Grunde ist jeder seines Glückes Schmied. So schön dieses Sprüchwort klingt, so scheint es mir, als ob man daran doch mäkeln könnte. Ich will darüber nachdenken, sobald mir der Kopf zu Spekulationen geeignet dünkt.
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Ein Jahr bin ich nun in Berlin ! Ein" Jahr im Leben wiegt oft so schwer wie zehn. Es kommt mir so vor, als ob ich das Recht hätte, diese Zeit doch mindestens mit fünf zu multipliziren. Was ich erfahren, kann unmöglich erzählt und beschrieben werden. Der Mensch muß selbst wissen, ob er gealtert ist. Und ich bin es! Tief hat sich meine Bureauthätigkeit in meinen Körper eingegraben. Ich schleiche dahin, ich bin frank; meine Brust ist angegriffen und Schmerzen stellen sich zuweilen ein, wenn ich von meinem angestrengten Nachtdienst heimkehre. Was habe ich während dieses Jahres erlangt? Ich habe mich satt gegessen, vieles vergessen und das nur gelernt, daß mich diese prosaische Beschäftigung physisch und moralisch tödten wird. Theure Erfahrungen! Könnte ich sie nur zu Markte tragen und mit Vortheil an den Mann bringen!
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,, Heute roth, morgen todt!" Das Menschenleben gleicht einer fliegenden Seifenblase. Sie glänzt und schillert in allen Regenbogenfarben, ein kleiner Windhauch zerstäubt sie und wir behalten nur einen unbedeutenden Rest Wassers zurück. Milch händler Trosten ist plötzlich gestorben. Der Jammer ist groß. Eine ungeheuerliche Verwirrung hat die Gemüther der Familie ergriffen, die vergrößert wird durch den Umstand, daß niemand weiß, wie es um des Todten Geschäft steht. Ich bemühe mich Ich bemühe mich zu trösten, zu helfen. Solches Ereigniß macht auf Momente jegliche Abneigung vergessen.
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Nun liegt Trosten schon in der Erde! Neue Gestalten bewegen sich im Laden. Die Wittwe ist hinauf in den ersten Stock gezogen. Denken Sie an das rastlose Streben ihres Gatten,
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der stets darauf bedacht war, Ihnen allen wohl zu thun, denken Sie an Ihre Kinder und seien Sie ihnen eine wahre Mutter." Frau Trosten nickte weinend mit dem Kopfe und versprach mir, das Andenken des Todten zu ehren. Wie lange?- Ich denke wirklich schlecht, ini Anblick des frischen Grabes. Wenn das erste Grün aus der aufgeschaufelten Erde emporsproẞt- wie dann? Ich täusche mich selten. Ich denke schlecht.
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Ich bin seit gestern unwohl, muß die Stube hüten und durch Ruhe mein aufgeregtes Nervensystem wieder brauchbar machen. Ich bedaure nur meine armen Kollegen, die nun meine Arbeit für mich mit verrichten müssen. Trostens Bertha ist bei mir; sie macht ihre Schularbeiten und findet es hier so sehr gemüthlich. Es hat mich sehr lieb das Kind. Die Stubenluft hat ihm ein krankhaftes Aussehen gegeben. Als ich mit der Kleinen vorhin sprach sie will immer Geschichten von mir hören äußerte sie ernsthaft: Mein Papa ist nun todt, er hatte mich so lieb, zuweilen; Mama kümmert sich nicht um mich; die hat die Frau Weinberg lieber als mich. Da möchte ich so gern todt sein, dann ist es mir wohl. Ich belehrte sie zwar eifrig über das Thörichte ihrer Gedanken, aber die Kleine blieb dabei, der Tod wäre gar kein böser Mann. Meine Stimmung war dadurch eine verdammt firchhofartige geworden. Das Kind mochte sich wohl des Eindrucks ihrer Worte bewußt geworden sein, denn es kam leise zu mir und fragte mich, ob ich ihm böse sei. Diesem Kinde böse? Ich küßte es und sagte bewegt: Du bleibst immer ein gutes Kind!
Diese Liebesversicherung that seine Wirkung. Und nun ist es um vieles fröhlicher. Ich will auch heute mich meines vernachlässigten Freundes erinnern, eh' er mir einen Mahnzettel sendet. ( Fortsetzung folgt.)
Voetische
Aehrenlese.
Die Schifffahrt.
Das waren mir selige Tage! Bewimpeltes Schiffchen, o trage Noch einmal mein Liebchen und mich, Owieg' uns noch einmal behende Von hinnen bis an der Welt Ende! Zur Wiege begehren wir dich.
Wir fuhren und fuhren auf Wellen; Da sprangen im Wasser die hellen, Die silbernen Fische herauf.
Wir fuhren und fuhren durch Auen: Da ließen die Blümchen sich schauen, Da liefen die Lämmer zu Hauf.
Wir spielten im treibenden Nachen, Wir gaben uns Manches zu lachen Und hatten des Spieles nicht Rast. Wir ließen die Hörner erklingen, Und alle begannen zu singen Und ich hielt mein Liebchen umfaßt.
Das waren mir selige Tage!
Mein blondes Mädchen, o sage:
Sie waren so selig auch mir!
Dann such' ich das Schiffchen mir wieder,
Dann set' ich mich neben dir nieder, Und schiffe durchs Leben mit dir.
Overbeck.
Forschungsfahrten im nördlichen Polargebiet.
Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. M. Traufil.
Die Geschichte der geographischen Entdeckungsreisen zeigt uns den Menschen, je weiter er in Kenntnissen und Künsten der Civilisation fortschreitet, desto mehr mit siegreicher Kraft gegen alte Gefahren und Schrecken einer feindseligen Naturumgebung ausgerüstet. Sein physi sches wächst mit seinem geistigen Vermögen. Der Mensch unserer Tage richtet nicht allein positiv mehr aus, sondern er erträgt, übersteht auch mehr.
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unerforscht bleiben dürfen- galt es für ausgemacht, der Erdstrich jenseits des Wendekreises, unter den senkrechten Strahlen der Sonne, sei für Menschen unbewohnbar. Nur wenige Gelehrte, Geographen, Polyhistoren wußten oder vermutheten es anders. Von den Ländern und Meeren über Britannien und Germanien hatte man so gut wie gar keine Kunde. An die toto divisos orbe Britannos( die von der ganzen Welt abgeschlossenen Britannier) mochte man am Hofe des römischen Kaisers Augustus , der zu Anfang der christlichen Zeitrechnung regierte, nur mit Schaudern und Frösteln denken. Da wähnte man alles in Frost und Nacht begraben und die Meeresfluth vor Kälte zu einer zähen, trägen, halbflüssigen Masse geronnen und erstarrt; da fahre fein Ruder, da schneide kein Kiel hindurch und selbst der Sturm erhebe kaum eine Welle.( Tacitus.)
Nun wohl, diese Britannier, die sich die Römer, wie wir die Estimos und Kamtschadalen vorstellten, führen jeßt das Regiment über große Länderstrecken und Inseln der heißen Zone, während zugleich ihre kühnen Seefahrer Parry, Roß, Back, Franklin mit heldenmüthiger Ausdauer die Zugänge zu der Polarwelt belagerten, ihre Eispforten sprengten und in Regionen, wohin nur der Eisbär sich zuweilen beutesuchend verirrt, überwinterten. Das thun der Menschengeist und die Wissenschaft. Die äußerste Hiße und die äußerste Kälte sind für den menschlichen Unternehmungssinn fein Hinderniß mehr.
Was treibt die Menschen nach der Polarzone hin, mit deren Gefahren die Schrecken der Schlachtfelder verglichen, fast wie Kinderspiele erscheinen? Es sind wissenschaftliche und praktische Zwecke. Den handeltreibenden und seefahrenden Mächten Europas war es nach der Entdeckung von Amerika von hohem Interesse, zur Vermeidung des langen und gefährlichen Seewegs über Asien nach dem neuen Welttheile zu gelangen und deshalb eine nordöstliche Durchfahrt aufzufinden. Daß später auch die geographische Wissenschaft Theil an dieser Frage nahm, so daß sich die veranstalteten Entdeckungsreisen nach dem hohen Norden ausdehnten, setzen wir als bekannt voraus.
Die nördliche Polarzone umfaßt jenen Kreisabschnitt unserer Erdfugel, dessen Mittelpunkt der Nordpol und dessen südliche Grenze zwischen dem 66. und 67. Grad nördlicher Breite liegt. Um sich auf dem Schauplaß unserer Schilderung zurechtzufinden, möge uns der Leser zur Beringsstraße folgen und hier vom Ostkap Sibiriens die angenommene Linie, welche die Geographen den nördlichen Polarkreis nennen, von Osten nach Westen quer durch Sibirien , Finnland , Norwegen und die Nordsee , durch Grönland , die Baffinsbay und Nordamerika bis zum Koßebue- Sund verfolgen, wo der Tod angesichts der bezaubernden Fata Morgana des Nordens, dem Nordlicht, zwischen silberglänzenden Brückenbogen und majestätischen Eispalästen lauert. Es giebt wenig Glückliche, die ihre Flaggen nach dem Polarmeer trugen und seinen Schrecken entronnen sind.
Wir wollen den Reigen mit denen anfangen, die, die nordöstBei den Römern, dem weltbeherrschenden Volke fein irgend zu- liche Durchfahrt suchend, ihre Thätigkeit auf die Umschiffung der gänglicher Winkel der alten Welt, sollte man meinen, hätte von ihnen