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Richter mit einem ehemaligen Studiengenossen, namens v. Dertel, zusammen, dessen Vater Gutsbesizer in Töpen bei Hof war. Dieser Jugendfreund vermochte es, daß sein Vater den in so trostloser Lage befindlichen jungen Mann zum Hauslehrer für die jüngeren Kinder berief. War diese Stellung auch keineswegs eine angenehme zu nennen, so hatte sie doch das Gute, daß sie ihm seinen Unterhalt gewährte und die Last der guten Mutter verminderte. Zwei und ein halbes Jahr blieb Richter in diesem Wirkungskreise, dann kehrte er abermals zur Mutter nach Hof zurück. Während dieser Zeit schrieb er sein zweites satirisches Werk, nämlich die Auswahl aus des Teufels Papieren". Úm jedoch nicht abermals der Mutter die dauernde Sorge für seinen Unterhalt aufzuladen, zog er im Jahre 1790 nach Schwarzenbach, wo ja sein Vater als Pastor gelebt hatte und gestorben war, und errichtete dort eine Sammelschule". Vier Jahre brachte er auf diese Weise in dem genannten Städtchen zu. Seit neun Jahren, so sagte er selbst, hatte er in der Essigfabrik der Satire" ge­arbeitet. Nun schien aber für ihn und seine mühsam durch gearbeitete Entwicklung ein Wendepunkt einzutreten. Seine im Jahre 1793 erscheinende Unsichtbare Loge" bezeichnet seinen Uebergang von der Satire zum Humor, fündigt, wie Johannes Scherr sagt, den eigentlichen Jean Paul an und erzielt ihm auch einen günstigen Erfolg in pekuniärer Hinsicht. Da überkam ihn neuer Muth, neue Hoffnung; nun vertraute er seiner Kraft. Er hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß er zum Schriftsteller be­rufen und befähigt sei, etwas Gutes zu leisten. Er gab daher im folgenden Jahre( 1794) seine Sammelschule in Schwarzenbach auf und kehrte zum drittenmal zum lieben Mütterchen nach Hof zurück. Um desto sicherer etwas zu verdienen, ertheilte er nun Privatunterricht, war aber nebenbei selbstverständlich fleißig mit Schriftstellerei beschäftigt. Im engen Stübchen eines fleinen, mehr hüttenartig gebauten Hauses, neben der am Spinnrad sitzenden Mutter, arbeitete der nun schon einunddreißig Jahre alte Dichter. Aber sein Genius entfaltete sich immer mehr und die Fülle und Innigkeit seines so reichen Gemüths ergoß sich hier in dem Werke, welches seinen Namen noch berühmter machte und ihm tausende von Frauenherzen gewann. Wir meinen Hesperus, oder fünfundvierzig Hundsposttage".

Nun war sein Dichterruhm fest begründet, nun war er be­rechtigt, einen Platz neben den ersten deutschen Dichtern zu bean­spruchen. Darum zog es ihn auch dahin, wo damals die Heim stätte eines Goethe, Schiller, Herder , Wieland u. a. war. Im Jahre 1795 reiste Jean Paul , wie er sich als Schriftsteller nannte, nach Weimar , wo er bei Herder , Knebel und der Herzogin Amalie eine sehr begeisterte Aufnahme fand. Leider sollte die Freude und das Gefühl der Beglückung, welches durch diesen Besuch über ihn gekommen war, eine starke Trübung erfahren. Sein liebes Mütterchen, mit dem er so manche einsame und stille Stunde verlebt, welches den genialen Sohn so gern in seinem Schaffen belauscht und oft bedauert haben mag, ihm nicht ein glänzenderes Loos bereiten zu können, dieses liebe, treue Herz war auch, alt geworden und starb. Nun war der Dichter allein. Von seinen Brüdern wird nichts weiter gemeldet; wahrscheinlich konnten die selben aus Mangel an Mitteln keine weitere Ausbildung erlangen und sind in untergeordneter Stellung verblieben. Jean Paul Jean Paul wählte nun Leipzig zu seinem Aufenthalte. Allein, mochte diese Stadt auch noch so viel Anziehendes für ihn haben, er hatte das Leben in Weimar gesehen, und da er ja frei war wie der Vogel, der sein Nest baut, wo es ihm eben gefällt, so verließ er schon im folgenden Jahre wieder Leipzig , um seinen beständigen Wohn­sitz in Weimar aufzuschlagen. Die Zeit, die er hier nun in Ge­meinschaft mit Herder , Knebel, Wieland und der Frau von Kalb verlebte, darf wohl die schönste seines Lebens genannt werden. Der Herzog von Hildburghausen glaubte ihm auch seine Ehren bezeigung machen zu sollen, und verlieh ihm den Titel eines Legationsraths. Eine Trübung erlitt die schöne Zeit dieses Auf­enthalts in Weimar doch. Wie schon bemerkt, gelang es Jean Paul nicht, sich die Zuneigung Goethes und Schillers zu er­werben. Der letztere schrieb an jenen, daß er Jean Paul fremd und wie einen, der aus dem Mond gefallen sei," gefunden habe. Wenn man auch grade nicht sagen kann, daß es dieser Umstand allein gewesen ist, so hat er doch gewiß nicht wenig dazu bei getragen, daß Richter Weimar bald wieder verließ. Im Jahre 1800 reiste er nach Berlin , wo er sich mit der Tochter eines höheren Beamten verlobte und im folgenden Jahre verheirathete. Dann nahm er seinen Aufenthalt in Meiningen , zog von dort wieder weg, und zwar 1803 nach Koburg ; auch hier nur ein

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Jahr verweilend, siedelte er 1804 nach Bayreuth , wo von nun ab sein beständiger Aufenthalt war bis zu seinem Tode. Der Fürst Primas von Dalberg segte ihm 1808 ein Jahrgehalt von tausend Gulden aus, welche Summe nach Auflösung des Rhein­bundes der König von Bayern zu zahlen übernahm.

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Wenn man von Baireuth die Straße hinauszieht, an welcher in neuerer Zeit Richard Wagner sein sonderbares Haus gebaut hat, so führt einen eine schöne Lindenallee etwa eine halbe Stunde weit auf eine Anhöhe bis zu einer Straßenecke. Links ab führt der Weg zur sogenannten Eremitage". An dieser Ecke ſteht ein kleines Wirthshaus mit einem bescheidenen, daranstoßenden Wirthschaftsgarten. Wirthschaftsgarten. Da hinaus, durch die lange Lindenallee, nach dem einfachen Straßenwirthshause, wanderte Jean Paul fast tagtäglich, eine Ledertasche, mit Papier und Skripturen ge­füllt, umhängend, seinen treuen Spitz als Begleiter zur Seite. In der oberen Stube dieses Hauses, die nur mit ganz einfachem Geräthe ausstaffirt war, saß er, dichtete und schrieb bei einer Flasche Wein, gepflegt von der Mutter Rollwenzel". Jahrelang ging es so fort. Es schien, als ob der Dichter nur in der Stadt wohnte, bei Mutter Rollwenzel aber sein Arbeitszimmer hätte. Aber die gute Frau pflegte ihn auch wie eine Mutter, verstand ihn, besonders in seinen Schwächen, wußte, was er liebte und was ihm gut that. Es ist daher kein Wunder, daß er sich dort wohlfühlte. Der Verfasser dieses Aufsatzes hat vor einigen Jahren selbst einmal von Baireuth aus eine Wallfahrt nach jener ge­heiligten Stätte"*) gemacht und aus dem Zimmer, in welchem einstens Jean Paul gearbeitet, seine Briefe und bevorstehender Lebenslauf" als Andenken mitgenommen. Aus dem ferneren Leben des Dichters ist von nun ab kaum noch etwas Besonderes zu melden. In einfach geregelter Weise scheint es dahingeflossen zu sein. Im Jahre 1821, heißt es, traf ihn ein harter Schlag. Ein Sohn der damals in Heidelberg Theologie studirte, wurde ihm durch den Tod entrissen. Seit dieser Zeit kränkelte auch er. Sein Augenlicht wurde immer schwächer, bis es endlich ganz erlosch. Johann Paul Friedrich Richter , genannt Jean Paul , starb am 14. November 1825 in Bayreuth . Vor einiger Zeit hat ihm diese Stadt auf dem Plaze vor dem Gymnasium ein Denkmal gesetzt. Manche Erzählung aus dem Leben dieses deutschen Dichters lebt noch im Munde des dortigen Volkes.

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Es ist uns unmöglich, innerhalb der uns gezogenen engen Schranke hinsichtlich des Raumes näher auf die Schriften dieses Mannes einzugehen. Wir könnten sie daher auch nur der Reihe ihrer Entstehung nach mit theilweiser Angabe ihres Inhaltes hier anführen.

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Wie schon gemeldet worden, arbeitete Jean Paul während der ersten neun Jahre seiner schriftstellerischen Laufbahn in der Essigfabrik der Satire". Aus dieser Zeit stammen die schon genannten Grönländischen Prozesse" und" Auswahl aus den Papieren des Teufels". Ihnen folgten:" Reise des Rektors Fälbel mit seinen Primanern nach dem Fichtelgebirge "," Freudels klaglibell über seinen Dämon"," Leben des vergnügten Schul­meisterleins Wuz"( Idylle: Glück in der Beschränkung). Sind die beiden erstgenannten rein satirisch, so behandeln die anderen mehr den Charakter des Uebergangs von der Satire zum Humor. Die nun folgende Schrift Unsichtbare Loge" bezeichnet den vollen Uebergang, kündigt, wie schon bemerkt, den wahren Jean Paul in seiner Eigenthümlichkeit an und macht den ersten Schritt, um seinen Ruhm zu begründen. Das Werk ist ein Roman, mit einem Reichthum von Gedanken über Erziehung im Sinne des französischen Philosophen J. J. Rousseau . Diesem folgt der eben­falls schon genannte Hesperus, oder fünfundvierzig Hundspost­tage" oder Leben des Quintus Firlein".( epischer Natur) gehört zu seinen bessern Sachen; die Schrift schildert die Leiden und Freuden eines Lehrers, wobei er theilweise sich selbst, theils auch den Theodor Benjamin Helferecht, Rektor des Gymnasiums in Hof, im Auge hatte. Dann folgen die" Biographischen Be­lustigungen";" Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokat Siebenkäs"( hierin schildert er sich selbst, von der Zeit der Herausgabe der Auswahl aus des Teufels Papieren" ab);" Jubelsenior";" Kampanerthal, oder über die Unsterblichkeit der Seele"; Balingenesien";" Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf", woraus Der doppelte Schwur der Besserung" und Die Neujahrsnacht eines Unglücklichen" ganz besonders Erwähnung verdienen. Die Flegel­

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*) Siehe ,, Uhlichs Sonntagsblatt", Jahrg. 1873, Nr. 29 vom 20. Juli: ,, Worin besteht des Menschen wahres Glück?"