-

ihm trieb. Ich habe vergessen, daß früher Zwietracht zwischen euch bestand, Zwietracht und schrecklicher Haß, der mir viele Thränen gekostet hat.... Und es hat sich gefunden, daß er, großmüthig und gut, auch alles vergessen hatte... daß er Sie dem Tode entreißen wollte. Sie haben ihn beschimpft, er konnte sich deshalb rächen... aber nein... er rettet Sie trotz Ihrer Verhöhnung. Ihrem Hasse antwortet er mit der edelsten Freund­schaft, Ihrer Verachtung mit persönlicher Aufopferung, und Sie beschimpfen ihn wieder! Sie sehen also, Sie hatten an das alles nicht gedacht. Es war ein plöglicher, unüberlegter Aus­bruch, nicht wahr?... O, Sie haben mir das Herz gebrochen, mein Freund, als ich soviel Zorn bei Ihnen fand für eine Wohl­that. Ludwig, sehen Sie, ich weine, und es sind dieses Thränen der Dankbarkeit für ihn sowohl, als Thränen der Liebe für Sie!" Das junge Mädchen konnte nicht mehr, es schluchzte. Diese Aufregung hatte es erschöpft. Herr von Liron war bleich und traurig geworden. Jedes Wort seiner Geliebten hatte ihn heftig bewegt, all' sein Haß schmolz unter dem Hauch dieser geliebten und feurigen Stimme.

Uebrigens, sollte er jetzt nicht auch die ganze Großmuth des­jenigen einsehen, den er für seinen Feind gehalten hatte? Barrère betrachtete sie mit süßer Ruhe; die Freude flärte seine Stirne, er näherte sich ihnen.

Nun, Herr von Liron, verweigern Sie noch immer, diese Hand zu drücken?" sagte er." Ich selbst hätte mich nicht ver­theidigt, aber ich bekräftige alles, was Fräulein von Jonzac  gesagt hat."

538

|

Herr von Liron nahm seine Hand und, seinen Stolz de­müthigend bis zum Kniefall, sagte er:

" Verzeihen Sie mir, verzeihen Sie mir, daß ich Sie verkannt habe. Ja, Margretha hat es gesagt, es war eine blinde Auf­wallung.

И

Keine Verzeihung," unterbrach ihn Barrère, ihn aufhebend, aber Freundschaft das ist's, was ich will!"

Er drückte die Hände der beiden jungen Leute mit väterlichem Wohlwollen und betrachtete sie einen Augenblick mit träumerischem Blick; dann, denjenigen rufend, der Herrn von Liron aus dem Gefängnisse bis in dieses Haus begleitet hatte, sagte er:

" Jakob, mein Freund, du hast mir dieses Zimmer abgetreten, um meine Rache zu vollführen; habe Sorge für diese zwei Kinder bis morgen, wo ich wiederkommen werde, um ihre Abreise vor­Und ihr, zubereiten, denn die pariser Luft ist jetzt nicht gut! meine Kinder," fuhr er fort, wenn es euch möglich ist, denkt an mich; meine Erinnerung möge nicht ganz aussterben!"

-

" Nie!" riefen Herr von Liron und Margretha." Immer werden Mann und Frau sich erinnern, daß sie Ihnen ihr Glück auf dieser Welt zu verdanken haben."

Und nun," sagte Bertrand Barrère mit bittrer Traurigkeit, wollen wir unsere alte Rüstung zum neuen Kampfe wieder an­legen. Wer weiß, ob ich eines Tages mich selbst werde retten können?"

Nach diesen Worten verließ er die beiden Glücklichen, und während schon der Morgen dämmerte, fehrte er langsam nach Paris   zurück, wo ihn neue Stürme erwarteten.

Pariser Skizzen.

Jm vorigen Jahrgange war es mir vergönnt, den Lesern der ,, Neuen Welt" eine Charakteristik des philosophischen Kaisers Julianus vorzulegen, und wem seine edle Gestalt damals lieb geworden ist, der wird heut gern mit mir eine Stätte betrachten, die ihm besonders theuer war.

Zuvor aber appellire ich gegen einen Vorwurf, der mir nach der Veröffentlichung des genannten Auffazes gemacht worden, an die Tole­ranz der wahrhaft Freisinnigen. Man hatte es bedenklich gefunden, daß ich einen unbeschränkten Machthaber als Vertreter eines Freiheits­gedankens dargestellt; grade als ob ein Fürst von seinem Thron den Fortschritt nur zu kommandiren brauchte und niemals das Verdienst eines opferfreudigen Kämpfers beanspruchen könnte.

Wer in der Geschichte bewandert ist, weiß recht gut, wie wenige der Gewaltigen wirklich frei gewesen. Schnell sind sie gezählt, die der bestehenden Ordnung getroẞt haben; und hatten sie die Ketten gebrochen, so wurden sie zumeist mehr Geißler der Unterdrückten, als väterliche Beschützer. Die Mehrzahl aber blieb unter dem Druck einer un­sinnigen Etikette, starrer Gesetze, die sie als unheilbare Krankheiten über­kommen hatten; und oft genug wurden sie Opfer derselben. Sie waren also weit weniger frei verantwortliche Herren, als vielmehr gekrönte Knechte; Knechte entweder der privilegirten Klassen oder Knechte einer durch langen Mißbrauch des wirklichen Rechts traditionell gewordenen, versteinerten Unordnung. Je älter die Throne wurden, desto mehr glichen sie Petrefakten des historisch erstarkten Vorurtheils.

Unter solchen Umständen sollte ein edler Mensch nicht auf unsere Bewunderung zählen können, der rein und gerecht blieb in der größten Versuchung, die es gibt, im Besize unumschränkter Gewalt; und mehr als dies, der alle seine Macht nur gebrauchte, um sich und die seiner Leitung Anvertrauten zu veredeln? War es etwa leicht, das Christen­thum zu bekämpfen, welches seit Konstantin das Reich überschwemmt hatte, oder war es für Julians Herrschaft nützlich? Ein Nero, ein Diokletian   hatten es verfolgt, weil sie das in ihm waltende sklaven­züchtende Prinzip nicht erkannten; hingegen Konstantin hatte eingesehen, daß man die Knechtseligen nicht zu Märtyrern, sondern zu Ministern machen muß. Julian aber wollte keine Knechte, sondern freie, denkende Menschen; deswegen griff er auf die griechische Philosophie zurück und erhob zum religiösen Symbol das edelste Prinzip, den Kultus des Lichts.

Ich wohne im Quartier latin, dem lateinischen Viertel von Paris  . Weiß nicht, ob es seinen Namen von den Gelehrtenschulen hat, die es zur Heimath der Studenten machen, oder von seinen Ruinen aus der Römerzeit. Wenige Schritte nur von meinem Hause erheben sich diese gewaltigen Reste der von Konstantius Chlorus erbauten römischen Kaiserburg. Spricht man heut von ihnen, so nennt man sie gewöhnlich Musée de Cluny  , weil die Aebte der Benediktinerabtei Clüny in Süd­burgund sich ein Schloß in spätgothischem Stil, das heut als Museum eine große Sammlung römischer und mittelalterlicher Alterthümer um faßt, auf den antiken Fundamenten errichtet haben. Aber sehr üblich ist auch noch die Bezeichnung ,, Die Bäder Julians", nach dem Haupt­theil des erhaltenen Kastells.

Es ist wohl wahr, daß wir nordischen Epigonen an das Herein­ragen der römischen Vergangenheit in unsere Gegenwart von Kind auf gewöhnt sind. An den tiefblauen Havelseen meiner märkischen Heimath hatten wir eine Römerschanze, die, wenn auch nur von der Sage so benannt, doch meinen Knabenphantasien einen weiten Spielkreis öffnete. und später als Student fand ich am lieblichen Neckar   eine heidnische Kapelle, nahe dem antiken Sumlocennä; und in einem Schwarzwald­bade ausgegrabene Münzen mit den Bildern der Imperatoren, unter denen auch Julianus nicht fehlte. Aber so lebendig hatte das nicht zu mir gesprochen, wie die mächtigen Trümmer der Lutetia Parisiorum.

Cäsar war es, der im Jahre 52 vor unserer Zeitrechnung diese alte Gallierstadt auf der Seineinsel eroberte und sie mit Mauern um­gab. Aber der Name Lutetia ,,, Sumpfloch" nach lateinischem Sinne, scheint älter, scheint feltischen Ursprungs zu sein und ,, Rabeninjel"*) zu bedeuten. Für den Handel war sie durch ihre Lage trefflich ge­eignet; darum trägt sie noch heut ein segelndes Schiff in ihrem Wappen, und die Zunft ihrer Schiffer errichtete unter der Regierung des Tiberius  dem Jupiter einen Altar. Eine seltsame Fronie der Geschichte hat auf diesem Punkte den Wellenschlag menschlicher Träume zum oftmals wechselnden Ausdruck gebracht. Im zwölften Jahrhundert wurde hier der Bau von Notre- Dame   begonnen, unter deren Chor man 1711, mit einer Gruft für die Erzbischöfe beschäftigt, jenes Denkmal des heidnischen Gottes fand. Und noch vor Ablauf dieses achtzehnten Jahrhunderts proklamirten die Hebertisten die Kathedrale zum Tempel der Vernunft. Dann kam Robespierre   und setzte das Etre suprême( höchste Wesen) wieder ein, und 1801 schuf die Politik Napoleons  , eines zweiten Konstantin, von neuem die Macht des katholischen   Klerus. Der Papst Pius VIII.   überschritt 1804 die Alpen  , um an der nämlichen Stelle, wo einst Jupiters Priester geopfert und noch vor kurzem die Voltai­rianer den Vernunftkultus gepflegt hatten, denselben Despoten zum Kaiser zu krönen, der ihn bald darauf vom Stuhle St. Peters stürzen und gefangen nach Savone führen sollte. In diesem Jahre hat man daselbst natürlich auf für Pio Nono   die offizielle Seelenmesse abgehalten, die frostig war wie ein Herbsttag, wenn der Sturm das abgestorbene Jahr zu Grabe heult.

Auch im nördlichen Stadttheil sucht man Erinnerungen an die römische Herrschaft. Montmartre das soll Mons Martis heißen, als habe dort oben ein Tempel des Kriegsgottes gestanden. Wahrschein­licher aber bleibt die Erklärung Mons martyrum, Berg der Märtyrer. Doch gleichviel, beide Namen erinnern an die ganze Schmach der' ent­arteten Menschheit; denn welches Gräßliche ist nicht inbegriffen in die beiden Worte: Krieg und religiöser Fanatismus?

Die Bäder Julian's liegen im Süden, auf dem linken Seineufer, und ihre mächtigen unterirdischen Gewölbe, die als Wasserreservoirs gedient haben mögen, reichen weit unter den Boulevard St. Michel. Von diesem aus blickt man durch ein hohes eisernes Gitter in das jetzt auf der einen Seite offene Tepidarium, den Saal für die warmen Bäder, dessen Dach der Zeit erliegen mußte. Jezt ist er ein Theil des Gartens; aber um so besser ist er blosgelegt, um das Großartige, Massige der gebrochenen, vom Alter geschwärzten Mauern erkennen zu

*) Oder Wasserwohnung. Cf. Nr. 34,, Paris   vor tausend Jahren". Red. d. N. M.