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er uns als den Vollstrecker von Zeus Willen, nicht als„ weich| lichen Musentänzer", wie ihn die üppige Bildhauerkunst der Nachwelt meist überliefert hat; und Apollon , der höchste Ausdruck der mit Kraft gepaarten Schönheit, begeistert den Dichter, das höchste Kunstwerk, das Drama, hervorzubringen.
" Die Thaten der Götter und Menschen, ihre Leiden, ihre Wonnen, wie sie ernst und heiter als ewiger Rhythmus, als ewige Harmonie aller Bewegung, alles Daseins in dem hohen Wesen Apollons verkündet lagen; hier wurden sie wirklich und wahr; denn alles, was sich in ihnen bewegte und lebte, hier fand es seinen vollendetsten Ausdruck, wo Auge und Ohr, wo Geist und Herz lebendig und wirklich alles erfaßten und vernahmen, alles leiblich und geistig wirklich sahen, was die Einbildung sich nicht mehr nur vorzustellen brauchte. Solch' ein Tragödientag war ein Gottesfest, denn hier sprach der Gott sich deutlich und vernehmbar aus: der Dichter war sein hoher Priester, der wirklich und leibhaftig in seinem Kunstwerk darinnen stand, die Reigen der Tänzer führte, die Stimme zum Chor erhob und in tönenden Worten die Sprüche göttlichen Wissens verkündete."
In dieser anschaulichen und lebendigen Weise führt uns Wagner das griechische Kunstwerk vor, und das war das griechische Volt selbst in seiner höchsten Wahrheit und Schönheit. In der In der Tragödie fand sich der Grieche selbst wieder und zwar das edelste Theil seines Wesens, vereinigt mit den edelsten Theilen des Gesammtwesens, der ganzen Nation. So feierte die Kunst ihren höchsten Triumph; sie erfaßte den ganzen Menschen, sie erfaßte die ganze Gesellschaft.
Doch nein! Da lauert ja grade der Kunst das höchste Verderben. Nicht die ganze Gesellschaft wurde von der Kunst erfaßt, sondern nur die freien Griechen, die die Sklaven zur Arbeit benuzten. In Bezug hierauf sagt Wagner:
Dieser Sklave ist nun die verhängnißvolle Angel alles Weltgeschickes geworden. Der Sklave hat durch sein bloßes als nothwendig erachtetes Dasein als Sklave, die Nichtigkeit und Flüchtigkeit aller Schönheit und Stärke des griechischen Sonder menschenthums aufgedeckt, und für alle Zeiten nachgewiesen, daß Schönheit und Stärke, als Grundzüge des öffentlichen Lebens nur dann beglückende Dauer haben können, wenn sie allen Menschen zu eigen sind."
Wagner dehnt nun diesen Gedanken bis auf die Jeztzeit aus und schleudert der Menschheit folgende furchtbare, aber gerechte Anklage entgegen:
„ Leider aber ist es bis jetzt nur bei diesem Nachweis geblieben. In Wahrheit bewährt sich die jahrtausende lange Revolution des Menschenthums fast nur im Geiste der Reaktion: sie hat den schönen freien Menschen zu sich, zum Sklaventhum herabgezogen; der Stlave ist nicht frei, sondern der Freie ist Sklave geworden."
Zurückgreifend auf das Alterthum, schildert Wagner das Verhältniß der freien Griechen zum Sklaventhum in folgender, wahrhaft klassischen Weise:
" Dem Griechen galt nur der schöne und starke Mensch frei, und dieser Mensch war eben nur er: was außerhalb dieses griechischen Menschen, des Apollonpriesters lag, war ihm Barbar, und wenn er sich seiner bediente- Sklave. Sehr richtig war auch der Nichtgrieche in Wirklichkeit Barbar und Sklave, aber er war Mensch, und sein Barbarenthum, sein Sklaventhum war nicht seine Natur, sondern sein Schicksal, die Sünde der Geschichte an seiner Natur, wie es heutzutage die Sünde der Gesellschaft und Civilisation ist, daß aus den gesündeſten Völkern im gesündesten Klima Elende und Krüppel geworden sind. Diese Sünde der Geschichte sollte sich aber an den freien Griechen selbst gar bald ausüben: wo das Gewissen der absoluten Menschenliebe in den Nationen nicht lebte, brauchte der Barbar den Griechen nur zu unterjochen, so war es mit seiner Freiheit auch um seine Stärke, seine Schönheit gethan, und in tiefer Zerknirschung sollten zweihundert millionen im römischen Reiche wüst durcheinander geworfener Menschen gar bald empfinden, daß sobald alle Menschen nicht frei und glücklich sein können alle Menschen gleich Sklave und elend sein müßten."
Mit der Auflösung des athenischen Staates hängt auch der Verfall der Tragödie, des eigentlichen dramatischen Kunstwerks zusammen. Ebenso wie sich der Gemeingeist in tausend Richtungen zersplitterte, löste sich auch das große Gesammtkunstwerk der Tragödie in einzelne Kunstbestandtheile auf:„ auf den Trümmern der Tragödie weinte in tollem Lachen der Komödiendichter Aristophanes , und aller Kunsttrieb stodte endlich vor dem ernsten
Sinne der Philosophie, welche über die Ursache der Vergänglichkeit des menschlichen Schönen und Starken nachdachte." " Der Philosophie, und nicht der Kunst, gehören die zwei Jahrtausende an, die seit dem Untergange der griechischen Tragödie bis auf unsere Tage verflossen. Wohl sandte die Kunst ab und zu ihre blizenden Strahlen in die Nacht des unbefriedigten Denkens, des grübelnden Wahnsinns der Menschlichkeit; doch dies waren nur die Schmerzens- und Freudensausrufe des Einzelnen, der aus dem Wuste der Allgemeinheit sich rettete und als ein aus weiter Fremde glücklich Verirrter zu dem einsam rieselnden kastalischen Quell gelangte, an dem er seine durstigen Lippen labte, ohne der Welt den erfrischenden Trank reichen zu dürfen; oder es war die Kunst, die irgend einem jener Begriffe, ja Einbildungen, diente, welche die leidende Menschheit bald gelinder, bald herber drückten, und die Freiheit des Einzelnen wie der Allgemeinheit in Fesseln schlugen, nie aber war sie der freie Ausdruck einer freien Allgemeinheit selbst: denn die wahre Kunst ist höchste Freiheit und nur die höchste Freiheit kann sie aus sich fundgeben, kein Befehl, keine Verordnung, kurz kein außerkünstlerischer Zweck kann sie entstehen lassen."
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Der römischen Kunst, die ja mehr oder weniger ein Ausfluß der griechischen Kunst ist, widmet Wagner nur wenige Zeilen. Nicht Sänger des heiligen Chorus find es, welche die römischen Großen erbauen und belehren, sondern wilde Bestien und Gladiatoren müssen sich, um das Auge zu ergößen, zerfleischen und mit ihrem Todesröcheln das Ohr vergnügen. Die brutalen Weltbesieger behagten sich nur in der positivsten Realität. In den Augen der römischen Imperatoren waren alle andern Menschen Sklaven; nur die manchmal ungehorsamen Prätorianer erinnerten den Imperator hin und wieder, daß auch er eigentlich nur der Sklave seiner Soldaten sei.
" Dieses gegenseitig und allseitig so klar und unleugbar bezeugende Sklaventhum," sagt Wagner nun, verlangte, wie alles allgemeine in der Welt, nach einem sich bezeichnenden Ausdrucke. Die offenkundige Erniedrigung und Ehrlosigkeit aller, das Bewußtsein des gänzlichen Verlustes aller Menschenwürde, der endlich nothwendig eintretende Ekel vor den einzig ihnen übrig gebliebenen materiellsten Genüssen, die tiefe Verachtung alles eignen Thun und Treibens, aus dem mit der Freiheit längst aller Geist und künstlerische Trieb entwichen, diese jämmerliche Existenz ohne wirklichen thaterfüllten Lebens konnte aber auch nur einen Ausdruck finden, der, wenn auch allerdings allgemein, wie der Bustand selbst, doch der gradeste Gegensatz der Kunst sein mußte. Die Kunst ist Freude an sich, am Dasein, an der Allgemeinheit; der Zustand jener Zeit am Ende der römischen Weltherrschaft war dagegen Selbstverachtung, Ekel vor dem Dasein, Grauen vor der Allgemeinheit. Also nicht die Kunst konnte der Ausdruck dieses Zustandes sein, sondern das Christenthum."
Nachdem nun Wagner in höchst trefflicher Weise zunächst im allgemeinen über das Christenthum moralisirt und dann das Verhältniß des heuchlerischen christlichen Mittelalters zur wahren Kunst recht drastisch dem Leser vorgeführt hat, kommt er zu nachstehender Folgerung:
" Konnte nun aber die Kunst da wirklich und wahrhaftig vorhanden sein, wo sie nicht als Ausdruck einer freien, selbstbewußten Allgemeinheit aus dem Leben selbst emporblühte, sondern von den Mächten, welche eben diese Allgemeinheit an ihrer freien Selbstentwicklung hinderten, in Dienst genommen und deshalb auch nur willkürlich aus fremden Zonen verpflanzt werden konnte? Gewiß nicht: Und doch werden wir sehen, daß die Kunst, statt sich von immerhin respektablen Herren, wie die geistige Kirche und geistreiche Fürsten es waren, zu befreien, einer viel schlimmeren Herrin mit Haut und Haar sich verkaufte: der Industrie."
Nun schildert Wagner die Geschäftigkeit des Gottes Merkur , des Patrons der Kaufleute und Spizbuben, in ungemein anregender Weise. Der stolze Römer hatte diesen Gott immer nur als ein nothwendiges Uebel angesehen. Aber-„ dieser verachtete Gott rächte sich an den hochmüthigen Römern und warf sich statt ihrer zum Herrn der Welt auf: denn krönet sein Haupt mit dem Heiligenscheine christlicher Heuchelei, schmückt seine Brust mit dem seelenlosen Abzeichen abgestorbener, feudalistischer Ritterorden, so habt ihr ihn, den Gott der modernen Welt, den heilig= hochadligen Gott der fünf Prozent, den Gebieter und Festordner Kunst. Leibhaftig seht ihr ihn in einem unsrer heutigen bigotten englischen Banquier, dessen Tochter einen ruinirten Ritter vom Hosenbandorden heirathete, vor euch, wenn er sich von den
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