Den ersten Versuch, dieses Wagstück auszuführen und solchergestalt einen Seeweg nach dem großen Reiche Cathay( China  ) und Ostindien zu finden, machte 1553 ein Engländer, Sir Hugh Willoughby  , mit drei Fahrzeugen. Vom Eise eingeschlossen, mußte er mit zwei Schiffen in einer kleinen lappländischen Bucht überwintern und kam sammt sei­nen Leuten vor Frost und Mangel um. Richard Chancellor  , der das dritte Schiff befehligte und sich von den beiden andern verirrt hatte, gelangte glücklich nach Archangel und knüpfte einträgliche Han­delsverbindungen mit den Russen an.

Stephan Burrough, Chancellors   Gefährte auf einer zweiten Reise, drang ostwärts bis zur Waigazstraße vor und ist als der Ent­decker von Nowaja- Semlja zu betrachten; er hat einen Theil der Süd­und Westküste dieser Insel gesehen, wenn auch nicht betreten. Man suchte damals die nordöstliche Durchfahrt mit nicht gerin­gerem Eifer, als in jüngster Zeit die nordwestliche.

Im Jahre 1596 fror ein holländisches Schiff, worauf sich Jakob van Heemskerken als Kapitän und Wilhelm Bareng als Steuer­mann befanden, unweit der Nordküste von Nowaja- Semlja im Eise fest. Die Mannschaft, aus sechzehn Personen bestehend, überwinterte in einer aus Treibholz gezimmerten Baracke, überstand eine fast drei Monate lange Polarnacht und wagte sich im Juni des folgenden Jahres, als das Meer vom Eiſe frei ward, das eingefrorene Schiff aber nicht flott gemacht werden konnte, in ihren Böten auf das Meer hinaus. Unter tausend Gefahren erreichten sie die Küste von Lappland   und fanden zu Kola ein holländisches Fahrzeug, welches sie an Bord nahm und nach Hause brachte. Wilhelm Barenz starb noch unterwegs infolge der Ent­behrungen und von seinen Leidensgenossen sahen nur zwölf die Heimath Die Holländer hörten auch im 17. Jahrhundert nicht auf, das Meer um russisch Lappland und Nowaja- Semlja, des Walfifch- und Robbenfanges halber, fleißig zu besuchen; einzelne kühne Seefahrer wagten sich weiter ostwärts und sollen 100 Meilen über Nowaja- Semlja hinausgekommen sein. Gleichwohl blieb die Ostküste der Insel gänzlich unbekannt, und bis zum Jahre 1833 fonnte sich niemand rühmen, der= selben mit einem Fahrzeug nahe gekommen zu sein oder auch nur sie von fern erblickt zu haben.

wieder.

Nur dem Kapitän Rosmysloff, einem Russen, war es um's Jahr 1762 geglückt, eine kleine Strecke über das südöstliche Ende der Matuschkinstraße hinaus vorzubringen. Diesen Namen führt nämlich der schmale Meeresarm, welcher Nowaja- Semlja in der Richtung von Nordwesten nach Südosten durchschneidet und in zwei ziemlich gleiche Hälften theilt.

In den Jahren 1819 bis 1824 hat die russische Regierung fünf wohlgerüstete Expeditionen hinter einander nach Nowaja- Semlja aus­gesendet, davon vier unter der Leitung des kundigen und wackeren Ka­pitäns Lütke. Alle kehrten unverrichteter Sache nach Hause zurück; die Ostküste nur zu erreichen, geschweige denn sie planmäßig zu erforschen und aufzunehmen, schien eine absolute Unmöglichkeit. Die Regierung war durch dieses wiederholte Mißlingen entmuthigt und sehr geneigt, das ganze Projekt abermals fallen zu lassen, als ein Privatmann da zwischen trat.

Ein reicher Kaufmann, Namens Brandt, um die Förderung der wissenschaftlichen neben den Handels- Interessen einsichtsvoll bemüht, faßte im Jahre 1832 den Gedanken, den im frühen Mittelalter viel­befahrenen See- und Handelsweg zwischen dem weißen Meer und der Mündung des D6 wieder aufzufinden und in Aufnahme zu bringen. Aber just mitten auf diesem Wege liegt Nowaja- Semlja, und alle Schiffe, welche zwischen Archangel und Obskajaguba( so heißt der tief ins Land tretende Meerbusen, in welchen der Ob ausmündet) hin und zurück wollen, müssen entweder nördlich oder südlich um die Insel herum­fahren und können leicht in den Fall kommen, an die Küsten derselben geworfen zu werden oder daselbst Zuflucht suchen zu müssen. Ohne die allergenaueste nautische und geographische Kenntniß dieser Küsten, mit all' ihren Buchten, Meerbusen, Landzungen, Vorgebirgen, vorliegenden Inseln und Klippen, ließ sich daher nichts anfangen und demgemäß stellte Brandt sich zu allererst die Aufgabe, Nowaja- Semlja in seinem ganzen Umfange, von Westen und Osten zugleich, auszukundschaften und die Erstreckung und Beschaffenheit der Küsten zu ermitteln. Als Kauf­mann spekulirte er nebenbei darauf, an der bisher fast gar nicht be­suchten Ostküste neue und darum einträgliche Stationen für den Wal­roßfang ausfindig zu machen. Er trat an die Spize einer Kompagnie, erwirkte für dieselbe von der kaiserlichen Regierung ein Privilegium zum ausschließlichen Betriebe der Rhederei und Fischerei im Osten von Nowaja- Semlja   und die Erlaubniß, Offiziere der kaiserlichen Marine in Dienst zu nehmen. Drei Fahrzeuge wurden ausgerüstet, Mit dem ersten sollte Lieutenant Krotoff längs der Westküste von Nowaja­Semlja nordwärts bis zur Matuschkinstraße fahren, diese Straße in ihrer ganzen Länge untersuchen und von ihrem östlichen Ausgang seine Richtung nach der Mündung des Ob nehmen. Dem zweiten Schiffe, welches der Steuermann Pachtusoff führte, ward die schwerste Auf­gabe zu Theil, nämlich unmittelbar die Ostküste von Nowaja- Semlja aufzusuchen, an derselben so weit nordwärts vorzubringen als möglich; dem dritten die leichteste, sich an der Westküste zu halten, auf den Wal­roßfang zu gehen und nebenbei fleißig Beobachtungen anzustellen und aufzuzeichnen. Dieses Fahrzeug kam denn auch zur rechten Zeit, wohl behalten, ohne einen Mann verloren zu haben und mit reichem Fang

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nach Archangel zurück. Krotoff aber ist sammt seiner Mannschaft spur­los verschollen; Schiffstrümmer, die man auf einer Eistrift nicht weit vom Eingange der Matuschkinstraße aufgefunden und an sicheren Kenn­zeichen als Wrackstücke von Krotoffs Fahrzeug erkannt hat, lassen leider keinen Zweifel an seinem und seiner Gefährten traurigem Ende übrig. Pachtusoff war glücklicher. Am 1. Auguſt 1832 war er von Archangel ausgelaufen und verfolgte seinen Weg ostwärts längs der südlichen Küste von Nowaja- Semlja. Am 31. August trieb ihm der Ostwind plößlich solche Eismassen entgegen, daß er faum Zeit behielt, mit seinem Fahrzeug in eine kleine Bucht( auf russisch: Kamenka tschara, die Felsen­bucht) zu flüchten. Hier sah er sich, so weit das Auge reichte, vou dicht zusammengeschobenen Eisbergen und Eisfeldern eingeschlossen und da überdies in den ersten Tagen des September das Eis sich stellte und starker Frost eintrat, so machte sich Bachtusoff darauf gefaßt, an dieser Stelle zu überwintern, und war noch froh, daß ihm das Glück ließ das Schiff abtakeln und ans Land ziehen, aus Treibholz ein: einen so bequemen und wohlgelegenen Schlupfwinkel gewiesen hatte. Er Hütte bauen, 12 Fuß lang, 10 Fuß breit, die Wand 5 und den Dach­giebel 7 Fuß hoch, und dicht daneben einen kleineren bedeckten Ver schlag, zu welchem aus der Hütte eine Thür und ein niedriger mit Segeltuch bedeckter Gang führte. In diesem Verschlage sollte ein Kessel geheizt und ein Dampfbad auf russische Manier eingerichtet werden. Wer beschreibt aber Pachtusoffs Verdruß, als Wind und Wetter wieder umsprang, als er im September, im Oktober, ja bis in den November hinein tagelang das Meer gegen Osten vom Eise frei sah. Es war zu ſpät das Schiff konnte nicht so schnell wieder segelfertig gemacht schäftigungen und Abenteuern, wie sie in den Tagebüchern aller Polar­werden. Also blieb er ruhig liegen. Der Winter verging unter Be­ſeefahrer verzeichnet sind: es wurde an der Küste nach Treibholz ge­sucht, den Schneefüchsen wurden Fallen gestellt, mit den grimmigen Eisbären sette es manchen harten Strauß; man überstand gewaltige Schneeſtürme und manch anderes Ungemach. Endlich schlug die Stunde der Befreiung. Am 24. Juni sah Pachtusoff das Meer sowohl nach der europäischen   als nach der sibirischen Seite gänzlich offen. Da sein schaft die große Schaluppe und ließ ostwärts steuern. Nachdem er den Schiff noch eingefroren war, bestieg er mit einem Theil seiner Mann­71. Grad nördlicher Breite erreicht und die Küste genau aufgenommen hatte, fehrte er um, befreite sein Schiff und die zurückgebliebene Mann­schaft aus ihrer 297tägigen Gefangenschaft und erreichte am 13. August das östliche Ende der Matuschkinstraße, bog in dieselbe ein und gelangte gegen Mitte September an ihren westlichen Ausgang. In dieser Straße und nicht minder um das Kap Mentschikoff und die Lütkebay, welche er an der Ostküste in Augenschein genommen hatte, wimmelte es von Meerschweinen, Seekälbern und Robbengethier aller Art. Kaum war Pachtusoff aus der Matuschkinstraße ausgelaufen, so packte ihn ein wüthender Sturm aus Nordwest und trieb ihn gegen die russische Küste; mit genauer Noth erreichte er die Mündung der Petschora  - Wind und Fluth trieben das Schiff am 30. September auf den Strand. Die Schiffbrüchigen zimmerten sich in einiger Entfernung vom Ufer eine Hütte und waren des Obdachs froh, als eine noch höhere Fluth hereinbrach und alles mit sich fortriß; faum retteten sie, landeinwärts watend und flüchtend, das Leben vor dem unbändigen Element. So endete Pachtusoffs erste Reise.

Am 24. Juli 1834 trat er von Archangel aus mit zwei Schiffen seine zweite, nicht minder gefahrvolle Reise an und drang diesmal bis zum 74. Grad nördlicher Breite, untersuchte die Küste von Nowaja Semlja  

und kehrte im nächsten Jahre am 8. September nach Archangel zurück, wo er noch vor Ablauf des Oktober, ein Opfer seiner Anstren­gungen, starb.

Jm Jahre 1837 hat Baer   im Auftrage der petersburger Akade­mie der Wissenschaften Nowaja- Semlja untersucht und Steinkohlenlager entdeckt, die unter diesen Breitengraden kostbarer wie Gold sind.

Ueber zwei Jahrhunderte früher hatten schon die Russen begonnen, auf Landreisen das nördliche Asien   zu erschließen. 1630 erreichten mit dem Eintreiben von Tribut beauftragte Kosaken vom Jenisei   die Lena; 1636 verfolgte Busa dieselbe bis zur Mündung und entdeckte zwei Jahre später die Jana, während zu derselben Zeit Iwanojo bis zur Indigirka   vordrang. 1644 gelangte Stadutschin bis zur Kolyma  , und von dieser ausgehend fuhr Deschnew 1648 in Segelbooten au der Küste nach Osten bis zur Beringsstraße und landete in der Ana­dyrbay. 1728 segelte Bering, ein in russischen Diensten stehender Däne, von Kamtschatka   aus an der asiatischen   Küste nordwärts bis zum Kap Serdze; die östliche Begrenzung der Beringsstraße, die ame­ rikanische   Küste, entdeckte erst Gwosdew 1730. Bering segelte 1741 abermals von Ochotsk   aus nach Norden, wandte sich nach Passiren der Straße ostwärts und untersuchte die amerikanische Küste bis zum 69. Grad nördlicher Breite. Früher schon, 1735, war Prontschi­tschew von Jakutsk   aus an die Lenamündung gefahren und gelangte, westwärts reisend, im nächsten Jahr bis nach Kap Thaddäus unter dem 77. Grad nördlicher Breite. Ihm folgte 1739 Laptew, der ebenfalls bis zum Kap Thaddäus und über Land westwärts bis zum Kap Taimyr fam. Auf weiteren Expeditionen umwanderte sein Steuer­mann Tscheljuskin das nach ihm benannte Kap, die nördlichste Spiẞe des Festlandes von Asien  . Boschkin segelte 1766 durch die Karastraße nach der Ostküste von Nowaja- Semlja   und vollendete die Umschiffnung der Insel nach zweimaliger Ueberwinterung.