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V.

Ueber Fremdwörter im Deutschen .

Von W. Wittich.

Nach dem, was wir im dritten Abschnitte ausführten, könnte nun einer oder der andere besorgt fragen: bleibt denn nun in der Sprache etwas zurück, was mit Sicherheit für ursprünglich, für unser wirkliches Eigenthum zu erklären ist? Der Kern der Stammsprachen liegt durch die Sprachvergleichung zu wohlgesichert vor, und ein Wort, das sich innerhalb einer Sprache auf seine Wurzel zurückführen läßt, kann nicht entlehnt sein. Für die Sonderdauer der deutschen Sprache aber gibt uns die Erfah rung und die wissenschaftliche Erkenntniß genug beruhigende Bürgschaften. Ein ganzer großer, unverlierbarer Fond ist unser Besitz, welcher einestheils in den Musterschöpfungen der deutschen Literatur niedergelegt ist und andrerseits auch außer durch Schule und Schriftwesen im Volke selbst zähe festgehalten wird und treulich von Geschlecht zu Geschlecht schon Jahrhunderte hindurch vererbt worden ist und in gleicher Weise fort vererbt werden wird. Diese lettere Stüße ist umsoweniger gering anzuschlagen, als das Volk mit praktischem, natürlichen unbefangenen Sinne allem Fremden selbständiger gegenübersteht und sich auch den Fremdwörtern gegenüber ablehnend verhält, wenn es einheimische, bezeichnende Wörter hat. Freilich fehlt dagegen auch nicht das Streben, sich mit Fremdwörtern prahlerisch zu spreizen und etwaige sonstige Bildungsmängel damit zu bedecken, ein Fehler, den ,, die Besten der Nation", die ,, Gebildeten", dem Volke jahrhunderte lang vorgemacht haben.

Auch die Stellung der Deutschen in der Weltliteratur, die jahrtausendelange Geistesarbeit und die durch das Werkzeug der deutschen Sprache geleisteten Beiträge zur Lösung der großen Menschheitsfragen, welche die Deutschen geliefert haben, gewähr leisten sicher einen dauerhaften Bestand der deutschen Sprache. Man darf diese Stellung der deutschen Literatur im allgemeinen Völkerkonzert wohl eine centrale nennen, aber nicht so, daß wir etwa meinten, die Erzeugnisse deutscher Dichter, Denker und Forscher würden vorzugsweise in fremde Sprachen übersetzt, wie wohl auch nach dieser Richtung ein Zunehmen der Wirkung der deutschen Literatur unzweifelhaft zu bemerken ist. Aber da wir die besten sowie die geringeren Werke aller Zeiten und fast aller Völker von einem Ende der Welt bis zum andern, von dem einfach kunstlosen Gesang der Wilden bis zu den tiefsten, dunkelsten und funstreichsten Schöpfungen der am meisten vorgeschrittenen Kulturvölker im engsten Anschluß an die ursprüngliche Form nachgebildet haben, so finden alle fremden Völker in der Erler nung der deutschen Sprache den Schlüssel zum Verständniß der gesammten Literatur der Welt, von den ältesten Veden, den Religionsliedern der alten Indier, bis zu den neuesten Tages erscheinungen. Diesen Vortheil des vereinfachten Studiums der Weltliteratur, deren Begriff und Bezeichnung übrigens Goethe sich bildete, lernen die Völker allmählich mehr und mehr begreifen und ausnußen. Goethe und die übrigen Dichter vorzugsweise haben die Mittel erworben, die unsere Sprache auf die Höhe der bildsamen Kraft gehoben, die ihr das Anschmiegen an jede noch so leise Wallung des Gefühls, an jede Feinheit des Gedankens, den Ausdruck der höchsten Stärke und Gewalt der ganzen Stufen leiter aller Leidenschaften ermöglichen. Und eine solche Sprache fann und wird nicht untergehen! Und wäre die Zahl der Wucher pflanzen Legion: ein so gewaltiger Stamm wird sie mit seinem Safte ernähren, ohne selbst dabei zugrunde zu gehen! Wir brauchen nur auf das im vorigen Abschnitt eingehender be­sprochene Zeitalter des dreißigjährigen Krieges zu verweisen, um ein glänzendes Zeugniß für die urwüchsige Lebenskraft der deutschen Sprache zu geben!

Am wenigsten brauchen wir heute das Untergehen unserer Muttersprache zu besorgen. In aller Herren Länder wird sie auf ganzen großen Raumflächen und von zahlreichen größeren und kleineren Gruppen gesprochen, und es gilt noch heute das Wort des Philipp Bervaldus( Anfang des 16. Jahrhunderts): Deutsche Kaufleut, deutsche Studenten und deutsche Künstler finden sich durch die ganze Welt." Und dann sagt er weiter: " Die Kenntniß der deutschen Sprache ist für Nichtdeutsche un entbehrlich; denn sie ist neben der lateinischen unter allen Sprachen die verbreitetste und daher für Kaufleute und Reisende die nüßlichste zu lernen." Freilich war das im 16. Jahrhundert,

wo die Entdeutschung der Sprache noch nicht so stark vorgeschritten war und wo im Handel noch die Hansa nachwirkte. Wenn wir uns aber umsehen, wie es in der Gegenwart mit den Fremd­wörtern aussieht, so müssen wir gestehen: fast ebenso schlimm, wie im 17. Jahrhundert. Wollten wir, wie es in den Drucken jener Zeit geschah, die Fremdwörter mit lateinischen Lettern drucken, so würde ein fast ebenso großer Raumtheil von lateinischen als von deutschen Buchstaben bedeckt sein! Heyse sagt im Vorwort zu dem Fremdwörterbuche, das zuerst sein Vater herausgab, daß dieses seit dreißig Jahren einen Zuwachs von 10000 neuen Fremdwörtern erfahren habe! Man denke, was für einen un­geheuren Stoff ein Mensch da bewältigen und sich womöglich zu eigen machen muß, um auf der Höhe der Zeit zu stehen! Aber ist diese Unmasse von Fremdwörtern vortheilhaft? Sehen wir zu! Wir haben Leute gekannt, die da glaubten, durch viele Fremdwörter würde unsre Sprache fähig, die sprachliche Inter­nationalität zu fördern; dagegen beachte man folgendes. Diese Behauptung bedarf einer Beschränkung. Bekannt ist die ursprüng­liche Vieldeutigkeit der Worte; allmählich hat sich der Gebrauch eines Wortes für einen bestimmten Gegenstand besonders fest­gesetzt, der dann allgemein, wenn man das Wort hört, vorgestellt, an den allein gedacht wird. Oft wird nun von den verschiedenen Völkern nicht ein und derselbe Repräsentant einer Gattung der Bezeichnung eines Begriffs zugrunde gelegt! Ferner wird oft derselbe Begriff von verschiedenen Völkern nach verschiedenen seiner Merkmale benannt, und umgekehrt haben dieselben Merkmals­namen verschiedene Begriffsbedeutungen.

Ferner noch ein Punkt. Wir haben Fremdwörter übernommen, ohne in ihnen die Bedeutung, die sie in ihrer eigenen Sprache haben, zu respektiren: sich blamiren" heißt bei uns sich blosstellen, im Französischen geschrieben würde das ein Ger­manismus sein, denn blâmer heißt tadeln; ebenso soll ,, des­infiziren" vielleicht, da es nicht lateinisch ist, französisch sein, dort heißt das Wort aber desinfecter; imgleichen ist Couvert ( Briefumschlag) ein Germanismus für das richtige französische Enveloppe u. dergl. m.

Das Wort Attentat heißt Mordversuch, das ist aber dem Bewußtsein verloren gegangen, sodaß man auch gelungene Anschläge Attentate nannte. Nun war folgerichtig die Bildung Attentats versuch, die denn auch geleistet wurde! Ebendahin gehört auch Guerillakrieg; guerilla heißt spanisch der kleine Krieg, und in der ebengedachten halb spanischen halb deutschen Form ist zweimal dasselbe gesagt. Auch offenbare Widersprüche enthalten solche Bastardbildungen. Die Zeitungen berichten zu­weilen von Morgenserenaden, d. h. Abendständchen, welche am Morgen gebracht worden, und zuweilen wird für einen schönen Vormittag eine musikalische Soirée angezeigt. Was ist es ferner als Ünwissenheit und sprachlicher Fehler, wenn man einer Sängerin zuruft: Bravo ! Das italienische Wort heißt: ,,, der Treffliche", und die Italiener loben eine Sängerin mit rich­tigem Ausdruck des Geschlechts mit dem Zuruf: Brava! Das Fremdwort wird eben unbesehen und ungeprüft herübergenommen und gedankenlos nachgesprochen, wo es durchaus falsch und un­sinnig ist. Der Ausruf Bravo ist seiner Bedeutung und seines Inhalts vollständig verlustig gegangen und ist ein hohler, un­verstandener Sprachschrei, ein bloßer werthloser Zahlpfennig und fein vollwichtiges, baares Geld!

Was glaubt man wohl, was die Fremden zu solchen Miß­handlungen ihrer Sprache sagen? Sie werden lachen, uns aus­lachen; vom Spanier sagt man, daß ihn ein Kauderwelsch in seiner Muttersprache zum Zorne reizt, der sich nicht selten sehr deutlich äußern soll. Ein Zeugniß dafür, daß die Fremden unsere riesigen Wörteranleihen auch bemerken und übel vermerken, ist folgende Aeußerung im Evénement" vom November 1872, wo über die vielen französischen Wörter in einer berliner Konzert­anzeige gesprochen und aus der Erbitterung von damals heraus auch etwas verlegend gesprochen wird: Kommt es daher, daß in Preußen die Uhren jetzt französisch schlagen( der Mann meint, die Preußen hätteu französische Uhren geraubt!), oder weil sie uns den Geschmack an unserer Sprache verleiden möchten, daß die preußischen Blätter in jeder Zeile mit französischen Ausdrücken gespickt sind, die sich doch auch wohl in der Sprache dieser modern