Schweder war keiner von jenen egoistischen Menschen, die still vor sich hintrinken, ohne sich dabei um ihre Mitmenschen zu küm mern; im Gegentheil, ihm lag fast noch mehr am Herzen, daß die andern dem Becher zusprächen, als daß dieser ihm selber das köstliche Naß spende. Keinen Schluck trank er, ohne auf irgend eines Tafelgenossen Wohl zu trinken und diesen zu nöthigen, ihm Bescheid zu thun. Am eifrigsten beschäftigte er sich in dieser Weise mit dem Oberbaurath, dem er dabei allerlei pikante Histörchen erzählte, wie sie der übermäßig behäbige Herr so ungemein gern hörte; ziemlich häufig wandte er sich aber auch an den Justizrath und an seinen Freund Senkbeil, die anfangs beide sich darauf beschränkt hatten, den mächtigen Zügen, welche Schweder ihnen zutrank, mit vorsichtigem Nippen nachzukommen. Das paßte aber dem Herrn Schweder sehr wenig in sein Spiel. Der Justizrath ſollte und mußte die siegende Gewalt des Weines empfinden, und Senkbeil mußte ihm mit gutem Beispiel vorangehen. Ein geschickt angebrachter Wink genügte. Sentbeil war zwar etwas erstaunt, als er bemerkte, daß Schweder von ihm verlange, er solle dem Weine tüchtig zusprechen, aber er war gewohnt, sich der höheren Intelligenz seines Freundes gehorsam unterzuordnen, zumal er, besonders in lezter Zeit, mannichfaltige Proben der Gewandtheit Schweders, den Zufall zu dirigiren und die Verhältnisse zu beherrschen, wahrzunehmen Gelegenheit gehabt hatte.

Als sich der Justizrath, dank seinem ausgezeichneten Gehör, auf das er sich viel zugute that, überzeugt hatte, daß die Unter haltung zwischen der Gattin seines Nachbars und seinem Freunde Alster   nicht mit einer Silbe auf geschäftliches Gebiet abschweifte; als er fernerhin sah, wie Senkbeil sich ebensowenig geneigt zeigte, dem heutigen Zusammentreffen einen andern Zweck, als den unschuldiger Befriedigung des Gaumens und Magens, unter­zuschieben; als Sentbeil sogar den rastlos sich wiederholenden Anregungen seines Freundes Schweder folgte und immer wein­seliger becherte, da gewann der feurige Johannisberger auch Ober­hand über das den Freuden der Tafel immerdar ergebene Herz des alten Herrn, und ein voller Römer jagte den andern über seine weinkundige Zunge hinab, bis die grauen Augen anfingen, in gläsernem Glanze über die Brille hinauszuschielen, und bis sich bei ihm ebenso wie bei den andern jene ungeheure Gemüthlich keit Bahn gebrochen hatte, die nach opulenten Gastereien schließlich alle Bande der gewohnten gesellschaftlichen Zurückhaltung und nicht selten auch die Schranken der feinen Sitte sowohl, als die der viel berechtigteren guten zu lösen pflegt.

Als es soweit gekommen war, hielt Schweder noch einmal scharfe Umschau. Er hatte den Johannisberger zwar nicht mehr geschont, als jeder andere der Anwesenden; aber seine ungewöhnlich fräftige Natur und sein eiserner Wille hatten ihn nüchtern erhalten, so nüchtern, wie nur noch Frau Senkbeil war, die übrigens den Wein auch nicht gänzlich verschmäht hatte.

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Alster war dagegen ganz erstaunlich aufgeheitert und dabei so kühn geworden, daß er seiner Dame, der Anwesenheit ihres Gatten zum Trotz, unter den fadesten, unaufhörlich in gewalt samster Weise vom Zaune gebrochenen Schmeicheleien einmal übers andre die Hand küßte und betheuerte, daß er sich fühle, wie im Himmel, weil er das unaussprechliche, langersehnte Glück genieße, an der Seite einer Göttin zu ſizen, seiner Göttin, die ihm Venus, Juno und, und der Name der dritten der nach der griechischen Sage vor dem Hirten Paris   um den Preis der Schönheit streitenden Göttinnen wollte ihm leider durchaus nicht einfallen, er brummte also etwas nicht recht verständliches, was ungefähr wie Melpomene klang- zugleich sei.

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So beharrlich als tapfer, viel tapferer noch als Alster, hatte der Oberbaurath dem Johannisberger zugesezt, und dieser revan­chirte sich nun reichlich dafür. Das Sprechen hatte der gewaltige Becher vor dem Herrn beinahe vollständig aufgegeben; dafür lachte er umsomehr und so laut, daß die Wände erdröhnten. Ob Schweders Erzählungen und Bemerkungen dazu besondere Veranlassung gaben oder nicht, hatte er allgemach gänzlich zu unterscheiden verlernt, dafür polterte seine riesige Heiterkeit jedes mal los, wenn Schweder, was ziemlich oft geschah, eine Kunst pause in seiner Unterhaltung eintreten ließ, und lachte gewissen haft, bis dieser wieder zu reden anfing.

Jezt schien die Gesellschaft dem Geschäftsdiplomaten Schweder völlig in der richtigen Stimmung zu sein, um das Netz seiner Pläne über ihrem Haupte zusammenzuziehen.

Er war gerade im Begriffe sich zu erheben und eine kleine wohldurchdachte und den Umständen mit großer Schlauheit an­

gepaßte Rede vom Stapel zu lassen, als sich der Justizrath und mit ihm Senkbeil erhob, um in der frischen Luft, wie sie sagten, ein wenig von der durch die Gasflammen des Kronleuchters, natürlich nur durch die Gasflammen, erzeugten Hiße zu erholen. Die beiden Herren gingen hinaus; sie schwankten sogar ein wenig, als sie über die Klippe der Thürschwelle hinweg mußten. Die Gelegenheit war günstig... Schweder ließ sich durch die Entfernung der beiden nicht stören, er erhob sich dennoch, schlug mit dem Messer an sein Glas und bat um die Erlaubniß, mit ein paar furzen Worten den Gefühlen Ausdruck geben zu dürfen, welche der heutige, so außerordentlich angenehm verbrachte Abend bei ihm angeregt habe.

Der Oberbaurath hielt Schweders Worte für einen aus­gezeichneten Wig und lachte pflichtschuldigst, daß er beinahe rück­lings mit seinem Stuhle zur Erde gestürzt wäre. Alster   lächelte nur, aber selbstzufrieden was konnte Schweder anders wollen, als ihm, dem liebenswürdigen Gastgeber, ein geistreich motivirtes Hoch auszubringen. Frau Senkbeil sah mit gespannter Auf­merksamkeit nach Schweder hin; daß er irgend einen Plan hatte, war ihr im Laufe des Abends immer klarer geworden, einen Plan, der doch wohl viel weiter ging, als bis zur Absicht, sich über die in ihrer Anmaßung und Zudringlichkeit schon garnicht mehr komischen Annäherungsversuche Alsters ihr gegenüber zu amüsiren.

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Die Worte Schweders sollten die Vermuthung der Dame in einer für sie außerordentlich überraschenden Weise bestätigen. Meine hochverehrten Herrschaften," hatte er mit einer ihm sonst wildfremden und mit der Weinlaune der Gesellschaft in schärfstem Kontrast stehender Feierlichkeit im Ton, begonnen; es gibt Augenblicke, in denen sich auch der Aufgeklärteste des Gedankens nicht erwehren kann, daß nicht der Zufall, sondern eine höhere, freundliche Fügung die Menschengeschicke regiert. Einer dieser Augenblicke war es für mich, als ich heut hier mit meinem Freunde Senkbeil und seiner liebenswürdigen Lebensgefährtin in dieses Zimmer trat und Sie, meine Herren, insbesondere Sie, mein hochverehrter Herr Alster   selbst ohne eine Ahnung da­von, daß wir kommen würden unserer doch gewissermaßen harrend fand. Ich gestehe, daß mich dies beinahe möcht' ich sagen lebhaft ergriff, daß ich es mit Genugthuung begrüßte, und als ich sah, wie diese erste persönliche Begegnung meines Freundes und seiner Gemahlin mit Ihnen, meine Herren, sich im Fluge zu einer Befreundung gestaltete, einem beiderseitigen Entgegen­kommen, wie es so rasch und so warm nur aus dem Boden gegenseitiger höchster Werthschätzung zu entsprießen vermag, das erhöhte jenes Gefühl der Genugthuung noch um ein bedeutendes­hatte ich doch, mein verehrter Herr Alster  , einem vor kurzem von ihnen angedeuteten Wunsche folgend, heute erst meinem Freunde Senkbeil den Gedanken ans Herz gelegt, er möge sich und sein industrielles Etablissement Ihnen zur Verfügung stellen, damit aus der Vereinigung Ihres Gründungsprojekts mit dem bereits in voller Blüthe stehenden Unternehmen ein Musterinstitut deutscher Industriethätigkeit hervorgehen könne, leistungsfähig und erfolg= versprechend genug, um den großartigen Vorsatz unseres zu einem Herrscher im Reiche der deutschen   Industrie berufenen Herrn Alster  zu verwirklichen den Vorsatz, den deutschen   Maschinenbau nicht nur konkurrenzfähig zu machen mit dem des bisher den Vorrang behauptenden Auslands, sondern diesem den Rang ab­zulaufen und die vaterländische Industrie einzusetzen in ihre un­veräußerlichen Rechte. Ich hatte lange gezögert, meinem Freunde Senkbeil diesen kühnen Gedanken zu unterbreiten, ihn aufzufor­dern, sich an der Verwirklichung desselben zu betheiligen denn ich kenne meinen Freund als einen überaus vorsichtigen Geschäfts­mann, der auf dem Wege kluger Kalkulation nur schrittweise fort­zugehen gewöhnt ist, von einem verhältnißmäßig bescheidenen Erfolg zum andern, aber als ich heut nun doch die Verhand lungen begann, fand ich, daß das mächtige Vertrauen, welches Sie, Herr Alster, überall in unserer Geschäftswelt genießen, auch bei meinem Freunde alle Schwierigkeiten zu überwinden geeignet war Senkbeil schlug ein, und da ich Ihres Einverständnisses nach den vertrauensvollen Mittheilungen und Andeutungen, mit denen Sie mich beehrt haben, mein verehrtester Herr Alster  , gewiß bin, so kann ich denn die Firma Alster   und Senkbeil mit einem dreimaligen Lebehoch in eine glückverheißende Zukunft einführen. Sie lebe hoch, hoch und zum drittenmale hoch!"

Es war ein Glück, daß Schweder zu Ende war. Der Ober­baurath hätte beim besten Willen seine Begeisterung nicht länger bändigen können. Er begriff zwar nicht im entferntesten, was