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an der Thür des Foyers dem Theaterdiener begegnete, den wohl die Neugierde hergeführt, war seine Stirn wieder geglättet, und er dankte mit herablassendem Lächeln dem Manne für den tiefen Bückling, mit dem er respektvoll zur Seite trat.

Unten auf der Straße sah er sich nach seiner Droschke um. Der Droschkenkutscher, der ein wenig zur Seite gefahren war, bemerkte ihn sofort und wollte vorfahren. Schweder winkte ab­wehrend die Droschke stand eben recht. Zehn Schritte davon, an einer von außen nicht beleuchteten Seitenpforte des Theaters, hielt eine Equipage eine Lohnequipage offenbar.

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Schweder lächelte. Er schritt auf die Droschke zu und stieg ein. Einige Zeit warten," befahl er gedämpften Tones dem Kutscher, der ihn mit abgezogenem Hute am geöffneten Wagen schlage erwartet hatte." Ich werde vielleicht Gesellschaft be­kommen."

Der Droschkenkutscher glaubte zu wissen, um was es sich handle. Er lächelte verschmißt und schloß mit den Worten: Wie Sie befehlen, gnädiger Herr," den Schlag.

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Indessen, um Gesellschaft war es seinem Fahrgast diesmal nicht zu thun; sie wäre ihm sogar sehr störend gewesen, wenn sie sich ihm jetzt aufgedrängt hätte; er wollte sich nur überzeugen, ob Christine Bergmann sich die Sache nicht schließlich doch noch rasch anders überlegt- wer, dachte er, garantirt für Weiber­launen! Und dann konnte er sich auch in anderer Beziehung noch gründlich verrechnet haben. Wenn nämlich Christine für ihre Person auch auf das Souper bei Weinhold verzichtete, dafür aber eine Stellvertreterin, die sie unter ihren Kolleginnen sofort gefunden haben würde, zu entsenden den Einfall bekam! Und wenn sie das auch nicht that, es genügte völlig, ihm seinen ganzen Plan zu Wasser zu machen, wenn sie die, welche Willisch als ihre Begleiterin zu dem alster'schen Souper bezeichnet hatte, das Fräulein von Würzbach, allein sich zu Weinhold begeben ließ. Doch nein, das stand wohl kaum zu befürchten! Schweder kannte die Weiber und vor allen andern die vom Theater. Wurde der einen solch eine Partie verdorben, so war zehn gegen eins zu wetten, daß sie ihre Genossin oder ihre Genossinnen zu be­wegen wußte, gleichfalls darauf zu verzichten.

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Und auch darin hatte er sich nicht geirrt. Wenige Minuten, nachdem er in seine Droschke gestiegen, öffnete sich die erwähnte Seitenpforte des Theaters und, sich vorsichtig umschauend, trat eine Logenschließerin heraus mit einem Billet in der Hand, das sie dem Kutscher der Lohnequipage hinreichte. Der schien erst gar keine Luft zu haben, es in Empfang zu nehmen. Dann betrachtete er sich kopfschüttelnd die Adresse des Billets, redete, augenscheinlich ärgerlich geworden, in die Logenschließerin hinein und kletterte dann langsam und räsonnirend auf seinen Kutsch bock. Es war, als ob er nicht recht wüßte, ob er abfahren oder nicht lieber noch warten sollte. Bald aber entschloß er sich für's erste. Gewartet hatte er grade genug schon. In langsamem Trabe fuhr er von dannen.

Schweder war nun über den Erfolg seines Diplomaten­kunststückes durchaus beruhigt. Er gab dem Kutscher die Weisung, nach der Villa Senkbeil zu fahren, und begann in aller Muße, sich zu überlegen, wie er seinen diplomatischen Feldzug fort zusehen habe.

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Im Separatzimmer Nummer drei, in der ersten Etage des Hotel Weinhold gelegen, war Herr Alster heute zu allerlegt ein­getroffen. Er liebte es, sich nach vollbrachten Tagewerke in irgendein recht beschauliches Winkelchen zurückzuziehen, wohin das neugierige Auge der Welt nicht so leicht zu dringen vermochte, und dort sich den, wie er meinte, außerordentlich bescheidenen und einem vornehmen Manne wohlanständigen Genüssen hin­zugeben, welche ihm Bedürfniß geworden, seit er es aus eigener Kraft!- zum vornehmen Manne gebracht hatte. Er war im stande, ganz mutterseelenallein seine zwei bis drei Flaschen wirklich ächten Portweins zu schlürfen, zu denen er mit vier oder fünf Dutzend Austern, ein wenig Hummermajonnaise, einem Stücklein saftigen Rehrückens oder dergleichen ein solides Funda­ment gelegt hatte. Dann rauchte er zwei seiner Regalias dazu, die er direkt aus der Havanna bezog und das Mille mit zwei hundert Dollars bezahlte, dachte möglichst wenig dabei, weil er ja den Tag über so schrecklich viel zu denken hatte und der geistigen Erholung zum Wohle der Stadt, des Staates und der gesammten Menschheit dringend bedürftig war, und fühlte sich so recht von Herzen glücklich auch wenn ihn, was leider oft genug geschah,

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derjenige undankbare Theil besagter Menschheit, der ihn im täg­lichen Verkehr umgab, recht gründlich geärgert hatte. Aber er war auch kein Feind einer guten ,,, anständigen" Gesellschaft. Nur groß durfte diese Gesellschaft in solchen Weihe­stunden seines privaten Lebens nicht sein. Er ließ sich zwar zu­weilen auch unter vielen Seufzern ein Opfer, zu welchem ihn seine öffentliche Meinung zwänge,- zu sogenannten Zweckessen und öffentlichen Gastereien aller Art schleppen. Er pflegte bei solchen Gelegenheiten sogar ungeheuer jovial zu werden, war der fleißigste Toastredner, ließ sich insbesondere nie ein, durch längere humoristische, meist poetisch angehauchte Motivirung ge würztes Hoch auf die Damenwelt entgehen, furz er war auch hier in seinem Ff oder, wie der Direktor der städtischen Feuer­wehr ihn einmal in einer begeisterungs- und weintrunkenen Hul­digungsrede genannt hatte, der rechte Mann an der rechten Spize. Aber so recht von innersten Behagen beseelt war er bei dergleichen öffentlichen Festlichkeiten nicht; er war, wie er selbst sagte, über die Zeit hinaus, wo ihm diese lärmende Lust und spektakelnde Anerkennung seines und anderer Verdienste die größte Freude war. Im stillen Kämmerlein dagegen konnte er noch harmlos froh sein, fühlte er sich wie der Knabe an der Quelle; nur mußte es der Feuerquell des Weines sein, der ihm sprudelte, und das Ewigweibliche mußte ihn, in ein oder mehreren mög­lichst wohl gelungenen, zeitlich- irdischen Exemplaren, hinanziehen in die höheren Regionen des Schönen und der allgemeinen, welt­umspannenden Menschenliebe.

Auch heute hatte Herr Alster, wie wir schon wissen, nicht die Absicht allein zu bleiben. Indessen erwartete er zunächst nur den ihm nahebefreundeten Eisenbahndirektor, Oberbaurath Schnee­mann, mit dem er dann die beiden mehrerwähnten Damen, die Frau Bergmann- Stein und das Fräulein von Würzbach zu einem gemüthlichen Souperchen unter acht Augen zu empfangen gedachte. Das Souper war die Folge einer Wette. Der Ober­baurath hatte gelegentlich geäußert, die Frau Bergmann- Stein sei doch ein wahrhaftiger weißer Sperling unter ihren Mitschau­spielerinnen; man habe ihr bis dato auch nicht ein einziges jener Kleinen zarten Verhältnisse nachweisen können, denen man hin­sichtlich fast jeder ihrer Kolleginnen wenigstens ein kleines Dußend aufzuzählen vermochte. Herr Alster hatte seinen Freund ausge­lacht und als Schneemann in seinem guten, oder, in des Herrn Alster Augen, eigentlich schlechten, Zutrauen zu der Frau Bergmann- Stein sogar soweit ging, zu behaupten, dieselbe würde jedenfalls eine Einladung zu einem Souper, wenn die­selbe nicht auch an ihren Mann gerichtet werde, ausschlagen, gleichviel wer eine solche an sie ergehen ließe, da hatte er eine Wette- zehn gegen eins proponirt, daß Frau Bergmann einer von ihm ausgehenden Einladung gegenüber die Begleitung ihres Gatten für gänzlich überflüssig halten und gerade so liebens­würdig sein würde, wie jede ihrer Kolleginnen.

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Und wirklich für den ersten Anlauf ging es dem unter­nehmenden Herrn wie Cäsar: er kam, sah oder vielmehr wurde gesehen, und siegte. Er ließ an einem Theaterabende, als die Frau Bergmann- Stein gleichzeitig mit einer Rivalin, einer gaſti­renden Schauspielerin von Ruf, auftreten sollte, ihr heimlich zu wissen thun, er, der kunstliebende und reiche Alster habe be­schlossen, ihr nach ihrem Verdienst, das leider, solange ihre Neben­buhlerin anwesend sei, nicht gebührend gewürdigt werde, einen Triumph zu verschaffen; und er führte diesen Entschluß aus. An dem fraglichen Abende saß Alster in der Prosceniumsloge, in nächster Nähe der Bühne, seine durch ein riesiges Opernglas unterstüßte Aufmerksamkeit in recht ostensibler Weise der Frau Bergmann- Stein schenkend und sich von der Bühne abwendend, wenn sie dieselbe, ihrer Rolle folgend, verlassen mußte. Als die beiden ersten Akte des vierattigen Schauspiels beinahe zu Ende und Frau Bergmann- Stein nach einer längeren, höchst rührenden Auseinandersetzung über das Unglück des Ungeliebtdurchsleben­wandeln im Begriff war, abzugehen, gab Alster dem im Parquet des Theaters plazirten Chef einer wohlorganisirten Claque durch Hinabwerfen eines kleinen, aber aus den seltensten und theuersten Blumen gewundenen Bouquets nach der Richtung hin, wo Frau Bergmann- Stein eben verschwinden wollte, das Zeichen zum Los­lassen des sorgfältig vorbereiteten Beifallssturmes. Der Chef der Claque, ein vierschrötiger Mensch, seines Zeichens gleichfalls Schauspieler, aber außer Diensten, wegen chronischer Heiserkeit infolge riesiger Zecherleistungen, schnaubte sich mit einem enorm großen, grell rothseidenen Taschentuche die stattliche Nase und entfesselte mit diesem, seinen auf allen Plätzen und in allen Re­