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mächtigen Alpenstocks, an der Grenze zweier großen Staaten und be­zeichnet scharf die Abgrenzung des Nationalitätengebiets und selbst die Grenzen des alten Rassenhaders, der soviel Kriege hervorrief und soviel Blutvergießen, daß es wetteifern könnte mit den nimmermüden Berg quellen, die gegen Osten und Süden zu Thal rieseln. Unser Bild stellt eine Tunnelkonstruktion dieser Alpenbahn vor, die ihres gleichen in den Eisenbahnbauten nicht haben dürfte. Die kleine Strecke, welche man in drei Stunden durchfährt( Varvis- Udine) ist ein Riesenwert, dessen italienischer Antheil 36 Millionen Lire kostet, während die Desterreicher mit der Summe von 2,900,000 Gulden davonkamen. Die italienische   Strecke Ponteba- Udine ist bis zur Station Venzone eine wundervolle Hochgebirgsbahn, ein Meisterwerk der modernen Bahn technik, und man muß beim Anblick dieser Kyklopenmauern und der schwindelnden Brücken vermuthen, daß die Italiener, welche ganz allein den Bau herstellten, eine Ehre darein setten, etwas ganz besonderes zu leisten. Das wilde Fellathal sette dem Bau die gewaltigsten Hin­dernisse entgegen, aber dieselben wurden von den Bauleuten spielend überwältigt. Hoch über der Sohle des Thals durch die Felsen ge­treten, drängt ein Tunnel den andern. Bei jedem Austritt aus einem Tunnel, bietet sich dem Auge ein neues, großartiges Panorama, ein neuer überraschender Einblick in die wildromantische Hochgebirgswelt. Man steigt nicht jählings in die italienische Ebene hinab, wie aus dem Mont- Cenistunnel gegen Susa, sondern man wird stundenlaug und allmälich durch das rauhe Fellathal und durch das breitere Thal des Tagliamento   gegen Udine   in die venetianische Ebene gebracht. Dreimal übersetzt die Bahn bis Venzone den gefährlichen Fellafluß, ein Wild­wasser sondergleichen, welches dem Bau die größten Schwierigkeiten bereitete. Das Gewässer des Flüßchens, das nur eine geringe Tiefe hat, aber immer über Felsgeröll dahinschießt, ist milchweiß von dem Gischt, der sich im eiligen Absturz bildet. In den Fluß hinab senken sich vor den steilen Felsen hunderte von Torrenten( Felsengeröll), die bei Hochwasser, bei Ungewitter, in Bewegung kommen. Die Fluth reißt vom Hochgebirge, oft tief aus dem Bauche der Felsen, das Ge schiebe und Gerölle mit und führt es mit Allgewalt in das Hauptfluß bett. Das leẞtere trägt daher den Charakter einer vollständigen Trüm­merwildniß. Bei den Anlagen von Brücken, von Pfeilern und Ueber­gängen mußte daher ebensosehr das Augenmerk auf die stürmische Flut wie auf die benachbarten Torrenten gerichtet werden. Die zwei groß­artigsten Szenerien dieser furchtbaren Werkstatt der nimmer müden Elemente sind Fontanone auf der italienischen und Malborghet auf der österreichischen Strecke. Bei dem Dörfchen Fontanone sind es majeſtä tische Felsen, welche die Bahnlinie überragen, und von denen die Wild­bäche aus schwindelnder Höhe herniederkommen, um in der Hälfte der Höhe auf dem Felsen zu zerschellen und vom Wind als förmliche Staubwolken davongetragen zu werden. In zwei Stunden kann man von Udine   bis Ponteba diese herrlichen Alpenpartieen durcheilen, und von Ponteba- Pontafel, welche Orte nur durch eine schmale Brücke über die Bontebana getrennt sind, beginnt dann die kärntnerische Landschaft, die einen ganz anderen Charakter trägt. Wie auf der italienischen Seite alles düster und wildromantisch erscheint, so auf der kärntner   Seite alles anmuthig, hellgrün und lebensfroh. So verschieden die Natur, die Landschaft auf beiden Seiten, so verschieden auch das Wesen, der Charakter des Menschen. Ponteba ist ein echt italienischer Ort, ein Dorf mit einem städtischen Anstrich, mit einem Anstrich von Noblesse; zwischen den grauen Steinhütten, die mit Papier   verklebte Fenster und feine Heizvorrichtung besigen, stehen alte Paläste herabgekommener Edel­leute; ein Hauptplatz mit einem monumentalen Brunnen, um welchen die Signori nach Vätersitte herumstehen und politisiren( sonst thun sie nämlich gar nichts); ein Kaffeehaus mit schmußigen Tapeten und er­blindeten Spiegeln; dagegen besigt Pontafel nur solide reinliche Bauern­häuser.

an.

Auf der Strecke von Pontafel über Tarwis bis Villach  , wo sich die Südbahn mit der Rudolphsbahn kreuzt, treten nur einmal noch die Schrecken des Hochgebirges und zwar, wie schon oben bemerkt, bei Malborghet, dem Vorwurfe unseres Bildes, an die Eisenbahn her Aus dem Gebirge heraus bricht an dieser Stelle einer der ge= waltigsten Torrenten, welches das Thal, den Fluß, die Bahnlinie mit Geröll und Felsenmassen angefüllt hat, die sich hier hoch aufgestaut haben. Die Verlegung der Bahn an dieser Stelle war nicht möglich, und so beschlossen die österreichischen Ingenieure, die ganze Schuttmasse zu durchbohren. Im Lauf der Zeit hatte sich dieselbe verdichtet bis zur Härte der Felsen selbst, und der Durchstich, mit gewöhnlichem Tonnengewölbe, gelang vollkommen. Den Torrentozufluß, den man nicht stauen konnte, suchte man über den Tunnel hinweg in das Fluß­bett zu leiten, seinen alten Weg möglichst zu erweitern und zu er­

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leichtern. Bei Gewitter und Hochwasser, namentlich im Herbst und Frühjahr seßt sich das Gewölbe in Bewegung, der Torrento arbeitet und wirft mit den Wassermassen Steine und Felsen über den Tunnel, durch welchen der Zug mit aller Sicherheit fährt. Nicht weit entfernt von dieser Stelle ragen die Mauern der Festung am Predil empor, und unten an der Straße und von der Eisenbahn aus sichtbar liegt das tiroler Löwendenkmal zur Erinnerung an den blutigen Strauß des Hauptmann Herrmann mit einer Handvoll Soldaten und Land­stürmer gegen die vordringenden Franzosen im Jahre 1809. Die kleine, aber rührige Partei der Italia irredenta( bes noch nicht geeinigten, folglich ,, zerstreuten" Italiens  ) wird schon für Wiederholung der blutigen Schauspiele in der herrlichen Alpennatur sorgen, wenn die länder­verbindenden Schienen nicht bald den Völkerfrieden anbahnen. Der Ausbau der Bahn hat auch eine komische Seite. Man hat zwanzig Jahre hindurch über diesen Bau gestritten und parlamentirt, und da er endlich nach so großen Fährlichkeiten fertig geworden, hin­derten neue Streitigkeiten die Uebergabe an den großen Verkehr. Es geht doch nichts über die Gemüthlichkeit der Nachbarn! Zum Glück ist das Genie der Menschheit nicht in die Köpfe der Diplomaten, sondern in die der Techniker gefahren, die jeßt Dinge vollbringen können, die in ihrer Weise alles, was die Vorzeit zu Wege brachte, weit über­treffen.

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Der Ausbau der Alpenbahnen, deren schwierigste Theile, der Gotthardstunuel und der Uebergang über den Splügen  , freilich noch nicht fertig sind, liefert den Beweis, daß wir die großen praktischen Gedanken ins Werk zu sezen vermögen, von denen die bedeutenden Dr. M. T. Menschen der Vorzeit nur träumen durften.

Literarische Umschau.

,, Das Buch der Ehe. Ein Blumenstrauß vom Felde der Lebens­weisheit für den Altar des Hauses. Gesammelt und herausgegeben von Theodor Winkler." Bern  , J. Heubergers Verlag, 1879. Der Verfasser will einen ,, Katechismus der Ehe", insbesondere bestimmt als literarische Hochzeitsgabe für ein junges Paar, liefern, der ,, keine lang­wierigen Untersuchungen, keine ermüdenden Moralpredigten enthält, sondern in kurzen Säßen erprobte Grundwahrheiten und praktische Rathschläge über das Wesen der Ehe und ihre Wechselbeziehungen gibt", indem er all' das zusammenstellt, was ihm von bemerkenswerthen Aus­sprüchen der ,, bedeutendsten Männer und Frauen" bekannt ist. Der Verfasser hat seinen Zweck erreicht dank umfassender Literaturkennt­nisse, vereint mit jenem nicht gewöhnlichen Taktgefühl, welches nicht nur das Gute von den Schlechten, das Gedankenreiche von dem Geistesleeren zu scheiden weiß, sondern auch aus der Fülle des Guten und Gehaltvollen das wahrhaft Edelempfundene und Herzerwärmende herauszuheben weiß. Nachfolgende Verse Scherenbergs( S. 14) mögen die Auffassung des Verfassers von dem Wesen der Liebe charakterisiren, wie sie die Grundlage der Ehe und der Kern eines jeden Menschen­lebens sein sollte:

Wie bettelarm ein Herz doch bliebe, Das nur des andern Freude theilt! Das ist das schönste Recht der Liebe, Daß sie des Unglücks Wunden heilt! Kein Kuß wie wonnevoll er wäre Von Menschenlippen süßer ist, Als wenn man heimlich eine Zähre

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Von einem theuren Auge füßt.

,, Hellas und Rom. Eine Kulturgeschichte des klassischen Alter­thums. Von Jakob von Falke  . Mit Bildern der ersten deutschen  Künstler." Verlag von W. Speemann, Stuttgart  . In ca. 30 Liefe rungen, à M. 1,50. Speemanns ,, Hellas und Rom  " ist ein Pracht­werk außen und innen. Die Ausstattung ist vorzüglich, an Schönheit und Gediegenheit kaum zu übertreffen. Vor allem sind die Illustra tionen, deren jede Lieferung eine größere Anzahl als Bilder im Text und Separatblätter in Tondruck enthält, wahre Meisterwerke künft­lerischer Auffassung und Ausführung. Dabei ist der Text so reichhaltig und gleichzeitig so knapp und übersichtlich gehalten und von so gründ licher Kenntniß des klassischen Alterthums diftirt, daß Rezensent nur eins bedauern fann, daß der in Anbetracht alles dessen, was das Werk bietet, vollauf gerechtfertigte Preis doch noch zu hoch ist, um eine Massenverbreitung möglich zu machen.

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Ueber Fremdwörter im Deutschen  , von Inhalt. Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph von B......( Fortsetzung). M. Wittich( Schluß). Die Eroberung des Himmels.( I.) Frrfahrten( Fortsetzung). Die Fortschritte der Technik, von H. W. Fabian. Afrika   und seine Er­I. Die Verwerthung der Wasserkräfte. B. Erforderliche Maschinen und Apparate( 1. Hydromotore, mit Abbildung). forschung. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. Max Trausil( Fortsetzung). Unterfahrung eines Torrento im oberen Fellathal( mit Illustration). Literarische Umschau.

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II. Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .