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Der Geheimmittelschwindel.

Von Emanuel W.

Kann machen, daß die Blinden gehn, Und daß die Lahmen wieder sehn."

Auf dem Marktplatz zu X war großes Gedränge. Ein bunt ausstaffirter Reiter lockte durch schmetternde Trompetenklänge eine neugierige Menge um sich und verkündete mit lauter Stimme, daß unter hoher, obrigkeitlicher Erlaubniß der berühmte Doktor Aureolus Theophrastus Bombastus allhier erscheinen werde, um durch seine außerordentlichen Elixire und Pflaster alle Leidenden von ihren Schmerzen zu erlösen. Die wunderbarsten und ge­heimsten Naturkräfte habe er zu einem Arkanum vereinigt, vor dem der Tod fliehen muß. Bald darauf wird ein Gerüst auf geschlagen; vor der Bude belustigt ein Possenreißer die gedrängt Herumstehenden und erzählt von den wunderbaren Kuren seines Herrn. Endlich erscheint er selbst, mit großer Allongeperrücke und wichtiger Miene, und breitet vor sich eine, große Anzahl Flaschen und Schachteln aus. Alles drängte sich zu ihm. Dieser hat ein schlimmes Bein, jener eine kranke Hand. Ein altes Weib will von ihren Runzeln befreit sein, ein junger Fant be­flagt sich über zu spärlichen Bartwuchs. Allen kann er helfen, allen wird er helfen durch Pillen, Tränke und Mixturen. Nach einigen Stunden ist der unerschöpflich scheinende Vorrath ver­kauft, Seine Gelahrtheit zieht weiter.

Den Bösen sind wir los, die Bösen sind geblieben!" Unser Zeitalter der Presse bedarf nicht mehr der wirklichen Markt schreier; derselbe Erfolg wird weit bequemer erreicht durch die gedruckte Reklame. In welchem Maße und mit welcher chnischen Offenheit dieselbe ausgeübt wird, zeigt ein Blick auf den Inseraten theil der meisten Zeitungen.

Die Geheimmittelfrämerei ist ein Auswuchs der Heilwissen­schaft. Unsere Zeit ist aufgeklärt genug, um an übernatür­liche Kräfte nur mit wenigen Ausnahmen zu glauben. Woher kommt es nun, daß die Menge, und zwar rekrutirt sie sich aus allen Ständen, sich den Schwindlern anvertraut? Daß die Dummen nicht alle werden, gibt allein keine ausreichende Er­klärung. Die Ursache der Erscheinung liegt wohl mehr darin, daß das medizinische Wissen und Können den zahllosen, Leiden gegenüber immer noch ein sehr engbegrenztes ist. Der Kranke aber will geheilt sein und glaubt dies nur durch Arzneien er reichen zu können; jene Industrie wird daher so lange gedeihen, bis mehr Verständniß und Wissen über das eigne Jch, über das physische Leben in das Bewußtsein der Menge eingedrungen sein wird. Auch gegen diese Dunkelmänner hilft nur mehr Licht"; nur die Aufklärung kann einen erfolgreichen Kampf liefern. Pflicht der Presse wäre es, nicht nur jene schwindelhaften Annoncen zurückzuweisen, sondern durch Besprechung der Geheimmittel ihre Nuglosigkeit und ihre Schädlichkeit darzulegen. Professor Bock wirkte vor einigen Jahren in diesem Sinne; Prof. Wittstein gab ein umfangreiches ,, Taschenbuch der Geheimmittellehre" heraus, in welchem er die Zusammensetzung der meisten kursirenden Arkana mittheilte. Chemische Untersuchungen lieferten auch Dr. Hager und Jacobsen in Berlin , welche sie in den von ihnen herausgegebenen Industrieblättern" veröffentlichten. Diese verdienstvollen Arbeiten verlieren völlig ihren Werth, wenn sie nicht in die weitesten Kreise dringen. Mit der Veröffentlichung der Analyse allein ist jedoch noch nicht geholfen; der Werth oder Unwerth der angepriesenen Mittel kann dem Laien erst klar werden, wenn er über die Natur des zu bekämpfenden Leidens und die ärztlichen diesbezüglichen Vorschriften einigen Aufschluß gewinnt. Nicht alle Geheimmittel sind durchaus verwerflich; gar manche unterscheiden sich von einer ärztlich verschriebenen Medizin nur dadurch, daß sie im Vergleich mit der offiziellen Arznei age unverschämt theuer sind. Andere wiederum beruhen auf direktem Betrug, wie z. B. das ,, Mittel gegen Lungenseuche der Rinder von einer Pfarrersfrau im Badenschen". Nach der Untersuchung von Hager und Jacobsen ist dasselbe weiter nichts, als Brunnenwasser. Ein Selterswasser frug voll kostet vier Mark; sein wirklicher Werth ist natürlich gleich Null.

Die meisten Geheimmittel schädigen aber nicht nur den Beutel der Gläubigen, sondern hauptsächlich die Gesundheit, und zwar sowohl, dadurch, daß der Kranke durch Anwendung der günstigsten Falls indifferenten Mittel den richtigen Zeitpunkt des ärztlichen Einschreitens verpaßt und dadurch das Uebel sich einnisten läßt,

als auch dadurch, daß leider sehr viele der angepriesenen Arz­neien direkt schädlich und giftig sind. In Bezug auf lettere iſt dringend zu verlangen, daß die Gesundheitspolizei mit allen Mitteln ausgerüstet wird, um diesem gefährlichen Unfuge zu steuern. Eine positive Hülfe kann aber nur dadurch kommen, daß, wie wir schon oben hervorhoben, mehr Licht geschafft wird und, wie es Prof. Bock und Prof. Klenke in ihren zahlreichen populären Schriften erstrebten, die Kenntniß der Lebensgesetze immer mehr und mehr in die Familie und in die Schule dringt. Eine recht befremdliche Erscheinung ist es, daß grade für diejenigen Uebel, deren Heilung die Wissenschaft nur mittels spezieller Kuren zu vollbringen vermag, eine Reihe von Geheim­mitteln existiren, welche universell zu heilen versprechen.

Zahnschmerzen welch' schreckliche Gedanken erweckt die Er­innerung an dieses Leiden, welch' kummervolle Tage haben sie schon der Menschheit bereitet, vom nervösen schwachen Prickeln bis zum durchreißenden Zucken, das schon manchen Verzweifelnden den franken Zahn an ein Tischbein binden ließ, um mit fühnem Ruck sich von dem Unruhstifter zu befreien. Wer nie mit hohlen Zähnen," wem nie das Schreckensbild eines zahnausziehenden Barbiers im Traum erschienen ist, wer nie, stumpfsinnig vor Schmerz die Tage verbrachte, der versteht nicht, welche Gefühle einen Kranken durchströmen müssen, wenn er nach schlaflos ver­brachter Nacht mit verbundenem Gesicht des Morgens in seinem Zeitungsblatt mit großen Lettern die Annonce prangen sieht: Keine Zahnschmerzen mehr. 500 Mark demjenigen, der nach Gebrauch meines Mundwassers noch weiter an Zahnschmerzen

leidet."

Die Wissenschaft trennt in der Behandlung dieses Uebels rheumatischen und durch Zahnfäule( caries) hervorgebrachten hervorgebrachten Schmerz: Universalmittel gegen Zahnleiden kann es also nicht geben, ausgenommen eins, dafür zu sorgen, daß gesunde Zähne nicht krank werden. Besonders die sehr verbreitete Zahnfäule entsteht nur durch nachlässige Behandlung und Un­sauberkeit der Zähne. Häufiges Mundausspülen und Bürsten mit Wasser, oder noch besser mit fäulnißverhindernden Mitteln, sind dringend anzurathen. Auch ist dafür Sorge zu tragen, daß der schleimige Ueberzug der Zähne, Weinstein, richtiger Zahnstein, genannt, beseitigt wird.

Ein gutes Zahnpußpulver stellt man sich dar aus Schlemm freide 30 Gramm, gereinigte Kalmuswurzel 15 Gr., Nelkenöl 5 Tropfen; gepulverte Holzkohle ist nicht zu empfehlen, da sie den Zahnschmelz angreift, ebenso das Pußen mit Zahuseifen und Cigarrenasche. Für das Mundspülwasser löse man 1 Theil über­mangansaures Kali, das man sehr billig bei Apothekern und Droguisten erhält, in 15 Theilen Wasser, die Lösung werde in einer Flasche mit Glasstöpsel aufbewahrt( Kork wird angegriffen); zum Gebrauche nehme man 5-10 Tropfen in ein halb mit lauwarmem Wasser gefülltes Trinkglas. Nach dem Ausspülen hinterbleibt eine schwach braune Färbung des Gaumens und der Zunge, die aber nicht schädlich ist, keinen üblen Geschmack ver­ursacht und beim Pußen der Zähne bald verschwindet. Gegen das Bluten des Zahnfleisches empfiehlt es sich, dem Mundspül­wasser einige Tropfen Myrrhentinktur zuzusetzen. In neuester Zeit werden vielfach Salicylsäurepräparate zum Mundausspülen und Zähnepußen empfohlen. Die Salicylsäure ist ein sehr wirk­sames Antiseptikum, das anstatt der lästig riechenden und zu energischen Karbolsäure große Aufnahme gefunden hat. Ihre Wirkung bei Zahnfäule ist nicht zu bezweifeln, jedoch wird gegen ihre Anwendung der Einwurf erhoben, daß sie den Zahnschmelz angreife. Ein mäßiger, nicht täglicher Gebrauch derselben fann keinen Schaden verursachen, und ist besonders für solche empfehlens­werth, welche hohle Zähne haben, da diese stets der Sitz fäulniß­erregender Fermente sind. Man löse 1 Gr. chemisch reine Salicyl säure in 10 Liter Spiritus( wer den unangenehmen Geschmack des letzteren vermeiden will, nehme Rum; Kornbranntwein löst nicht, weil er zu schwach ist). Zum Gebrauche nehme man ein halbes Liqueurglas voll mit einem halben Glase Wasser. Es entspricht dies einem Gehalte von 0,02-0,03 pet. Salicylsäure. Die unzähligen Geheimmittel, welche gegen Zahnschmerzen exi­stiren, beabsichtigen meistens durch Betäubung des Nerven augen­blickliche Beruhigung zu schaffen, dergleichen Mittel bieten aber