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will die beiden Braven in den tosenden Abgrund werfen, aber sie halten sich mit den blutenden Händen und Knien an den Schienen fest und kriechen die Brücke entlang. Plößlich tritt der Mond aus einer Sturmgerissenen Wolkenspalte und zeigt ihnen die gähnende Kluft in der Brücke. Ihre Länge können sie nicht messen. Morgen früh werden sie wissen, daß der höchste Theil der Konstruktion, 3000 Fuß lang weggerissen ist.

Die beiden kriechen schaudernd zurück. Sie haben in das offene Grab des Edinburgher   Zuges hinabgesehen. Sie bringen den Harren­den die traurige Post. Aber noch hoffen manche. Mag auch ein Theil der Brücke in den Strom geweht sein, der Zug kann ja stehen geblieben sein. Der Zug fuhr langsam, der Führer konnte bei Zeiten die Kluft gesehen haben; die Maschine hatte eine ausgezeichnete Bremsvorrichtung ( Westing house breake), der Bug fonnte in wenigen Minuten zum Stehen gebracht werden, da kam eine Nachricht, welche die bleichen Gesichter bleicher machte. Unterhalb der Brücke waren einige der Post­felleisen ans Land geschwemmt worden. Vorbei war es mit jeder Hoff­nung, der Zug war ertrunken. Wie viele Opfer? Die einen sagten 90 oder 100, die anderen 300. Eins war gewiß, die acht Wagen waren von einer Höhe von über 100 Fuß in die Wellen herabgestürzt und der Telegraph blizte nach allen Richtungen der Windrose: Kein Mensch ist mit dem Leben davongekommen." Das war zwischen 7 und 8 Uhr abends. Um 10 Uhr versuchte es der brave Kapitän des ,, Dundee  " an den Ort des Unglücks zu dampfen und denen Hülfe, die sich etwa gerettet haben mochten, zu bringen. Die armen Leute nahmen Brandy mit, die Erschöpften zu laben. Als der Dampfer bei der Brücke ankam, da sah man im Mondlicht dreizehn von den Wassern umtofte Pfeiler, aber der mittelste Theil der Brücke fehlte. Jezt er­innerten sich die Leute auf dem Dampfer an den Ausspruch eines ver­storbenen Herrn Matthew: ,, Ein starker Sturm kann die Brücke in den Tay blasen." Fünf Tapfere verlassen den Dampfer in einem Boot und fahren um die dreizehn Pfeiler herum. Sie denken, auf dem einen oder andern könnte ein menschliches Wesen auf Rettung harren. Hier und da ragte etwas von einem Pfeiler empor, in der Nähe sah man aber, daß es kein Mensch, sondern ein Stück abgebrochenes Eisen sei, ein Restchen der kolossalen Eisenbalken, welche die Schienen getragen hatten.

Am andern Morgen schwamm eine Flotille von kleinen Dampfern, wie es unser Bild darstellt, zu dem Schauplaz des grauenvollen Be­gebnisses. Nach zwei Tagen fanden Taucher die Stelle, wo das Eisen­werk der Brücke und der Eisenbahnzug im Wasser liegen. Die Wagen liegen zwischen den eisernen Trägern, die ostwärts von der Brücke herabgestürzt sind, in der Ordnung, wie sie in den Zug eingestellt waren. Die Waggons waren auf die Träger der östlichen Seite der Brücke gefallen und sind bedeckt von dem Gitterwerk der an der west­lichen Seite befindlichen Träger. Da die Wagen durch den Sturz in fleine Stücke zerschmettert wurden, konnten die Leichen nicht durch die Trümmer festgehalten werden und wurden von der Fluth stromabwärts gerissen. Bisher wurden 22 Leichen mit Neßen aufgefischt.

Wie ist das Unglück geschehen?

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Der Kondukteur des lezten Zuges, der vor dem Unglück die Brücke passirte, gab an, daß die Räder einiger Waggons seines Buges Funken gesprüht hätten, ohne daß gebremst worden wäre, ein Beweis, daß die Brücke und mit ihr die Schienen aus der korrekten Lage gewichen waren. Auf dieser Thatsache fußend, behaupten die Fachleute: Die beiden letzten Waggons entgleisten, vom Sturme umgeblasen, oder sind aus den gewichenen Schienen gesprungen. Der Zug schleppte die um­geworfenen Wagen weiter, und so schlugen diese gegen das Geleise und das seitliche Gitterwerk, welches an jener Stelle die Brücke wie die Wölbung eines Tunnels umschloß. Der außen tobende Orkan faßte die so in ihren Grundfesten erschütterte Brücke und warf sie in den Strom und den menschengefüllten Zug mit. Die Wellen des Tay brausen über dem ertrunkenen Zuge, und der Todten wird im rasenden Getriebe des modernen Daseins gedacht bis zum nächsten Unglück. Die Unfallstatistik der letzten vier Jahre liefert den traurigen Beweis, daß das nächste große Unglück nicht lange auf sich warten laffen wird. Das nachfolgende Verzeichniß enthält nur die groß­artigen" Eisenbahnunfälle und beginnt mit dem 8. Januar 1876. An diesem Tage stürzte bei Odessa   ein Bahnzug mit 420 Refruten eine 40 Fuß hohe Böschung hinab. Die Wagen, 27 an der Zahl, geriethen in Flammen; 60 Menschen kamen um und doppelt soviel wurden ver­letzt. Am 13. März ist die über die angeschwollene Doller führende Brücke zwischen Dornach   und Lutterbach   im Elsaß eingestürzt. Das Fahrpersonal hatte einige Todte aufzuweisen, die Passagiere tamen mit einigen Beinbrüchen davon. Am 23. Juni entgleiste kurz vor der pfälzischen Station Frankenstein ein Schnellzug in einem durch einen Wolkenbruch überflutheten Tunnel; Lokomotive, Pack- und Lastwagen

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zertrümmert; das Fahrpersonal erheblich verlegt. Einen Tag später entgleiste in Spanien   zwischen Saragossa   und Barcelona   ein Postzug; 17 Personen todt, 58 verwundet. Am 24. Juni stürzte bei Bukarest  ein Eisenbahnzug von einem durch Ueberschwemmug unterwaschenen Damm; Wagen zertrümmert, Fahrpersonal todt, 12 Passagiere ver­wundet. Am 2. Juli stießen zwischen Bern   und Lausanne   und auf der unterirdischen Eisenbahn in London   die Züge zusammen; 6 Todte und 40 Verwundete. Ein ähnlicher Zusammenstoß ereignete sich am 7. August in Bayern   bei Immenstadt  , und in England bei Bath  ; Verlust an Menschenleben 30, verwundet 35. Am 22. November flog der fünfte Pfeiler der noch nicht vollendeten Eisenbahnbrücke über den Limfjord( Dänemark  ) mit drei Arbeitern in die Luft. Drei Tage später plaßte eine Sprengmine auf der Eisenbahnlinie Sigmaringen  - Ehingen  zu früh; drei Arbeiter todt, sieben verwundet. Den Jahresschluß bildet der Einsturz der noch nicht vollendeten Eisenbahnbrücke über das Naab­thal( Fichtelgebirge  ), der Zusammenstoß zweier Züge zwischen Aix- les­Bains und Chatillon( Frankreich  ), wobei 18 Menschen todt, 15 ver­wundet wurden, und der Sturz eines Expreßzuges der Pacificbahn am Eriesee   in Nordamerika   aus einer Höhe von 75 Fuß über die Joche einer Brücke hinweg in den Fluß hinunter. Bei der letzten Katastrophe hat man 52 Verwundete aufgelesen, die Zahl der Todten war nicht festzustellen, weil sie die Fluth verschlungen hat.( Schluß folgt.)

Aus allen Winkeln der Zeitliteratur.

Wie in Preußisch Polen das unterjochte polnische Ele­ment von dem herrschenden deutschen   allmählich zurück­gedrängt wird, geht u. a. daraus hervor, daß die volnischen Grund­eigenthümer im Großherzogthum Posen, welche 1848 3 717837 Morgen Land besaßen, im Jahre 1878 nur noch 2739876 Morgen behauptet hatten, während der Grundbesitz der Deutschen   von 2496935 im Jahre 48 auf 3 491125 im J. 78 gestiegen ist. Das Verhältniß des Grund­besizes hat sich also im letzten Menschenalter zu Gunsten der Deutschen  und zum Schaden der Polen   direkt auf den Kopf gestellt.

Eisenbahnverkehr von Wien  , Berlin   und London  . Wäh­rend die Zahl der angekommenen und abgefahrenen Fremden in Wien  im J. 1878 6 920863 betrug, beziffert sich der von Berlin   auf 9 292860. Wie außerordentlich viel beträchtlicher der Eisenbahnverkehr in London  ist, erhellt aus der Thatsache, daß dasselbe schon für das Jahr 75, und nur auf zwei seiner Eisenbahnstationen 96 500000 Reisende aufzuweisen hatte.

Steuerfrei! Das Grundeigenthum der new- yorker Kirchen hat einen Werth von 130 000000 Mark und ist natürlichsteuerfrei.

Die Rinderpest raffte in Rußland   im J. 1877 in 38 Gouverne ments 212768 Stück Rindvieh hin. In 40 Gouvernements grassirte die sibirische Best; derselben fielen 23630 Pferde zum Opfer. Auch gegenüber der Gesammtzahl des Viehs in Rußland   verlieren diese Verlustziffern wenig von ihrem Schrecken. In derjenigen großen Mehr­zahl der russischen Gouvernements, für die zuverlässige Angaben über ihre Viehbestände vorliegen, gab es 1877 97 970000 Stück Vieh, darunter 25 918600 Rinder, 45 123000 Schafe, 15 888000 Pferde, 9 844000 Schweine, 1 195000 Ziegen.

Schulen in Portugal   und Spanien  . Bei einer Bevölkerung von etwa 4 millionen hat Portugal   4524 Schulen mit einer Schüler­zahl von 200000 aufzuweisen, d. i. auf je 100 Seelen 5 Schüler. In den letzten fünf Jahren sind nicht weniger als 1500 Schulen gegründet worden. Spanien   hat 29138 Elementarschulen mit 1633288 Schülern, d. s. bei etwa 17 millionen Einwohnern auf je 100 Seelen 9 Schüler. Von den 10 spanischen Universitäten hat Madrid   6672, Barcelona   2459, Valencia   2118, Sevilla   1358, Granada   1225, Valladolid   889, Santiago 779, Saragossa   771, Salamanca 372, Oviedo   216 Studenten, alle zusammen hatten demnach( 1878/79) 16859 Studenten.

Hochzeiten in vergangenen Jahrhunderten. Meister Gund­linger, ein Bäckermeister in Augsburg  , feierte 1493 eine Hochzeit, die acht Tage dauerte und ihn zur Speisung seiner Gäste. 20 Ochsen, 30 Hirsche, 49 Ziegen, 46 Kälber, 25 Pfauen(!), 95 Schweine, 106 Gänse, 515 Wildvögel und 15000 Fische und Krebse kostete. Die Gäste thaten dabei aber auch des Guten soviel, daß einige von ihnen am siebenten Tage ,, wie todt hinfielen". Noch ärger machte es, nach dem Berichte des schlesischen Ritters Hans von Schweinichen  , im 16. Jahrhundert der Edle von Rosenberg zu Krommenau in Böhmen  , dessen Hochzeit über 100000 Reichsthaler kostete, und nicht weniger als 2000 Hasen, 12800 Hühner, 40000 Eier und 15000 Karpfen, sowie für 12000 Thaler Marzipan und Konfekt konsumirt hat. Auch diese würdige Feierlichkeit dauerte eine Woche.

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Inhalt. Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph von B......( Fortsetzung). Der Geheimmittelschwindel, von Emanuel W. Irrfahrten, Die Backhefe und ihre faule ,, Selbstgährung". Von Dr. H. Didtmann, Arzt in Linnich  ( Fortseßung und Schluß). von 2. Rosenberg( Fortsetzung). Forschungsfahrten im nördlichen Polargebiet. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. M. Trausil( mit einer Der Einsturz der Taybrücke in Schottland  ( mit Illustration). Aus allen Winkeln der Zeitliteratur.

( Fortsetzung). Karte).

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II. Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei in Leipzig  .

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