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Korrespondenz( wenn die meinige diesen Namen verdient) wieder auf. Ich freue mich darauf, mit Dir ferner über mancherlei Fragen zu debattiren. Die Schule zwingt den Geist in zu starre Formen. Mag fie für beschränkte Köpfe die beste Förderung ihrer geistigen Entwicklung bilden, mein freierer Geist konnte sich nicht darin wohlfinden. Mein lezter Aufsatz ist mit: mittelmäßig cen­sirt worden. Warum? Weil ich das Thema nach meiner eigenen Jdee bearbeitet und die Gespräche das Thema hieß: ,, Arminius   und Flavius Unterredung im Teutoburger Wald  " recht altdeutsch: kernhaft und prunklos gehalten hatte. Unser Professor fand das zum Todtlachen originell, aber trivial. Die ganze Klasse lachte mit, als er mein Opus zum besten gab. Die Flachköpfe! ,, Recht verhäkelte Perioden im Saz, recht viel Eigenschaftswörter, dazu die Klassiker tüchtig bestehlen und das Machwerk gefällt." Du hast Recht, wenn Du mich schon früh­zeitig auf diese Schnörkeleien aufmerksam machst. Ich wäre vielleicht sonst nicht auf das Lächerliche und Schablonenmäßige derselben gekommen. Aber jetzt zu dem Rest meiner Reise zurüstung. In der Stube sieht es bunt aus. Ich muß herz­lich lachen, aus Wehmuth theils, theils wegen des komischen Anblicks. Lebewohl.

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2. Mai.

Da bin ich nun in dem großen norddeutschen Babel. Der Lärm der vielen Wagen, das Rufen, Schreien und der Anblick des Fremdartigen hat meine Sinne fast stumpf gemacht. Auf den Straßen unserer kleinen Heimathstadt begegnete ich immer nur wenigen Menschen und unter diesen meistens bekannten Ge­sichtern. Hier aber stößt und drängt sich alles mit einer fieber­haften Hast an einander vorüber, als ob von einem kleinen Zeit­versäumniß ein Menschenleben abhängig wäre; niemand kennt den Nächsten, niemand fümmert sich darum, ob der Nachbar mit einem guten oder schlechten Rock bekleidet ist, ob er dies oder jenes, ehrenhaftes oder unehrenhaftes Handwerk betreibt. Es sagte mir jemand unterwegs, daß man in Berlin   in einem Hause jahrelang wohnen könnte, ohne sonderlich von seinen Hausnach­barn gekannt zu werden, ja oft höre man seinen Nachbar erst nennen, wenn er begraben würde. Das hat gewiß sein An­genehmes! Man thut, was man mag und darf. Man scheert sich nicht um die Meinung einer geschwäßigen alten Jungfer und das Urtheil von Laffen und Philistern. Hier wäre es ganz

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zwecklos, mit leerem Beutel den Großartigen zu spielen, denn kein Mensch läßt sich dadurch verblüffen. In einer kleinen Stadt ruinirt der sogenannte gute Ton, die Rücksicht auf gute Freunde und aufmerksame Nachbarn oft den wohlmeinendsten Menschen, indem er sich zu einem äußerlich vornehmen Auftreten verpflichtet glaubt und diese Verschwendung fortseßt, bis eines Tages die Noth gebieterisch Einlaß fordert. Ich erinnere mich dabei des Kassenrendanten Weber, dessen Töchter immer sich zu denen der höchsten aristokratischen Kreise gesellten, stets mit kostbaren Klei­dern geputzt einhergingen und sich das Aussehen werthvoller Persönlichkeit gaben. Eines Tages hieß es, Weber sei plötzlich gestorben; dann hieß es, Weber habe sich aufgehängt, und end­lich hieß es, der arme Mann habe einen Griff in die Kasse ge­than, um das Defizit seines kostspieligen Haushaltes zu decken. Was man auch über diesen Fall denken mag, hier in Berlin  kommt man weniger in Versuchung, solche verzweiflungsvolle That zu vollbringen, wenn man sonst charakterfest ist. Und ich freue mich von Herzen, daß man mich in meiner jeßigen Behausung nicht beachtet.

Ich wohne im vierten Stock in der Rosenthalerstraße. Mein Fenster eröffnet die Aussicht nach dem Himmel und auf hohe, graue, fensterlose Mauern. Ein trauriger, eintöniger Anblick, der meine Seele ganz berlinisch stimmt. Es ist naturgemäß, daß der Mensch Vergangenes stets mit der Gegenwart vergleicht und dabei zu unangenehmen Betrachtungen der letzteren gelangt. Gewiß mit Unrecht! Ich will Vergangenes ruhen lassen und mich mit frischem Muthe ins Gewühl des großen Marktes stürzen. Es bildet ein Talent sich in der Stille, sich ein Charakter in dem Strom der Welt." Ich bin noch verdammt scheu und un­beholfen, linkisch und wortarm. Meine Wirthin meinte vor wenig Augenblicken:" Sie werden schon in furzer Zeit ein anderer Mensch werden. Die berliner Luft schält den inneren und äußeren Menschen," und damit setzte sie mich verblümt über mein provin­zielles Benehmen ins Klare.

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Ich habe in meinem Vermögen zehn Thaler. Mein Vater hatte mir mehr geben wollen. Stolz wie ein Spanier verzichtete ich auf das Mehrangebotene, und in einem Anfluge von Herois mus meinte ich, mit zehn Thalern käme ich wohl schon ans Ende der Welt.

( Fortsetzung folgt.)

Afrika   und seine Erforschung. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. Mar Traufil.

( Fortsetzung.)

Von der ganzen Küste Südafrikas   vom 5. Grad nördlicher Breite bis zum 5. Grad südlicher Breite ist nur der Saum von durchschnittlich 75 Kilometern Breite bekannt; alles, was hinter den Küstengebirgen liegt, ist terra incognita( unbekanntes Land). Hier im Congodistrikt bietet sich den Forschern ein besonders günstiges Feld und es auszu­beuten sind gegenwärtig zwei Nationen bestrebt, die deutsche und die englische. Doch sehen wir zu, was andere Völker in früherer Zeit dazu gethan haben, um den hellen Fleck von der Karte Afrikas   zu entfernen, auf dem die unbestimmte Aufschrift prangt: ,, Unabhängige Heidenvölker" Mit dem Erscheinen der Portugiesen( Ende des 15. Jahrhunderts) fällt das Erlöschen der Congodynastie und die Bildung der kleinen Loango ſtaaten zusammen. Für die katholischen Eroberer waren die schwarzen Ureinwohner wilde Heiden, deren Sitten und Gebräuche zu schildern es nicht der Mühe verlohnte. Der Afrikareisende Beschuel- Lösche weiß nicht genug ihre Redefertigkeit und ihre hirschähnliche Anmuth, ihre Verträglichkeit und Reinlichkeit und ihre Kunstfertigkeit in Schnißereien und Webereien zu rühmen. Er schildert die Bantu- Neger, deren Art sich quer über den ganzen Kontinent erstreckt, als dunkelbraune, nicht schwarze, und durchaus nicht häßliche Menschen. Freilich ist die Nase etwas eingedrückt, der Mund aber keineswegs start wulstig, das oft wunderschöne braune Auge mandelförmig geschlißt, das Haar sehr voll und dicht, die Figur schlank, ihre Bewegungen zierlich. Was den züch tigen Verkehr der beiden Geschlechter und die Sicherstellung der Frauen rechte anbetrifft, meint Beschuel- Lösche, könnten wir Kulturmenschen so manches von den Wilden lernen.

Die Vielweiberei ist bei den Bantus üblich, doch nicht allgemein, und nur von reichen oder besonders schönen Leuten ausgeführt. Von sehr großem Einfluß auf das ganze Leben ist das Neffenerbrecht, das in Loango herrscht. Dadurch, daß nur die Mutter die Verfügung über die Kinder hat, ihr vom Mann unabhängiges Eigenthum besitzt, selbst ständig Geschäfte abschließt u. s. w., ja Sohn oder Tochter, ohne ihren Mann zu fragen, verheirathet, ist die Stellung der Frau eine ganz andere als bei uns. Die Familie erlangt durch diese Verhältnisse einen so festen Zusammenhalt, daß sie sogar für alles aufkommen muß, was

ein Mitglied verbrochen. Die Liebe der Eltern zu den Kindern ist eine ganz außerordentlich große. Der Fremde thut daher gut, wenn er gut aufgenommen sein will, die Schönheit und Klugheit der Kinder zu loben. Denn so etwas verbreitet sich, wie alle Nachrichten, unglaublich schnell durch das ganze Land, hauptsächlich von der Quelle aus, wo sich die Mädchen aus allen Dörfern treffen. Dort waschen und baden sie sich auch, und es ist den Männern streng verboten, sich dann zu nähern. Wenn ein Mann mehrere Frauen hat, so wohnt jede meist in einem besonderen Gut für sich, hierdurch sind die Familien eines Mannes über das ganze Land zerstreut, und die jungen Leute besuchen Erbonkel und Erbtanten überall. Außer dem Ackerbau sind die Loango auch in Schnißereien und Webereien recht erfahren. Merkwürdig ist ihre Rede­gewandtheit, die sich namentlich in den Palavers( Volksversammlungen) geltend macht, wo tage-, ja jahrelang in der logischsten Weise debattirt wird, ohne daß eine Zeile zu Papier gebracht werden kann. Schon die Kinder werden im Reden geübt, sie spielen nicht. Die Mütter lehren sie schwere Verse aussprechen, geben ihnen Lehren, warnen sie vor Lügen, die alten Leute erzählen allegorische Geschichten oder lehr­reiche Märchen. Die Kinder verlassen die Hütte in den ersten zwei bis vier Monaten nicht.( Die Negerfinder werden hellfarbig geboren und nehmen erst nach und nach die Landesfarbe an.) Dann wird das kleine Kind sorgfältig vor die Hütte getragen, im Beisein der Verwand­ten besprengt oder untergetaucht, erhält einen Namen und damit das Bürgerrecht im Dorfe. Die Erziehung der Kinder leiten abwechselnd mehrere Verwandten zugleich. Dieser patriarchalische Zug macht uns die Loangoneger außerordentlich sympathisch und läßt in uns den Wunsch rege werden, das Schicksal möge sie noch recht lange vor den Segnungen" der europäischen Kultur bewahren. Die christlichen Missio näre haben bei diesen schlauen Naturkindern so gut wie gar keine Re sultate aufzuweisen. Von den 199 Millionen Einwohnern Afrikas  ( die man natürlich nur hypothetisch annehmen kann) repräsentirt die Völker­familie der Bantu   oder Loangoneger beiläufig den achten Theil.

Um die Reihenfolge der Entdeckungen im Congogebiet den Lesern klar darzulegen, müssen wir sie dort wieder aufnehmen, wo wir sie im zweiten Artikel unterbrochen haben, an der Nigermündung. Destlich davon liegt der mächtige Gebirgsstock des Cameron, den uns der durch Erforschung des Taganjika- Sees bekannte Kapitän Burton und der deutsche Botaniker Gustav Mann  ( 1858-62) kennen lehrten. Weitere