Kaulbachs Bild Das Narrenhaus" ein. Aehnlich gruppirt saßen und standen die Männlein und Weiblein durcheinander.

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Als wir den günstigsten Standpunkt zu unseren Betrach­tungen gewählt zu haben glaubten, riefen wir den Kellner, was aber dieser Herr in dem traditionellen Schwalbenschwanz" ge­waltig übelnahm. Als wir aber zwei Seidel ,, Grinzinger" be­stellten, bekam er einen großen Respekt vor den Spielern". Auch die andern Anwesenden machten lange Hälse. Zum Lobe dieses Kunstproletariats muß ich beifügen, daß die Statistik in seinen Reihen auffallend wenig Verbrecher zu konstatiren hat.

Bald hätte unser Schauspielernimbus ein Loch bekommen, als der unvorsichtige Baron den Wein mit einer Zehnguldennote be­zahlen wollte. Ich applizirte ihm einen gelinden Rippenstoß und zahlte mit klingender Münze, nämlich mit Silbersechsern, die ich aus allen Taschen zusammensuchte. Der Ungar lachte, daß die Wände zitterten, über mein Armuthsmanöver.

Uns gegenüber saß, wie wir durch den Kellner erfuhren, die komische Alte von Attnang, Fräulein Eulalia Pomeist, mit ihren zwei Jungen.

Der gutmüthige Ungar konnte das Traktiren nicht lassen und ließ für die halbwüchsigen Knaben eine Portion Kalbsbraten bringen. Rührend war die Weigerung der Mutter, auch nur davon zu kosten, bis die Kinder satt wären. Aber da konnte sie lange warten. Die Jungen entwickelten noch bei der dritten Portion eine Vernichtungsschnelligkeit, um welche sie mancher Feldherr beneiden könnte.

Der magere Knirps, der rastlos durch das Zimmer schlich, weil er kein Geld hatte, ein Seidel Bier zu bestellen, war der Charakterspieler Giftig, zuletzt in Ybbs   an der Thaya. Vielleicht war er ein ehrlicher Kerl, aber er glich wie ein Ei dem andern einem Schurken. Der Glazkopf mit dem in's Gesicht genagelten Lächeln, der mit dem vor ihm stehenden, leeren Schnapsglas liebäugelte, hieß Stumpfmüller und war letzten Winter Zwerchfell­erschütterer in Guttenstein   gewesen, wo sein berühmter Berufs­genosse Ferdinand Raimund   begraben liegt. Wir wollen hoffen, daß Stumpfmüllers Leistungen den empfindlichen Raimund nicht zum Sichimgrabumdrehen" bewogen haben. Die hagere, fast burchsichtige Dame an seiner Seite war seine Braut, Fräulein Scholastika Stechapfel. Trotz ihres trockenen, kurz abgestoßenen Hustens hatte sie eine dauerhafte Konstitution, denn sie spielte feit 30 Jahren jugendliche Liebhaberinnen. Die Runzeln, die ihr der Griffel der Zeit in ihre Wangen gefurcht, wußte sie mit großer Fertigkeit zu verschminken.

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Die Gallmeier" von Zwettl   schäfert mit dem Sonnenthal" von Horn und der La Roche  " von Gmunden   unterhält sich mit der Haizinger" von Vöcklabruck  . In einer Ecke stellt der Direktor von Stein am Anger  , Herr Hallwig, seine Gesellschaft für Bruck an der Mur   zusammen. Er scheint an zurückgetretener Wäsche zu leiden, denn trotz des überheizten Zimmers ist er bis an den Hals zugeknöpft und sein Kinn ist in einem rothwollenen Shawl begraben. Jetzt wendet er sich an einen Jüngling, den Mutter Natur mit einer semitisch geformten, mehr wie ausgiebigen Nase ausgestattet hat, mit den Worten: Herr Knofeles, besitzen Sie eine Taschenuhr?"

" Zu dienen, Herr Direktor."

" Dann können Sie die Regie führen." Und mit erhobener Stimme, damit ihn alle Anwesenden hören sollen, fährt er fort: " Ich sage Ihnen, meine Herren, dieses Wien   ist ein theures Pflaster. Wenn man einige Novitäten angeschafft und etwas Vorschuß geleistet hat, sind auf Ja und Nein 10 Gulden pfutsch." Sprach's und verschwand.

In der Thür karambolirte er mit einem Dicken, eine Selten­heit in der verhungerten Gesellschaft, bei dessen Anblick beifälliges Murmeln entstand.

An dem Direktor von Mölt, Valentino Prozenberger, ist eine Finanzgröße verloren gegangen. Zum Millionär fehlen ihm nur die Millionen. Als er vor zwei Jahren in Langenlois   die Gagen nicht zahlen konnte, hatte er den ingeniösen Ausweg getroffen, seinen Mitgliedern Aktien zu 10 Gulden, einlösbar in einer ge­wissen Zeit, zu geben. Die armen Schlucker verwertheten diese " Bons" mit Mühe und Verlust bei ihren Gläubigern, und diese mußten, als der Zahlungstermin verstrichen war, ihre Forderungen im Theater als Zuschauer absizen".

Jetzt schritt er mit gespreizten Beinen, die mit unächten Ringen besteckten Finger in die Westentasche geklemmt, durch das Zimmer, um die vorhandene Menschenwaare zu prüfen. Sein Kennerauge hat im dunkelsten Winkel ein hübsches Mädchen entdeckt, die der

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Hunger von der Nähmaschine auf die weltbedeutenden Bretter treibt, vom Regen in die Traufe. Vortreten, Mamsell!" herrschte er sie an. Die erglühende Schöne steht zitternd auf. Durch die reizende Zaghaftigkeit entwaffnet, examinirt er sie etwas weicher: Was können Sie, mein Kind?"

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" Ich habe die Griseldis, Ophelia, Maria Stuart   und " Dummes Zeug! Klassische Stücke gehören auf einen klassischen Boden. Genoveva und das Pfefferrösel müssen Sie lernen. Wenn Sie nebstbei meine Theatergarderobe flicken wollen, sind Sie mit Kost und Logis engagirt. Vom Benefize können Sie Sich ein Kleid kaufen. Abgemacht!"

Und er vertieft sich mit dem Sonnenthal" von Horn in Unterhandlungen. Nach einigen Minuten sind sie handelseins. Brauchen Sie einen Vorschuß?" frägt er den ehemaligen Handlungsbeslissenen.

Wenn ich bitten dürfte," entgegnete dieser schüchtern. ,, Kellner, ein paar frankfurter Würstein auf meine Rechnung. Schau, schau!" ruft er, nachdem er bezahlt hat, und tritt in eine Fensternische. Da sizt ja der alte Leierhoff."

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Der Name elektrisirte uns und wir sahen in der angedeuteten Richtung einen verschrumpften Greis, dessen gebückten Stücken ein sehr dünner Flausrock bedeckte. Der alte Mann sah von seiner Zeitung auf, rückte die Hornbrille auf der Nase zurecht und lüpfte mit zitternden Händen das Sammetkäppchen.

Ihm die Hand reichend, sagte der Direktor in einer Anwand­lung von edelmüthiger Regung: Altes Haus, Sie können bei mir im Sommer inspiziren."

Der Alte dankte und vertiefte sich wieder in seine Zeitung. Die Komödiantenbörse leerte sich allmählich, nachdem jeder Topf seinen Deckel gefunden hat, wie man zu sagen pilegt. Nur Fräulein Pomeist mit ihren Jungen, die, von uns ausgemuntert, sämmtliche vorhandene Semmeln vertilgt hatten, war zurück­geblieben. Baron Ormay steckt jedem Jungen zehn Gulden in die Taschen und spedirte die weinende, komische" Alte, als sie sich bedanken wollte, an die Luft.

Als wir zahlten, bemerkte der Kellner, der alte Leierhoff wäre über seiner Beitung eingeschlafen. Wir nähern uns auf den Zehenspitzen, um zu sehen, was er gelesen hat. Vcr ihm liegt die Morgenpost" mit der fettgedruckten Notiz, daß dem Fräulein Leierhoff vielleicht seiner Tochter Pretiosen im Werthe von 4000 Gulden gestohlen worden sind.

Einige Lage las man in den Zeitungen, daß im Loch" ein Schauspieler, Namens Leierhoff, an Entkräftung gestorben sei. Die gerichtliche Sezirung habe in dessen Magen keine Spur von Nahrung gefunden. Baron Ormay hatte seine Wette verloren.

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Im Sommer 1877 reiste ich von Bozen   nach Berlin   und wählte die längere aber interessantere Tour durch das Busterthal, um von Innichen   aus durch eine Fußwanderung in die Zauber welt der Dolomiten meine argzerrütteten Nerven zu stärken und in Villach   mein Kind zu besuchen.

Die interessanteste Gebirgsformation Europas  , welche der Schweiz   gänzlich fehlt, die geisterbleichen Dolomiten mit ihren bizarren Backentronen werde ich ein andermal schildern und führe den Leser nach Villach  .

Für das reinliche Bergstädtchen, die Perle Kärnthens am Ufer der reißenden Drau", wie es Anastasius Grün   nennt, habe ich ein Extrablatt in meinem Erinnerungsalbum. Auch diesmal strolchte ich, nachdem ich mein Töchterchen umarmit hatte, mit ungetrübtem Behagen in den steilen Straßen herum, entzifferte zum so und so vielsten male die in die Wand der Pfarrkirche eingemauerten Grabsteinlügen und gelangte der Nase nach" auf einen menschenleeren Play. Das Panorama ist hier ger idezu ent­zückend. Den südlichen Horizont begrenzen die bis zu 10,000 Fuß ansteigenden, kahlen und schneegefurchten Karawanken   mit ihren saftig- grünen Vorbergen des Drau- und Gailthals, u.id nord­westlich schließt den grandiosen Gipfelkranz der Dobratsch ab, der österreichische Rigi   mit einem weißschimmernden Hotel auf seinem Rücken.

Plötzlich hätte ich aufschreien mögen.

Zehn Schritte vor mir stand auf einem Sandsteinsocel mein Die auffallende Freund Hans Gasser, wie er leibt und lebt. Neigung des langbehaarten Kopfes zur linken Schulter; die markirten und doch so unendlich milden Gesichtszüge; der zwei­