Schweder eigentlich wollte, aber er hatte schließlich doch gemerkt, nachdem er anfangs vergeblich auf die Gelegenheit gewartet, in sein donnerndes Gelächter auszubrechen, daß es ausnahmsweise feine Wige sein sollten, was Schweder vortrug, und so verfehlte denn des Redners feierlicher Ernst auf ihn seine Wirkung umsoweniger, als seine Heiterkeit auf jenem Kulminationspunkte angelangt war, von dem sie mit größter Leichtigkeit in das Thränenmeer der Rührung hinabgleiten konnte.
Man sah ihm daher an, daß seinem gefühlvollen Herzen die Sache ungemein naheging, als er kräftig in das Hoch einstimmte und sich mit größter Mühe erhob, um mit Schweder anzustoßen.
Die Gefühle, welche Schweders schöne Rede in des Gefeierten Busen entfesselt hatte, waren weniger ungemischt. Er fühlte sich zwar sehr geschmeichelt, zumal derjenige, welcher den Toast in so gewählten Worten und so wohlthuend ernster Weise ausgebracht hatte, der allseitig als geistreich anerkannte Herr Schweder war; vor wenigen Stunden wäre ihm die im Toaste enthaltene Mittheilung Schweders auch noch aufs höchste angenehm gewesen- jezt aber, nachdem er sich, wenn auch stillschweigend, von neuem mit Wichtel engagirt hatte, jetzt war durch Schweders natürlich vollkommen unschuldiges und wohlgemeintes Hineinplaten die Angelegenheit in einer wirklich heillosen Weise komplizirt worden. Das fühlte er, obgleich der Wein auch seinen Verstand umnebelt hatte, sodaß er zu ruhigem Nachdenken vollkommen unfähig war.
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Das eine leuchtete ihm ein: wenn jemand ihm aus der Verlegenheit zu helfen im stande war, so war es Schweder, vor dessen allen Verhältnissen gewachsenem Verstande und dessen wohlmeinender Gesinnung er täglich größere Hochachtung empfand. Zu liebenswürdig, auf Ehre, zu liebenswürdig, mein hochgeschätzter Freund," sagte er, als Schweder, sich kavaliermäßig verneigend, mit ihm anstieß. Die Firma Alster und Sentbeil oder Sentbeil und Alster gewiß, ganz gewiß nicht wahr, tiefverehrte gnädige Frau? Sie schenken uns die Ehre, auch auf den geistvollen Toast unseres gemeinschaftlichen Freundes Ihre schönen Lippen zu negen- so, ah, Ihr Wohl heut und allezeit! Ja, mein verehrter Herr Schweder ich bin hoch erfreut, ich möchte fast sagen gerührt, und ich hoffe, daß unser lieber Justizrath von denselben Gefühlen beseelt sein wird- obgleich es ihm sehr, außerordentlich, ich möchte fast sagen fabelhaft überraschend kommen wird die Kunde, die sie uns heute gebracht haben."
Zu weiteren Auseinandersetzungen hatte Herr Alster keine Zeit, denn eben öffnete sich die Thür und der Justizrath trat mit Senkbeil wieder ein. Einer hatte am andern eine Stüße gesucht und gefunden, Arm in Arm erschienen sie wieder, als wären sie die intimsten Freunde von der Welt.
Herr Schweder war, wenn es darauf ankam, so entschieden wie nur einer auf der Welt, ein Mann der That. Er ließ sich daher die Gunst des Moments nicht entgehen.( Fortsetzung folgt.)
III.
Das neue Recht im neuen Reich.
Gerichtsverfassung.
Von V. D.
Dem Liebhaber deutscher Vergangenheit geschieht in unseren Tagen manches tiefeinschneidende Weh. Die Mutter Germania liebt entschieden die Einfachheit der Linien und Formen und ist eine abgesagte Feindin der in tausendfachen Schnörckeleien sich verlierenden Gothik geworden; ein Geschmack, an dem zur Zeit nur auszusetzen ist, daß er allzusehr das Einerlei des Kasernenstils erzeugt. Gothisch war auch die Gerichtsorganisation der Vergangenheit. In dem Bau derselben offenbarte sich eine wahrhaft staunenswerthe Mannichfaltigkeit der Formen, welche sich in sich selbst verloren und kaum eine einheitliche Linie verriethen. Eine Karte, welche in bunten Farben die Verschiedenheiten deutscher Gerichtsverfassungen veranschaulichen wollte, würde das reichste Mosaik darstellen, welchem aber auch jede Spur einer Regelmäßigkeit fehlen würde. Gewiß lag gerade hierin eines der größten Hemmnisse des rechtlichen Verkehrs im deutschen Lande und nirgends war das Bedürfniß nach Einheit größer, als gerade auf diesem Gebiete. Diese nothwendige Einheit hat uns das Gerichtsverfassungsgesetz mit dem 1. Oftober 1879 geschenkt. Nirgends war aber auch der Sieg der Einheit schwerer, als auf diesem Gebiete. Denn hier stieß die Hoheit des Reiches und der Einzelstaaten auf das schärfste aufeinander. Das Reich hat denn auch nicht mehr errungen, als unbedingt nothwendig war, um für die gleichmäßige Anwendung der Prozeßordnungen die gemeinsamen Grundlagen zu schaffen.
Das Gerichtsverfassungsgesez regelt nur die Verfassung der Gerichte für bürgerliche Rechtssachen und Strafsachen und dieſe nur insoweit, als die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit in Frage steht.
Die Justizhoheit der Einzelstaaten wurde aufrecht erhalten in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, des Hypothekenwesens, des. Depofitenwesens, des Vormundschaftswesens, der Justizverwaltung. Landesgesetzlich blieben die Bestimmungen in allen Streitfällen, wo besondere Gerichte, z. B. die Rheinschifffahrtsund Elbzollgerichte, die Ablösungs- und Gemeinheitstheilungsgerichte, thätig werden. Auch die Schlichtung der sogenannten Kompetenzkonflikte ist reichsgeseßlich nicht erfolgt.
So ist es gekommen, daß nur ein Gericht, das Reichsgericht, im Namen des Reiches, alle anderen aber im Namen ihres Landesherrn Recht sprechen. Die Richter sind Beamte ihres Bartikularstaates, nur die Richter des Reichsgerichtes Reichs beamte. Nur der Zentralist kann sich ärgern, daß die Justiz hoheit auf diese Weise zwischen dem Reich und den Einzelstaaten
getheilt worden ist, er wird aber dennoch zugestehen müssen, daß der Löwenantheil dem Reich zugefallen ist.
An der Spitze des Gerichtsverfassungsgesetzes stehen die grundgesetzlichen Bestimmungen über das Richteramt. Es heißt da in§ 1: Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Geseze unterworfene Gerichte ausgeübt. Die Fähigkeit zum Richteramte wird durch die Ablegung zweier Prüfungen erlangt. Der ersten Prüfung muß ein dreijähriges Studium der Rechtswissenschaft auf einer Universität vorausgehen. Von dem dreijährigen Zeitraum sind mindestens drei halbe Jahre dem Studium auf einer deutschen Universität zu widmen. Zwischen der ersten und zweiten Prüfung muß mindestens ein Zeitraum von drei Jahren liegen, welcher im Dienst bei den Gerichten und bei den Rechtsanwälten zu verwenden ist, auch zum Theil bei der Staatsanwaltschaft verwendet werden kann. Landesgesetzlich kann die Dauer dieses Vorbereitungsdienstes verlängert werden.
Die Freizügigkeit der Juristen wird durch die Bestimmung des § 3 in etwas garantirt, wo es heißt, daß, wer in einem Bundesstaate die erste Prüfung bestanden hat, in jedem anderen Bundesstaate zur Vorbereitung für den Justizdienst und zur zweiten Prüfung zugelassen, sowie daß die in einem Bundesstaate auf die Vorbereitung verwendete Zeit in jedem anderen Bundesstaate angerechnet werden kann. Hiezu tritt§ 5, welcher bestimmt, daß, wer in einem Bundesstaate die Fähigkeit zum Richteramt erlangt hat, zu jedem Richteramte innerhalb des deutschen Reiches befähigt ist. Zum Richteramt fähig ist endlich außerdem jeder ordent liche öffentliche Lehrer des Rechts an einer deutschen Universität.
Die Ernennung des Richters erfolgt auf Lebenszeit. Die Richter beziehen ein festes Gehalt, Gebühren sind ausgeschlossen. Sie können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen und unter den Formen, welche die Geseze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in Ruhestand versezt werden.
Durch diese Bestimmungen ist allerdings so manche Garantie für die richterliche Unabhängigkeit gegeben. Freilich werden damit die„ Streber" noch nicht aus der Welt geschafft. Die Ungerechtig feit hat doch noch hundert und aberhundert Schleichwege und Geheimgänge, auf welchen sie sich Eingang in die Gerichtshöfe verschaffen kann. Ist doch eine gänzlich unabhängige Rechtsprechung kaum möglich unter den staatlichen Zuständen, wie sie historisch sich gestaltet haben. Solange eben das Privatinteresse dem Gemeininteresse häufig vorangeht, wird es nicht anders werden können.