"
Aerzten immer mehr als Brutstätten der tödtlichen Massenerkrankungen erkannt und bekämpft werden. Eine schlechte Privat pflege soll nach Ansicht der medizinischen Autoritäten immer noch besser sein, als diese Institute, wofür freilich die im lieben deutschen Reich sehr in Flor stehende Praxis der Engelmache rinnen" nicht spricht. Den unehelichen Kindern stehen die mutter losen gleich, da ihnen das wichtigste Nahrungsmittel, die Mutter milch, fehlt. Zu gleichem Schicksal sind viele Kinder verdammt, deren Mütter sich unter dem Druck der sozialen Verhältnisse als Ammen vermiethen, ihre Brüste dem Kinde des vornehmen Mannes reichen, während ihr eigener Sprößling zu Grunde geht. Daß die künstliche Ernährung einen vollkommenen Ersatz für die Muttermilch nicht bieten kann, weist die Statistik nach, indem sie sofort eine größere Sterblichkeit der Kinder, welchen diese Wohlthat verschlossen ist, konstatirt.
Dies müssen viele arme Frauen erfahren, welche ihre Kinder gern selbst stillen würden, wenn ihnen dies möglich wäre. Früh zeitige Beschäftigung in Fabriken, überlange Arbeitszeit, sigende Lebensweise, Fabrikation gesundheitsgefährlicher Gegenstände 2c. tragen dazu bei, daß die Frau des Arbeiters oft genug keine Milch hat und ihr Kind mit Brei auffüttern muß. Die Be schäftigung der verheiratheten Frauen in Fabriken schädigt noch in anderer Weise die Gesundheit der Kinder. Bekannt ist, daß in England während größerer Arbeitseinstellungen trotz des fehlenden Verdienstes die Sterblichkeit abnahm, weil die strikenden Arbeiter frauen jetzt Gelegenheit hatten, ihren Kindern statt der tödtenden Opiate regelmäßig die eigene Brust zu reichen."
535
-
Die Statistik lehrt ferner, daß diejenigen Kinder um so leichter sterben, welche künstlich entbunden werden mußten. Die Nothwendigkeit der künstlichen Entbindung hängt von der Kleinheit des Beckens der Mutter, diese aber wiederum von den sozialen Verhältnissen ab; die Entwicklung des Beckens wird bei denjenigen Mädchen gehemmt, die schon frühzeitig zur Arbeit genöthigt sind. So führen alle Erscheinungen in einer Kette wieder zu den Wurzeln des sozialen Uebels zurück.
( Beiläufig sei bemerkt, daß Frauen, die eine, emanzipirte" Erziehung genossen haben, gewöhnlich aus physiologischen Gründen unfähig sind, Kinder zu stillen. Diejenigen, welche das Stichwort Emanzipation der Frauen" im sozialistischen Uebereifer in die Forderung:„ Völlige Gleichstellung des männlichen und weiblichen Geschlechts" umkehren, werden gut thun, diese Verhältnisse näher zu studiren.)
"
Wir wollen diese Betrachtungen nicht schließen, ohne nochmals die ernstlichen Mahnungen, welche die Statistik an die Sozialpolitiker richtet, zu betonen. Ob die Kindersterblichkeit in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, diese Frage läßt sich in allgemeingiltiger Weise nicht beantworten. Wahrscheinlich ist, daß, in Deutschland wenigstes, die Verhältnisse sich noch um ein geringes verschlechtert haben. Die Ursache der hochgradigen Kindersterblichkeit liegt nur in dem großartig entwickelten und neuerdings erschreckend anwachsenden Pauperismus. Dies läßt sich nicht wegdeuteln, noch bestreiten. Wenn man aber die Ursache eines gesellschaftlichen Leidens erkannt hat, wird hoffentlich das Heilmittel nicht schwer zu finden sein.
Blumen
-
Stolz mögen wir uns glücklich nennen, Weil bei des Geistes mildem Schein Des Lebens Fülle wir erkennen, Die Andre drückt mit dumpfer Bein;
Doch mehr noch glücklich, weil wir sinnig Und liebend rings das Leben schau'n, Und an dem Kleinsten fromm und innig Mit Kindesinbrunst uns erbau'n."
ein Symbol der Liebe.
Von Hugo Sturm.
Es ist ein Charakterzug des deutschen Volkes, mit sinnigen Blicken das Leben der Natur ringsumher zu erfassen. Wir stehen in dieser Beziehung gewissermaßen mit den Indiern in Verwandtschaft, wenngleich uns die glühende Phantasie derselben fehlt, die so überschwengliche Bilder hervorzuzaubern im Stande ist. Unsere bescheidenere Natur hält uns in Schranken, so daß unsere Auffassung derselben nicht in das Phantastische übergeht, das wir bei den Völkern wahrnehmen, über die das Füllhorn der Pflanzenund Thierwelt in reichlicheren Gaben und mannigfaltigeren Formen ausgeschüttet worden.
Aber dennoch vermag auch ein deutscher Frühling unser Herz zu Hymnen zu begeistern, und die vielen poetischen Erzeugnisse, die gerade diese Zeit verherrlichen, sprechen ja laut genug hier von. Durch Gegensäße lernen wir den Werth einer Sache recht kennen, und so stellt auch unser Winter erst die Schönheit des Lenzes in den Vordergrund. Der Südländer, dem Flora zu allen Zeiten Gaben spendet, kennt garnicht den Reiz der wechselnden Jahreszeiten. Dort gibt es keine Lenzeslieder; dort erklingt keine Leyer zum Preise des Wonnemonats; dort entbehrt man des Vergnügens, allmählich sich den Lenz aus den starren Fesseln des Winters entwinden zu sehen, dieses Kampfspiel, dem unsere ganze Aufmerksamkeit immer zugewendet bleiben wird. Die Sehnsucht, die den in jenen Zonen wohnenden Nordländer gerade zur Lenzeszeit zu überschleichen pflegt und ihn immer wieder an die weniger üppige, aber mehr zum Herzen sprechende Heimath erinnert, hat gewiß auch in dem Reiz unserer wechselnden Jahreszeiten mit ihren Grund.
Und vor allem ist es die Pflanzenwelt, die uns den Wechsel der Zeiten, die Kontraste und die in ihnen wurzelnden Ueber raschungen so recht vor Augen führt. Zwar fehlt es ja auch in der Thierwelt nicht an Erscheinungen, die den kommenden Lenz und Herbst ankünden, aber ihr Leben verbirgt sich mehr den Blicken der Menschen, während Floras Gaben vor jedermann offenkundig daliegen. Selbst der Wanderzug der Vögel, dieser großartigste der Vorgänge in der Vogelwelt, wird von vielen
Menschen übersehen, aber das Knospen und Blühen der Blumen, das Welken und Verdorren derselben dürfte wohl nur von wenigen nicht beachtet werden. Die Pflanzenwelt ist mit tausend Fäden an unser Leben geknüpft. Ohne sie ist ein Leben nach unsern Begriffen nicht möglich, ohne sie würde die Landschaft des eigentlichen Charakters entbehren, den sie erst durch die blühenden und grünenden Kinder Floras erhält. Es ist wahr: die Pflanze schwingt sich nicht zu der Höhe des thierischen Lebens empor, aber trotzdem ist sie doch der erste und wichtigste Gegenstand der Natur. Das animalische Leben schöpft seine Lebenskraft nur aus dem Pflanzenreich; es wurzelt in ihm, mit ihm zusammen gedeiht und vergeht es eins ist eben von dem andern unzertrennlich. Goethe, als Dichter und Naturforscher gleich hochgeachtet, sagt sehr richtig:
-
,, Hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte; Doch ein neuer sogleich fasset der vorige an, Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge, Und das Ganze belebt, sowie das Einzelne, sei." Mit der Pflanzenwelt haben alle Völker, die je in der Geschichte eine Rolle gespielt, in einiger Verbindung gestanden. Es ist unnöthig, auf diesen Pflanzenkultus hinzuweisen, der ja nur wenigen gänzlich unbekannt sein dürfte. Heilige Haine oder auch einzelne den Göttern geweihte Bäume finden wir fast überall, wo wir unsere Blicke in die Geschichte der Völker schweifen lassen. Das Paradies der Juden, die heiligen Dattelpflanzungen des Arabers sind direkt von Gott gepflanzt worden, und wie wenige Völker sind es nur, bei denen wir nicht solchen der Gottheit gewidmeten Orten begegnen!
Doch noch inniger ist das Verhältniß des einzelnen Menschen zu den düftespendenden Blumen. Ohne daß wir danach suchen, drängen sich uns von selbst Anknüpfungspunkte genug auf, durch die das Leben der Pflanzen zu dem unsern in gewisse Beziehungen tritt. Sie haben eine knospende Jugend, entfalten erst allmählich ihre Pracht und ihren Duft, bringen Furcht und- welken zu ihrer Zeit dahin. Welche Fülle von Betrachtungen knüpft sich nicht ganz von selbst an diese Erscheinungen! Wir würden den uns zur Verfügung stehenden Raum gewiß um das zehnfache überschreiten müssen, wollten wir die Pflanze nach allen diesen Richtungen hin auch nur ganz oberflächlich an unsern Blicken vorüberziehen lassen. Nur eine Beziehung der Pflanze zu unserm Leben sei heute Gegenstand unserer anspruchslosen Skizze: die zu unserer Liebe.