunden; der Franzose nennt sie Bohemiens".

ein

Der Vierte im Bunde   war der Rumäne Bucimulu, geleckter Affe", welches Sobriquet( Spottname) ihm Kraßnigg oftroyirt hatte; tadellos in seiner Kleidung, was man von seinem Charakter weniger behaupten konnte. Er war Börsenmakler, Häuserspekulant, stiller Associé verschiedener Lombardgeschäfte und der Sündenbock unserer Konvivien.

Meine Wenigkeit, der Komödiant, dessen Wiege am Gardasee  gestanden, bildete den Schluß.

Lustige Kumpane sprechen gewöhnlich nur bei der ersten Flasche von Politik, dann kommt das unvermeidliche Thema der Liebe auf's Tapet, mit und ohne Arabesken der Chronique scandaleuse. Kraßnigg, eine Autorität auf dem Gebiete der Pikanterien, erzählte in seiner faustischen Weise von der Operettensängerin eines Vor­Stadttheaters, Namens Leierhoff, daß sie ein Leben wie die Königin von Saba führe.

Heute Nacht ist bei ihr eingebrochen worden. Pretiosen im Werthe von viertausend Gulden wurden ihr gestohlen." Mit diesen

So was kann mir nicht passiren," meinte Hans Gasser. " Sag' mir nur, Kraßnigg, wie erfährst du alles gleich?" fragte erstaunt Ormay." Bist du denn der hinkende Teufel, der die Dächer der wiener Häuser aufheben kann, um bei Nacht hinunter­zuschauen?"

Dnein. Bei mir geht alles mit natürlichen Dingen zu. Ich examinire die Milchweiber."

" Teremtete! Das ist originell. Werd' ich auch einmal probiren!" " Ich sage euch, die Milchweiber und die Hausmeister sind De­teftives par excellence. Die Polizei fönnte manchmal bei ihnen in die Schule gehen," bemerkte Straßnigg mit sardonischem Lächeln, der, wie alle Journalisten von der äußersten Linken, auf die heilige Hermandad nicht gut zu sprechen war.

,, Man sollte garnicht glauben, daß es den Damen vom Theater so gut geht," warf Gasser ein und leerte seinen- Champagnerkelch bis auf die Nagelprobe.

,, Namentlich wenn sie hübsch sind," ergänzte Mephisto- Kraßnigg. " Und doch sind es Wasserlilien, die nur im Sumpfe gedeihen." Jezt war Ormay in seinem Element. Mit beiden Händen ergriff er die Gelegenheit beim Schopf, eine Wette anzubieten, deren Ertrag beim nächsten Stelldichein in Champagner und Austern umgesetzt werden konnte. Mit den Worten: Du siehst zu schwarz," eröffnete er den Meinungskampf.

Kraßnigg lachte wie Satan, der eine frische Seele in der Falle gefangen, und rief mit ungewöhnlicher Heftigkeit: Meinst du? Hast du schon jemals am hellen Tage Sterne gesehen?" Nein."

"

Siehst du! Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne." Der Baron rieb sich mit der flachen Hand die weingeröthete Stirne und entlockte mächtige Wolken seiner duftenden Havannah. Nachdem er eine Zeitlang vergeblich nachgedacht, polterte er her­aus: Az ebatta! Ich versteh' dein Gleichniß nicht!"

Das glaube ich. Dazu bist du zu wohlgenährt. Ich wollte damit andeuten, daß fünf Percent der Schauspieler prassen, während fünfundneunzig Percent darben."

" Ich wette hundert Gulden gegen deine Cigarrenspiße, daß es in Wien   feinen Schauspieler gibt, der hungert."

"

Topp! Angenommen! Heute ist Charfreitag. Da kannst du dich im, Loch', einer Spelunke auf der Wieden  , die man die Komödiantenbörse nennt, vom Gegentheil überzeugen. Dort versammeln sich die, Meerschweinchen'- Schauspieler aus jenen Städtchen, die man nur auf einer Spezialfarte findet. Ich will hängen, wenn zwei darunter sind, die sich seit vierundzwanzig Stunden sattgegessen haben."

Die Wette wurde mit Afflamation angenommen, und nach­dem der biedere Rumäne als Säckelwart die hundert Gulden nebst der Cigarrenspiße in Verwahrung genommen hatte, wurden Ormay und meine Wenigkeit zur Untersuchung des Sachverhalts im besagten Loch" delegirt, worauf sich die Gesellschaft trennte.

Nachdem wir in des Barons Wohnung entsprechende Toilette gemacht hatten, um nöthigenfalls für Mimen von Styrneusiedel oder Gänserndorf   gelten zu können, fuhren wir in seinem Tilbury bis an die Rückseite des Theaters an der Wien   und vertieften uns am Ausgang des Papagenogäßchen in das Straßengewirr der Laimgrube  ". Wir brauchten nicht lange zu suchen, denn bald holten wir ein Paar ein, dem man auf hundert Schritte die Schmiere" ansah; sie ein Modell forcirter Grazie und er die Personifikation schäbiger Eleganz. Die Ophelia von Atgers­dorf am Arm des Marquis Posa von Meidling dienten uns als Wegweiser zur Komödiantenbörse.

Die Schwemme" und das Extrazimmer" des Gasthauses. zum Loch" unterschieden sich nicht wesentlich von allen andern wiener Etablissements gleichen Schlages, aber desto mehr das dritte Zimmer, heute Thalias Sanktuarium, sonst wohl nur zur Auf­bewahrung von Zwiebeln und andern wohlriechenden Knollen­gewächsen dienend. Für lichtbedürftige Menschen schien das " Börsenlofal" nicht eingerichtet zu sein, denn unsere Augen mußten sich erst an das Rembrandt  'sche Clair- Obscure( Hell­dunkel) gewöhnen, bevor sie eindrucksfähig wurden. Dafür war aber der erste Eindruck überwältigend. Unwillkürlich fiel mir