Der Phonograph und das Mikrophon. Ein Gebiet nach dem andern verliert das Reich des Unmöglichen an seine unerbittliche Be­siegerin, die Wissenschaft. Die von der Bibel zu Wundern aufgebauschten Thaten des jüdischen Gesetzgebers Moses  , vor denen einst der Pharao von Aegypten   zitterte, schrumpfen heute zu gewöhnlichen Taschenspieler­tunststückchen zusammen, welche die Wissenschaft auf natürlichem Wege erklärt. Wenn jemand unsern Großeltern erzählt hätte, daß Münch­hausens Fabel von den gefrorenen Tönen eines Waldhorns, die im ge­heizten Zimmer lustig erklangen, sich verwirklichen wird, so hätte man ihn sicherlich in's Narrenhaus gesteckt. Und doch wird es einst durch Vervollkommnung des Phonographen ermöglicht, das gesprochene Wort und den gesungenen Ton von Geschlecht zu Geschlecht fortklingen zu Lassen. Sein nun einunddreißigjähriger Erfinder, der Amerikaner Thomas Alma Edison, ist ein Genie im verwegenſten Sinne des Wortes, denn er hat nie eine Schule besucht. Mit elf Jahren verdiente er durch Zeitungskolportage in Eisenbahnwaggons seinen Lebensunter­halt und gab mit 13 Jahren ein Eisenbahnjournal heraus, das er, gleich Benjamin Franklin  , selbst konzipirte, sezte, druckte und kolportirte. Von seinen mageren Ersparnissen schaffte sich Edison naturwissenschaft­liche Bücher an und richtete sich ein kleines chemisches Laboratorium ein, mit welch' legterem er während der Fahrt Experimente anstellte, aber auch einen Brand des Waggons durch Selbstentzündung von Phosphor verursachte, der ihn zum Aufgeben seines Zeitungsgeschäftes zwang. Nach dieser Katastrophe lernte er ohne jegliche Anleitung die Telegraphie und trat in die Dienste der Western Union Company  . Ms Beamter dieser Gesellschaft erfand er den Duplexapparat, vermittelst dessen die gleichzeitige Beförderung von zwei Depeschen auf demselben Drahte er­möglicht wurde, den Gold- und Stockindicator, eine Vorrichtung, die während der Börsestunden auf sich selbst abwickelnden Papierstreifen in den nordamerikanischen Hotels und Bankhäusern die Kurse telegraphisch  meldet, und schließlich den Phonographen.

z

Dr. Julius Hinde beschreibt seine Einrichtung folgendermaßen: ,, Das Instrument besteht aus einer freisrunden Scheibe starken Papiers, die auf einem Holzringe aufgespannt ist, der seinerseits in einem Schall­becher ausmündet. Wird ein Wort in den Schallbecher hineingerufen, so geräth die Papierscheibe in zitternde Schwingungen, welche, je nach der Natur der Vokale und der Gruppirung der Konsonanten, verschieden ausfallen. Auf der Rückseite der schwingenden Scheibe befindet sich nun ein Metallstift, dessen äußerste Spiße eine Messingwalze berührt, die mit einem Blatte weicher Zinnfolie überzogen ist und durch eine so­genannte Schraube ohne Ende sowohl um sich selbst als auch von links nach rechts vorwärts bewegt werden kann. Wird nun die Walze gedreht und gleichzeitig die Scheibe durch lautes Sprechen in Schwin gungen versetzt, so werden die Vibrationen des Stiftes von der vorbei gleitenden Zinnfolie in Gestalt kleiner Bertierungen aufgenommen. Eine mechanische Vorrichtung gestattet alsdann die Entfernung des schreibenden Stiftes von der Walze, die man zurückdreht, worauf der Stift der Folie wieder soweit genähert wird, daß seine Spize die Vertiefungen faßt. Es muß nun, wenn die Walze gedreht wird, der Stift die Vertiefungen in derselben Reihenfolge passiren, wie er sie zuerst aufzeichnete, und in dieselben Bewegungen gerathen, in welche er durch die schwingende Scheibe versetzt wurde. Indem dies geschieht, geräth auch die Scheibe in dieselben Schwingungen, welche sie vorher dem Stifte mittheilte. Es wird also der Prozeß der Uebertragung der Schwingungen in um­gekehrter Weise wiederholt."

Der unermüdlich experimentirende Edison hat die Papierscheibe gegen eine metallene vertauscht und durch Induktion eines elektrischen Stromes den Druck, welchen das Sprechen auf die Nadel ausübt, ver­stärkt, so daß ein Flüstern eine englische Meile, und eine Stimme, die im gewöhnlichen Unterhaltungston spricht, hundert englische Meilen vernehmbar wird. Auch das Mikrophon, dessen Erfindung man fälsch­lich dem Professor Hughes zuschrieb und welches für das Ohr dieselben Dienste zu leisten verspricht, die das Mikroskop dem Auge gewährt, ist laut einer neuyorker telegraphischen Depesche Edisons Erfindung. Der Zusammenhang des Schalles mit der Elektrizität ist durch das Mikro­phon, welches die Natur in ihren geheimsten Schlupfwinkeln aufsucht, zweifellos bewiesen. Das Mikrophon ist ein röhrenförmiger Behälter von Eisen mit glühend gemachter Weidenkohle gefüllt, die mit Queck­silber gemischt ist. Das Quecksilber dringt naturgemäß in die durch das Glühen luftleergewordenen Boren der Weidenkohle und erhöht ihre Resonanzfähigkeit. Ein oben und unten zugespitzter Kohlenstift, der an den Wänden des Kästchens befestigt ist, steht mit dem Leitungsdraht eines Telephons in Verbindung. Der Apparat wird zur größtmöglichen Jsolirung auf Watte gestellt. Die Telephonleitung vermittelt meilen­weit das Ticken einer auf das Mikrophon gelegten Taschenuhr. Das Geräusch des Uhrwerks schwillt zum knarrenden Gepolter des Räder­werks einer Mühle. Die Tritte einer Fliege, die über den röhren­förmigen Eisenbehälter des Mikrophons lief, hallten so wuchtig, als

516

|

wie von einem hufeisenbeschlagenen Thier. Dr. Richardson in London  glaubt, daß das neue Schallvergrößerungsinstrument auch der Diagnose bei der Auskultation der Lunge und des Herzens gute Dienste leisten wird. Dr. M. T.

Analysen von einundzwanzig Haarfärbemitteln brachte vor kurzem die londoner Zeitschrift Lancet". Davon bestanden vierzehn aus Bleilösung mit darin vertheiltem Schwefel, einige waren als ,, völlig unschädlich"(!) bezeichnet. Die Preise schwankten von 25 Cents bis 1 Dollar 50 Cents die Flasche. Zwei waren Bleisalz in unterschweflig­saurem Natron gelöst; eins war Bleilösung, frei von Schwefelverbiu­dungen; eins in zwei Flaschen, deren eine ammoniakalische Höllenstein­lösung, die andere Pyrogallussäure enthielt. Die restirenden drei hatten den Zweck, die Haare heller, statt dunkler zu färben. Sie unter­schieden sich nicht viel von einander; jedes bestand aus ziemlich konzen­trirtem und schwach angesäuertem Wasserstoffsuperoryd. Dies ist im allgemeinen stets das wirksame Agens in derartigen Präparaten und fann nicht als giftig bezeichnet werden, wenn es auch dem Haarwuchs schädlich sein soll. Dr. B.-R.

-

Raummangels wegen fällt die Redaktionskorrespondenz aus.

Aerztlicher Briefkasten.

Liegnit. D. Jene Barbiere und Hebammen, welche jedermann auf Verlangen ein Dußend und mehr Schröpftöpfe seßen, um ,, schlechtes Blut" zu entfernen, begehen, geradezu gesagt, ein Verbrechen. Die Aerzte haben seit Jahren gegen diesen Mißbrauch, der aus früheren Jahr­hunderten stammt, geeifert; aber vergeblich. Denn nach wie vor herrscht unter der Landbevölkerung die Unfitte, sich von Zeit zu Zeit zur Alder oder schröpfen zu lassen; eine Unsitte, die nur durch ein polizeiliches Verbot ausgerottet werden kann. Dem Körper wird dadurch nämlich ein Theil seines besten Materials entzogen, dessen er zum Gedeihen be­darf. Das Blut ersetzt sich nur sehr allmählich von neuem. Es findet also stets eine, wenn auch vorübergehende Schwächung des Körpers statt. Letztere aber wirkt direkt lebensverkürzend und legt den Keim zu späteren Leiden. Unterlassen Sie also diesen Unfug.

Berlin  . Jenny St. Wir haben schon wiederholt erklärt, daß Ungarwein fein Kräftigungsmittel für solche Kinder ist, die an der eng­lischen Krankheit leiden. Ebensowenig nüßt in den meisten Fällen die Zuführung von Kalkpräparaten. Denn das Leiden wird sehr häufig durch Verdauungsstörung unterhalten, und diese zu beseitigen, ist die Aufgabe des am Orte befindlichen Arztes. Das beste Nahrungsmittel für der­artig Kranke ist die in früheren Nummern schon mehrmals von uns erwähnte Hartenstein'sche Leguminose Nr. II, in Verbindung mit Milch, und für ältere Kinder Fleischkost, Eier u. s. w. Leidet die Verdauung Hrn. W. v. F. Ober­nicht, so ist auch Leberthran zu empfehlen. stabsarzt Dr. Fränzel in Berlin   ist Spezialarzt gegen Krankheiten der Nieren und Harnorgane. Wollen Sie Sich gefälligst an denselben wenden, da sich Ihr Leiden ohne persönliche Untersuchung nicht be­urtheilen läßt.

-

Breslau  . Karl T. Sie haben sehr recht, wenn Sie an uns die Frage stellen, warum es keine Schußvereine für Handwerkslehrlinge gebe, denn diese seien gewiß nöthiger, als Thierschußvereine, Missions­vereine und dergleichen mehr. Blühende Knaben und Mädchen sind leider bei ihren Meistern und Herrschaften nicht immer genügend ver­sorgt; der Geiz begeht in Bezug auf Speise und Trank manches Ver­brechen an ihnen, während er sie schamlos ausbeutet; und ausgemergelt, blutlos, schwindsüchtig und bleich kehrt oftmals das vorher gesunde Kind nach wenigen Jahren wieder heim in's Elternhaus. Viele unserer sozialen Zustände sind nicht blos der Verbesserung bedürftig, sondern auch sehr leicht fähig, wenn man nur wollte. Wie wäre es z. B. mit der öffentlichen Nennung des Namens einer solchen Herrschaft und der Kennzeichnung ihres Küchenzettels, nach welchem sie ihre Dienstboten speist. Das würde schon helfen. Heute werden solche Klagen, auf deren Grund hin die Polizeibehörde oft ein solches Dienstverhältniß löst, in den Akten begraben und die Herrschaft" trifft nicht einmal eine Strafe.

Arno B. in Meerane   wolle sich dem Augenarzt Prof. Coccius in Leipzig   vorstellen; Fr. Sch. in Erfurt   seine Adresse angeben und den Inhalt seines Briefes dabei wiederholen. Nicht beantwortet werden konnten die Briefe von A. K. in Halberstadt  , J. W.   in Berlin  , Louis M. in Neuyork und R. H... t in Berlin  , weil ohne persön­liche Untersuchung eine richtige Beurtheilung der betreffenden Krank­heiten unmöglich ist. Die übrigen Korrespondenten erhielten direkte Antwort. Dr. Rejau.

-

Inhalt. Ein verlorener Posten, Roman von R. Lavant  ( Schluß). Meeresleuchten, von Dr. Leop. Jacoby( mit Illustration). Modern- russische Zustände( Schluß). Glanz und Elend, ein Kulturbild von Dr. M. Trausil. Weltausstellungsbriefe.( V. Schluß.) Bianca Cappello  ( mit Illustration). Der Phonograph und das Mikrophon. Ueber Haarfärbemittel. Aerztlicher Briefkasten.

-

Expedition: Färberstraße 12. II.

Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Plagwißerstraße 20). Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .