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Warum ich gerade nach Teras wollte? Nun, mein Haupt­grund war, daß ich kulturmüde" war, daß ich ein Bauer werden und meine Kinder zu ganz freien Menschen erziehn wollte. In einem Klima ohne eigentlichen Winter ist dies für der Handarbeit Entwöhnte leichter als in rauheren Himmelsstrichen; in Texas  gab es außerdem einen billigen Anfang, deutsche Ansiedlungen und ganz naturwüchsige Verhältnisse soviel wußte ich aus Büchern, Zeitungen und Briefen. Außerdem hatte Teras dazumal einen Anflug von Romantik, und es war bereits die zweite Heimath vieler Studirten, Adligen und Naturforscher geworden, in deren Gesellschaft es also doch immerhin ab und zu Ent­schädigung für Arbeit und Entbehrung geben mußte.

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Ich hatte so viele Reisegefährten gefunden, welche willens waren, mit mir zusammen, wenn ich nur wollte, eine neue Ansiedlung zu begründen und mir die schweren Anfänge des Urbarens einer Wildniß zu erleichtern, daß ich ein ganzes Schiff miethete, den " Hohenstaufen", Kapitän Lamke, Rheder Pokranz und Hofmann in Bremen  . Wohl wissend, daß sie in Amerika   nach allen Rich­tungen auseinander laufen würden, wies ich alle Verabredungen mit ihnen ab, bevor sie auf teranischem Boden angelangt und auch dann noch zusammenzubleiben einig geworden wären; ich versprach ihnen aber, für eine billige und gute Ueberfahrt und für guten Rath bei der Ankunft in der neuen Heimath zu sorgen. So fuhren wir in Altenburg   ab, in Leipzig   noch einen letzten Händedruck mit Roßmäßler, in Halle mit G. A. Wislicenus, in Bremen   mit Dulon wechselnd, und waren schon tags darauf an Bord des Hohenstaufen, der nur auf uns gewartet hatte, um in See zu stechen. Als ich sechs Jahre vorher, nach längerem Aufenthalte in Rußland  , über die Ostsee   nach Deutschland   zurück­gekehrt war, hatte ich mich in Swinemünde   vor übermächtiger Rührung zu Boden geworfen und hatte die deutsche( pardon! ich hätte sagen sollen die preußische) Erde geküßt. Diesmal packte mich keine solche Schwäche beim ewigen Abschied von dem heiß geliebten Vaterlande. Dagegen traten mir, als ich bald darauf die Vereinigte Staaten- Flagge auf einem vorbeisegelnden Schiffe emporhissen sah- wie wohl den meisten meiner Begleiter-, die Thränen der Freude in die Augen. Wohl warfen wir, als die letzten flachen Landzungen an der Wesermündung dem Blicke entschwanden, noch manchen Blick hinter uns und gedachten der vielen zurückgelassenen Freunde, ohne deren Opferwilligkeit ich die Reise nicht hätte bestreiten können, und des Guten, das wir im Vaterland genossen; allein es galt vorwärts schauen und mit der Vergangenheit abschließen. Ich müßte auch lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich je wieder eine Sehnsucht nach Deutschland  empfunden hätte. Darnach mache man sich eine Vorstellung, was für ein hartgesottner Sünder ich bin.

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Und als sollten wir im Vergessen des Erlittnen unterstützt werden, trieb uns ein überaus günstiger Wind mit solcher Schnelligkeit der neuen Heimath entgegen, daß wir nach achtzehn Stunden Fahrt die Leuchtfeuer von Dover   und Calais   in Sicht, nach sechsunddreißig Stunden den Kanal hinter uns und das offene, indigofarbige Weltmeer unter uns hatten. Unser Schiff, welches erst seine zweite Fahrt machte, war ein ausgezeichneter Segler, und schon am achten Tage hatten wir die Azoreninseln passirt und waren in den Passatwind und die Aequatorialströmung eingetreten. Wir durften hoffen, die Reise nach Texas   in drei Wochen beendet zu haben. Unter diesen prächtigen Aussichten und bei dem ruhigen Gange des Schiffes gab es wenig See­franke, und die Krankheit war nur von kurzer Dauer, alles war heitrer Laune, es wurde jeden Abend auf dem Deck getanzt, die wißigste Unterhaltung riß faum je ab, wozu der Kapitän, ein prächtiger Geselle, nicht wenig beitrug. Den Lebensmittelvorräthen und verforkten Flaschen, sowohl denen im Privatbesitz  , als denen des Schiffes, wurde unverhältnißmäßig stark zugesprochen, und das Trinkwasser wurde nicht geschont. Der Kapitän hatte ein paar gemästete Schweine und eine ganze Zucht Ferkel an Bord, sowie einen vollen Hühnerstall; außerdem hingen am Fockmaste, um ja solange als möglich frisches Fleisch zu haben, ein paar riesige Hinterviertel von Rindern. Dieser Vorrath ging rasch zur Neige; von den Hühnern freilich bekamen nur die Kajüte und die Kranken; das übrige frische Fleisch aber ging in gleiche Theile für alle.

Hier machte ich die erste störende Erfahrung. Daß ich nicht seekrank werde, war mir zwar nichts neues; aber zum ersten

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male fiel die Wahrnehmung mir wie ein Zentner auf's Herz, daß ich eigentlich meine Lebensbestimmung verfehlt habe. Ich war offenbar zum Seemann   geboren und nun war es zu spät, einer zu werden! Welche strogende Fülle von Kraft, Unter­nehmungsgeist und Lebenslust erblühte in mir auf dem Meere! Welch' erstaunliche Eßlust und Magenleistung zeigten sich! Ich hatte vier Kinder zu warten und zu pflegen und die seekranke Gattin dazu und wie man bald sehen wird alle Hände voll zu thun, und doch fiel mir alles so leicht. Ein Seesturm und welcher Auswandrer hätte nicht wenigstens einen furchtbaren er­lebt? berauschte mich. Wenn alle von uns Landratten den Muth verlieren wollten ich hatte davon für jeden etwas übrig. Ja, ich gestehe zu meiner Beschämung, daß mich einmal sogar der Uebermuth anwandelte, zwei meiner Mitreisenden in der Kajüte gleich nach einander mit Ohrfeigen dafür zu züchtigen, daß sie mich einen Lügner nannten. Es waren das freilich zwei Bourgeois, welche an allem zu tadeln fanden und mir die Schuld an Uebeln beimaßen, welche von allen Seereisen mit Segelschiffen und vielen Auswandrern fast unzertrennlich sind. Als die Reise langwierig wurde und der Kapitän leider zu spät Wasser und Wein sparen mußte, wollten sie mir schuldgeben, ich hätte ihnen abgerathen, ihren eignen Wein mitzunehmen. Ich leugnete das und forderte sie auf, meinen Brief vorzuzeigen. Statt dessen erfolgte obige Beleidigung und die erwähnte Züchtigung. Ich schäme mich der letzteren, denn sie hatten sich bei jedermann so verhaßt gemacht, daß alle gegen sie Partei nahmen und ich die Beleidigung ruhig hätte einstecken können. Aber ich erwähne dieses Vorfalls zum Beweise, welchen zauberhaften Einfluß das Meer auf gewisse Naturen übt. Da war noch eine solche Natur an Bord, ein Bauer Namens Wagner aus Selka   bei Schmölln  , von dem ich später zu berichten haben werde. Er kletterte bis auf die Mastspize, er lief auswendig am Schiffskörper auf der schmalen Leiste wie ein Eichhörnchen dahin, über welcher das " Bollwerk"( die Einfassung des Verdecks) sich erhebt, und schwang sich von einem Wandtau zum andern. Viele der Reisegefährten verrichteten Matrosendienste, wenn es schnell zu manövriren galt. Alle aber aßen mit einem Wolfshunger von ihren großen Speise­vorräthen, welche sie auf meinen Rath mitgebracht hatten.

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Damals war die Segelwissenschaft und Windkunde noch nicht soweit entwickelt, daß man dem Kapitän hätte zumuthen können vorauszusehen, was eintreten mußte. Wenn wir den Passatwind schon auf dem fünfunddreißigsten Breitengrade vorfanden, anstatt auf dem gewohnten achtundzwanzigsten, so konnte der Streifen, auf welchem er regelmäßig verbreitet ist, nicht bis zum fünften Grade reichen, sondern höchstens bis zum zwölften; der Kapitän aber in seiner Freude, den höchst günstigen Wind von Grad zu Grad immer stärker blasen zu sehen, gab den kürzeren Weg über die Bahamabänke mit ihren Widerwärtigkeiten auf und wählte den längeren( zwischen Cuba   und San Domingo hindurch), um mit dem Passate zugleich die Aequatorialströmung benußen zu können und trotzdem schneller und gefahrloser seine Menschenfracht an's Ziel zu bringen. Er ging also möglichst nahe an die Linie hinan und wurde dabei durch einen Nordweststurm sogar ver­schlagen, der unausgesezt drei Tage anhielt, dann plößlich sich legte und uns in der Gegend der Windstillen sizzen ließ. Es dauerte zwar mehrere Tage, bis der hohe Seegang vorüber war und wir Landratten die ganze Bescheerung merkten, die man freilich den Seeleuten anmerken konnte. Ja, selbst als das Meer ganz spiegelglatt geworden war, und eine unerträgliche Lichtfülle vom Himmel der Linie, und vom Meere zurückstrahlte, blieb noch wochenlang ein Wogen der ruhigen Wassermasse bemerkbar, wie ein leises Athmen des Ozeans. Ich vermuthe, daß diese Be­wegung der Aequatorialströmung auf die Rechnung zu sehen ist. Damals aber vermuthete ich dies noch nicht, und ich glaube, der Kapitän vermuthete es auch nicht. Daß wir dennoch trotz zweier Windstillen von zusammen fünfwöchentlicher Dauer langsam durch die Strömung dem Ziele näher kamen, das wußten wir nicht, oder der Kapitän fand nicht für gut, uns damit zu trösten. Man stelle sich nun die Verzweiflung dieser armen Auswandrer vor, denen die Wasserportionen immer mehr gekürzt wurden, denen nach Aufzchrung ihrer eignen Lebensmittel die Schiffskost schlecht mundete, zumal als das Wasser zweimal nach einander faulig wurde, denen alle Hoffnung schwand, jemals aus dieser Hölle von Hiße und Licht erlöst zu werden!