Bewegung zu übertragen: also müssen im luftverdünnten Raum 1 Kilo und 100 Kilo, eine Flaumfeder und ein Stückchen Blei gleich schnell fallen.

Zu noch größerer Verdeutlichung unserer Auseinandersetzungen über den freien Fall kann auch die Gegenüberstellung der früheren Anschauungen dienen.

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Einmal sollten danach Fallbewegungen zustande kommen ohne Verbrauch von Kraft; wenigstens war unbegreiflich, woher die Erde und andere Körper- die sich ja alle gegenseitig anziehen sollten! ihren Vorrath an beständig verbrauchter, verausgabter Kraft immer wieder ergänzten. Dann sagte man, um die That sache des gleich schnellen Fallens der Körper zu erklären: die Anziehungskraft der Erde sei für alle Körper gleich groß, d. h. gegen alle Massen, die hier überhaupt fallen könnten, sei die der Erde so unendlich überwiegend, daß der Abzug, den ihre An­ziehung erleide durch die entgegengesetzt wirkende der ja auch mit

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Anziehung begabten, im Fallen begriffenen Massen, dagegen nicht in Betracht komme. Nun aber mußte man, da man so jeden Maßstab für den Verbrauch an Anziehungskraft aufgegeben hatte, zu dem Sophismus die Zuflucht nehmen: während des Fallens habe ein Körper kein Gewicht, da er dem Zug der Schwere so schnell ausweiche, als diese ihn treibe! Zur Erklärung der durch den Versuch erwiesenen beständigen Beschleunigung der Bewegung im freien Fall mußte man aber doch die beständigen neuen An­ſtöße( besser Anzüge) durch die Anziehung" gelten lassen. Wenn aber jemand auf Armeslänge genau so schnell vor mir her läuft, als ich ihm zu folgen vermag( dort kein Gewicht hier kein Druck!), so ist es doch sicher ganz unmöglich, daß ich durch einen Anstoß ihn zu einer Beschleunigung seines Laufes nöthigen kann! Aus diesem trivialen Beispiel erhellt das Unlogische der vor­geführten veralteten Anschauungsweise. ( Schluß folgt.)

Die Retterin in der Noth.

Graf Y. war Kunstmäcen  ; seine Mittel erlaubten ihm dieses Vergnügen. Er gehörte zu jener Menschensorte, die alles gelernt hat, aber nichts kann, drechselte Verse aus fremden Gedanken, welche er im Futteral des Wissens, im Gedächtniß, herumtrug, kaufte unter der Hand geldbedürftigen Malern Stizzen ab, die er gelegentlich für eigenes Fabrikat ausgab, und klimperte mit falschem Fingersaz italienische Opernarien, weil ihm die deutschen zu schwer waren. Die schlanke Taille und die kerzengrade Hal­tung berechtigten den ehemaligen Husarenoffizier, seinen Tauf­schein seit zehn Jahren Lügen zu strafen. Ein oberflächlicher Beobachter vermuthete ihn am Ausgang der schönsten" Mannes­jahre, nämlich zu jung, um zu entsagen, zu alt, um zu schwärmen", aber er selbst sprach nie von seinem Alter, höchstens von dem seines Stammbaums, dessen Wurzeln bis zu den Grund­festen des babylonischen Thurmes reichten. Und doch war er herablassend, wie Harunal Raschid, denn man sah ihn am hellen Tage Arm in Arm mit Künstlern von sehr zweifelhaftem Ex­terieur ,, Unter den Linden" promeniren. Aber seine Haupt- und Kardinaltugend, die wie eine Aureole sein Lockenhaupt umfloß, war sein wohlgespicktes Portemonnaie, das, gleich dem Janus tempel unter Julius Cäsar  , immer offen war. Von dieser opfer willigen Offenheit machten denn auch Künstler jeglichen Genres so recht con amore Gebrauch. Um seinem Mäcenatenthum auch äußerlichen Ausdruck zu geben, hüllte seinen etwas dünngewordenen Haarwuchs eine blonde Perrücke mit langen Locken. Die Un­abhängigkeit als letzter seines Stammes erlaubte ihm, seine aus­gebreitete Don- Juan- Praris nach einem langen Register von Annas und Elviras mit einem Zerlinchen abzuschließen, dessen Treue er sich am Standesamt und am Traualtar mit dem obli­gaten" Ja" bekräftigen ließ.

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Aber der Mensch denkt und die Perrücke lenkt. Besagtes Zerlinchen, Gräfin Y., geborne Bertha 8., eine pikante Brünette mit junonischen Formen, war von Haus aus eine erste" Tänzerin des königlichen Opernhauses, vielleicht auch tugendhaft im Privat leben, aber auf den Brettern, die die Welt bedeuten, tanzte sie " Paul de Cocq", und die Kühnheit ihrer unteren Extremitäten verleitete die blasirtesten Habitués zur Extase, und so war es auch kein Wunder, daß sie in das ausgeweitete Herz des sieg gewohnten Lebemannes pirouettirte. Daß sie aber den Grafen nach einer kunstgerechten Herzensbelagerung trotz Sturmlauf mit ihrer Tugend" zur Heirath zu bestimmen wußte, hat sie gewiß nicht in der Balletschule gelernt. Nachdem der girrende Seladon die Flagge des Roué gestrichen und in den Hafen des Ehestandes eingelaufen war, wußte sie sich mit admirablem Aplomb in die veränderte Situation zu schicken und streifte im Handumdrehen die ,, Soubrette  " ab, um in die jugendliche Anstandsdame" zu schlüpfen. Nur das kurzgeschürzte ,, Je ne sais quoi" des Ballets im Umgang mit ehemaligen Kollegen scheint sie noch nicht völlig überwunden zu haben, wie uns die Folge lehren wird.

Ein geistreicher Franzose machte die Bemerkung: L'habit d'un homme est sa préface"( die Kleidung des Menschen ist seine Vorrede), und nirgends trifft es besser zu, wie bei Tänzerinnen, da bei vielen dieser kurzrödigen Nymphen auch nur eine kurze Vorrede üblich ist.

Saadi's Gulistan", das persische Eden, scheint geplündert zu sein, um das Boudoir der Gräfin mit der Königin der Blumen zu schmücken. Rosen, überall Rosen. Das durch Vorhänge ge­dämpfte Tageslicht fällt auf die Plüschüberzüge der Palisander­möbel und verleiht dem duftenden Heiligthum der Gräfin eine Aehnlichkeit mit der Venusgrotte in Wagners Tannhäuser". Nur die Porzellan- Nymphen, die zwischen allerlei Gethier und Ge­ranke um die Venus von Milo   auf dem Kaminsims versammelt sind, wollen ihre Lockung Naht euch dem Strande" nicht singen. Dafür fehlt aber der leibhafte Tannhäuser nicht, der königlich preußische Hofopernsänger, Herr X., ein Dorn im Auge seiner Kollegen, seinen Kolleginnen und diversen Nichtkolleginnen sehr sympathisch.

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Mit vollendeter Plastik liegt der untersetzte, aber geschmeidige Tenorist der Gräfin zu Füßen, die anmutherhellt von einer Spizenwolfe in berückender Lage auf dem Sopha hingegossen ruht. Er birgt seinen goldblonden Bart- und Haarüberfluß( alles ächt) in ihrem Schooß, denn er sieht in seiner Angebeteten trotz ihrer aristokratischen Transfiguration noch immer die Ballerina, die ihn sehr gern gesehen hat. Zur Ehre der Gräfin müssen wir fonstatiren, daß sie nicht nur ihr oben und unten zu kurzes Balletkostüm mit der Schleppe vertauschte, sondern auch die höchste Stufenleiter der moralischen Frauenwürde zu ersteigen sich vornahm. Die aufrichtige Zuneigung ihres Gatten weckte die edlen Regungen, die im Herzen eines jeden Weibes schlummern. Nur schade, daß sie leider nur zu oft nach kurzer Frist wieder einschlafen.

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Indem sie ihre zierlichen Finger in seinen Locken begrub, rief sie, sich halb aufrichtend, im energisch seinsollenden Tone:" Friz, ich weiß, du liebtest mich, und ich nun ja- mir warst du auch nicht gleichgiltig, aber ich habe meinem Manne Treue ge= schworen und will sie halten."

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Einen Meineid hast du geschworen, denn dein Herz gehört noch immer mir!" rief er, sich in die Brust werfend, wie auf dem Theater, wenn er sich auf einen hohen Ton vorbereitet. Glaube ja nicht, lieber Leser, daß der Tenor der Gräfin eine er ist die ehrlichste Komödie vorspielen wollte; ei bewahre! Haut von der Welt, aber eitel und verliebt, und zwar ein paar mal in jedem Jahr, und seine forcirten Posen wurden ihm, wie jedem Opernsänger, mit der Zeit zur zweiten Natur, denn Gewohnheit ist des Menschen zweite Natur, sonst könnte sich der an die zugeknöpfte Uniform gewöhnte Offizier unmöglich im be­quemen Civilrock genirt fühlen, und doch ist es so.

Willst du mich ruiniren und meinen guten Mann lächerlich machen?" sprach sie mit jenem sanften, aber eindringlichen Vor­wurf, der die Männer schneller wie eine Bitte, geschweige denn eine Drohung, bezwingt.

Auch der ungestüme Fritz streckte die Waffen vor diesem Appell und fragte kleinlaut:" Was sollen wir thun, Bertha?"

Wir müssen mit der Vergangenheit brechen," lispelte sie kaum hörbar und sandte ihm einen Flammenblick zu, in dessen Gluth die guten Vorsäge des armen Mannes schmolzen.

,, Kein Mensch muß müssen!" rief er mit wachsender Erregung und schlang seine Arme um den Nacken der Gräfin. Kurz, mutatis mutandis ,,, halb zog er sie, halb sant sie hin." Sein