Er las und erblaßte.

In stummer Verzweiflung schwiegen sie ein Duett, als plötzlich ein lautes, heiteres Lachen vom Korridor ertönte.

Wie Sonnengold, das strahlend das Sturmgewölk durchbricht, um unsere graue Erde in Purpur zu kleiden, verklärte Zuversicht und Freude ihre noch eben verstörten Mienen.

Der Graf, eine flüchtige Bleistiftzeichnung seiner eigenen Person in der Hand, trat, immer noch lachend, ein.

Sieh mal, Bertha, das ist der Mann, mit dem dich der Maler gestern Liebesschwüre austauschen hörte!" rief er und prä­sentirte der aufathmenden Gräfin sein schnell sfizzirtes, aber wohl getroffenes Porträt.

587

Als auch die Gräfin in schallendes Gelächter ausbrach, glaubte der Tenor in einem Narrenhaus zu sein, griff nach seinem Hut und empfahl sich. Die Gräfin umarmte ihren Mann und ricf ausgelassen lustig: Gleich lasse uns noch einmal die Szene von gestern wiederholen."

Nur sie begriff den Zusammenhang. Der fremde Maler hat zum zweiten mal ihr zärtliches Gespräch mit ihrem Gatten im Thiergarten belauscht und denselben wegen der blonden Locken­perrücke für ihren Liebhaber gehalten.

Ihr dankbarer Blick hob sich zur Perrücke ihres Mannes der Retterin in der Noth.

Dr. Mag Traufil.

Weltausstellungsbriefe.

VII.

( Schluß.)

In Frankreich   liegt die Genremalerei brach, weil hier, wie schon gesagt, der Humor meistens fehlt, welcher allein den harmlosen Szenen des gewöhnlichen Lebens Interesse verleiht. Vielfach beruht der Humor darin, daß der Künstler uns veranschaulicht, daß manches in unserer Alltäglichkeit absurd und widerspruchsvoll ist. Dies zu empfinden und zu entdecken wird aber den Franzosen schwer, sie sind, wie kein anderes Volk, daran gewöhnt, in den hergebrachten Sitten, Anschauungen und Gebräuchen, weil sie einmal so sind, wie sie sind, Mustersitten und Musteranschauungen zu sehen, die über jeglicher, auch der humoristischen Kritik erhaben sind. Sie empfinden nicht so individuell frei, wie die Deutschen  , die kritischer angelegt sind, sie unterdrücken ihre eignen Meinungen und Empfindungen der Allgemeinheit zuliebe und fühlen sich weniger als einzelne selbstständig denkende Individuen, mehr als Glieder einer großen Staatsgesellschaft, und überlassen sich willig der Leitung einiger Autoritäten. Bei gewissen politischen Verhältnissen ist dieses Heerdenbewußtsein gewiß von Werth und Bedeutung, aber der Kunst, die eine freie Individualität des Künstlers verlangt, schadet dasselbe. So kommt es auch, daß unsere deutschen Künstler häufig so­genannte Originale sind, die sich durch seltsame, bisweilen komische Eigenthümlichkeiten auszeichnen, während in Paris   dieselben zum größten Theil geleckte Gentlemen, vollkommene Gesellschaftsherren sind, die sich feine Abweichung von den zeremoniellen Vorschriften der Mode und ,, guten" Lebensart erlauben. Wo bleibt aber der Humor? Wo die wahre Empfindung? Wenn man nicht seinen eignen Gedanken und Empfindungen Ausdruck verleiht, da stellen sich Geziertheit, unwahrheit, falscher Pathos, flügellahmer Humor ein. Aber das macht sich mehr oder weniger in den französischen   Genrebildern geltend. Man betrachte einmal die ländlichen Bilder, die Bauern und Bäuerinnen, welche gerade so unwahr gemalt sind, wie sie auf den Bühnen in hübschen Kleidern und mit sentimentalen Gefühlen umherzulaufen pflegen. Oder sie sind mit krassester Naturtreue abkonterfeit. Das ist auch ein Punkt, über den man manche lange Seite schreiben könnte. Der leidige Naturalis­mus, der sich immer dort einstellt, wo den Künstlern eigene Gedanken und Anschauungen der Welt fehlen! Unter Naturalismus versteht man eine bis auf's Pünktchen genaue Wiedergabe desjenigen Gegenstandes, den man darstellen will. Darin finden einige die höchste Aufgabe der Kunst, und mich wundert nur, weshalb man die Photographen denn nicht als die größten Künstler verehrt. Wozu noch Pinsel und Palette gebrauchen, wenn ein photographischer Apparat dieselben Dienste mit größerer Exaktheit thut? Sicherlich, die Kunst hat höhere Ziele, sie soll nicht nachäffen, sondern idealisiren. Da läßt unser großer Lessing, dem man wahrlich idealistische Schwärmerei nicht nachsagen kann, seinen Maler Conti in ,, Emilia Galotti  " also reden: Die Kunst muß malen, wie sich die Natur das Bild dachte, ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff unvermeidlich macht, ohne das Verderb, mit welchem die Zeit dagegen ankämpft." Mit andern Worten, man soll nicht das Häßliche, Unvollkommene, Unnüße nachäffen, sondern mit seiner Phantasie das Fehlende erseßen, die Natur verschönern, denn der Grundsatz darf in der Kunst nie außer Acht gelassen werden: Nicht alles, was wahr und natürlich ist, ist deshalb auch schön, ja auch nicht einmal gut im moralischen Sinne. Auch in politischer und sozialer Beziehung hat dieser Satz Geltung, denn wo kämen wir mit unsern Bestrebungen hin, wenn wir von vornherein alles Bestehende für ver­nünftig, schön und gut hielten? Der jugendliche, kräftige Mann, das tebensfrische Volt: sie suchen alles zu idealisiren, zu verſittlichen und zu verschönern! Und nur der Künstler sollte das nicht thun?

Unter den französischen   Genrebildern befinden sich nur ganz wenige, die sich durch Schönheit oder eine tiefere, sittliche Idee auszeichnen. Zu erwähnen ist das schöne, ergreifende Bild einer bretonischen Fischerin bon Vallon, welches die ,, Neue Welt" auch einmal im Holzschnitt ge­bracht hat.

Was ich von den Genrebildern gesagt habe, gilt auch von den Landschaften. Die französischen   Maler sind vorzügliche Techniker, sie wissen jedem Pinselstrich, jeder Farbennüance Bedeutung zu verleihen, und in dieser Beziehung könnten die Deutschen  , Engländer und Skandi navier noch viel von ihnen lernen, aber ein unbefangenes Auge für

Naturschönheiten fehlt ihnen, und deshalb versinken sie immer mehr in trassen Naturalismus, malen Pfützen, Haidestrecken, kahle Felsen und sonstige triviale Naturszenen mit Vorliebe, weil sie hier ihre Kunst der Nachahmung am besten zeigen können. Da ist jedes Sandkorn, jeder Kothhaufen mit allen Einzelheiten, jeder schmutzige Wassertropfen auf's deutlichste zu unterscheiden. Aber wer kann daran Gefallen finden? Die deutschen   Landschaftsmaler, besonders aber die dänischen, nor­wegischen und schwedischen, zeichnen sich fast insgesammt durch ihren Geschmack in der Auswahl wirklich schöner Wald-, Meer-, Berg- und Felsengegenden aus. Man sieht es diesen Bildern an, mit welch' liebe­voller Lust sie gemalt worden sind, mit welcher Begeisterung die Künstler sich in die Schönheit der Natur vertieft haben. Da ist einer der ge­waltigsten deutschen   Meermaler, der deutsche Andreas Achenbach  , der die See in allen Momenten der Ruhe und wildesten Aufregung belauscht hat. Wir staunen über die Majestät der Unendlichkeit, welche diesen Gemälden innewohnt. In den skandinavischen Kunstsälen hängen zahl­reiche schöne Wald-, Meer- und Gebirgslandschaften, so ziemlich alle von unbeschreiblichem Reiz und großer Anmuth, welche die freundlichsten Empfindungen in den Herzen der Beschauer erwecken.

Unter den zahllosen Porträts sind die französischen, englischen und deutschen die schönsten und trefflich gemaltesten. Was die Aehnlichkeit und das plastische Hervortreten der Büste betrifft, so nehmen die Fran­ zosen   den ersten Rang ein, doch wissen Engländer und Deutsche   den Physiognomien ein charakteristisches Gepräge zu verleihen, sie wissen in die Mienen denjenigen Ausdruck zu legen, welcher der betreffenden Person am besten und natürlichsten ansteht, während die Franzosen auch hierin naturalistisch sind und den alltäglichen Gesichtsausdruck auf die Leinwand bannen. Besonders hervorzuheben ist das trefflich ge­malte Porträt Thiers' von Bonnet. Es ist sehr ähnlich, aber man kann nicht sagen, daß der Maler einen günstigen Moment abpaßte, als er den kleinen Staatsmann abkonterfeite.

Von den Bildern der übrigen Nationen muß ich schweigen, um nicht zu ausführlich zu werden. Es genügt, zu sagen, daß sich die Maler derselben mehr oder weniger eng der französischen   oder der deutschen Schule angeschlossen haben; die romanischen Völker fühlen sich zu Frankreich  , die germanischen zu Deutschland   hingezogen.

So interessant, so belehrend, so genußreich auch eine Wanderung durch die internationale Gemäldegalerie auf dem Marsfelde ist, so kann man doch nicht mit voller Befriedigung von ihr scheiden. Ein Ver­gleich mit früheren Kunstepochen lehrt uns, daß die Kunst gealtert hat und nicht mehr jene jugendfrische Schöpfungskraft besitzt, wie in den alten Tagen. Ein neuer frischer Hauch wird erst dann wiederkehren, wenn unsere europäische Gesellschaft sich neu verjüngt hat und neue freiheitliche Ideen die Welt beherrschen. Wenn ein Körper krank und alt ist, leiden alle Glieder.

Einige Worte möchte ich noch der Skulptur widmen, obgleich es mit dieser noch schlimmer steht, als mit der Malerei. Nur die Fran­zosen und Italiener beweisen in ihren Werken, daß sie wahrhaft plastische Anschauung haben. Besonders in der technisch vollendeten Wiedergabe des menschlichen Körpers stehen beide groß da und werden von keiner andern Nation irgendwie erreicht. Die Italiener lassen aber die Fran­ zosen   noch um eine große Spanne zurück. Letztere werden allzusehr von dem unnatürlich üppigen pariser Leben beeinflußt, ihre Weiber, auch die schönsten, sind und bleiben Kokotten, denen es auf der schönen Stirn geschrieben ist, daß sie keiner wahren Empfindung mehr fähig sind, ja, daß ihnen selbst die Liebe und die thierische Sinnenluft zu nichts anderem mehr dienen, als Aufsehen zu erregen und Geld zu verdienen. Ah, da habe ich diese marmornen Italienerinnen lieber, sie sind auch keine Tugendpriesterinnen, ebensowenig wie die berühmte Göttin der Schönheit, die Venus von Milo   im Louvre, aber aus ihnen spricht neben der Schönheit die kräftige, lebensfrische Natur, ein warmer Pulsschlag und glühende Sinnlichkeit, die der Jugend so schön ansteht. Auf ihre Marmorbilder können die Italiener stolz sein, seit dem Unter­gange der alten griechischen Kunst sind selten schönere Skulpturen ge­schaffen worden.

Dolce far niente.( Bild Seite 581.) Friedlich rauschen die Wogen und sonnig glänzt der Strand von Ischia  . Kein Wölfchen trübt das blaue Himmelszelt. Das Meer, des Weltalls Spiegel, dehnt