Angeklagten auch dem Gericht gegenüber zu schüßen wagen, einfach nicht bestellen, sondern sich willfährige Kreaturen, welche ihn frei schalten und walten lassen, aussuchen. Selbständige Vertheidiger werden aber sehr oft die Wahl des Angeklagten ablehnen, weil der Angeklagte ein Habenichts ist und die Vertheidiger begreiflicherweise nicht umsonst oft tagelang in Hauptverhandlungen sißen wollen, dies oft auch nicht können.
Die Regelung der Kostenfrage der Vertheidigung ist also offenbar ein Krebsschaden der Strafprozeßordnung und kann nicht tief genug beklagt werden.
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Der Strafprozeß kann in vier Stadien eingetheilt werden. So unterscheidet man das Ermittelungsverfahren, auch das Stadium der gerichtspolizeilichen Vorerörterungen, genannt die Voruntersuchung, das Hauptverfahren und die Strafvollstreckung: Die deutsche Strafprozeßordnung faßt das Stadium der gerichtspolizeilichen Vorerörterungen und die Voruntersuchungen unter dem Ausdruck Vorverfahren zusammen.
Die gerichtspolizeilichen Vorerörterungen werden geleitet vom Staatsanwalt. Er bildet den Mittelpunkt derselben. Seine Hilfs beamten sind die Polizei- und Sicherheitsbeamten. Er handelt selbständig, und nur gewisse Handlungen, z. B. eidliche Vernehmungen, darf er nicht vornehmen, sondern muß dazu den Richter requiriren. Der zu requirirende Richter ist in diesem Stadium stets der Amtsrichter. Dabei hat die Strafprozeßordnung den wichtigen Grundsatz aufgenommen, daß die von der Staatsanwaltschaft oder einer Polizeibehörde aufgenommenen Protokolle in der Hauptverhandlung keinerlei Beweiskraft haben und ins besondere nie zur Verlesung gelangen dürfen. Eine Verhaftung des Beschuldigten kann im Ermittelungsverfahren der Staatsanwalt, bez. die Polizei und Sicherheitsbeamten, aus eigner Machtvollkommenheit nicht verfügen; eine Verhaftung ist in der Regel nur zulässig auf Grund eines vom Amtsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft erlassenen Haftbefehls. Eines solchen
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bedarf es jedoch nicht, wenn jemand auf frischer That betroffen wird und der Flucht verdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht festgestellt werden kann, endlich, wenn thatsächlich die Voraus segungen eines Haftbefehls gegeben sind und Gefahr im Verzuge ist. Doch ist der solchergestalt Festgenommene unverzüglich dem Amtsrichter des Bezirks, in welchem die Festnahme stattfand, vorzuführen. Dieser hat den Festgenommenen spätestens am Tage nach der Vorführung zu vernehmen und zu prüfen, ob die Festnahme gesetzlich gerechtfertigt werden kann. Ist letzteres der Fall, so hat derselbe einen Haftbefehl zu erlassen, auf Grund dessen der Beschuldigte allein in Haft behalten werden kann. Dieser Haftbefehl ist wieder aufzuheben, wenn der Staatsanwalt es beantragt oder wenn nicht binnen einer Woche nach Vollstreckung des Haftbefehls die öffentliche Klage erhoben und die Fortdauer der Haft von dem zuständigen Gericht angeordnet ist und letzteres zur Kenntniß des Amtsrichters gelangt ist. Eine Verlängerung dieser einwöchigen Frist um weitere acht Tage und, wo es sich um ein Verbrechen oder Vergehen handelt, eine nochmalige Verlängerung um vierzehn Tage ist zulässig. Das Ziel dieser gerichtspolizeilichen Vorerörterungen ist, dem Staatsanwalt die Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob ein begründeter Verdacht einer strafbaren That vorliegt oder nicht. Gewinnt die Staatsanwaltschaft diese Ueberzeugung nicht, so verfügt er aus eigner Machtvollkommenheit die Einstellung des Verfahrens. Davon, daß dies geschehen sei, muß er den Be schuldigten in Kenntniß seßen, wenn dieser vom Richter als Beschuldigter vernommen oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war. Sollte gegebenen Falls der in seinen berechtigten Interessen durch die That Geschädigte sich durch diesen Einstellungsschluß beschwert fühlen, so steht ihm zunächst der Beschwerdeweg gegen den Staatsanwalt an den Vorgesetzten offen. Bleibt dieser ohne Erfolg, so fann er auf gerichtliche Entscheidung provociren( siehe oben das über die subsidiäre Privatklage Gesagte).
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Der Geheimmittelschwindel.
Von Emanuel 8. ( Fortsetzung.)
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Rheumatismus und Gicht sind Plagen der begüterten Mensch| getragen werden, so daß das Glasröhrchen auf der Wirbelsäule heit, denen die Wissenschaft noch ziemlich machtlos gegenüber steht; sie liefern also einen günstigen Boden für unternehmende Geister. Die Natur beider Leiden ist noch in Dunkel gehüllt, bei Gicht ist nachgewiesen, daß ein Ausscheidungsprodukt unseres Organismus, die Harnsäure, sich in großer Menge in den kranken Gliedmaßen anhäuft. Eine Heilung ist nur durch eine angemessene Diät, auch durch Brunnenkuren zu erzielen. Spezifische Heilmittel sind noch nicht bekannt; eine alkoholische Lösung aus den Samen und Knollen der Herbstzeitlose, Colchicum autumnale, bereitet, wurde lange Zeit für günstig wirkend gehalten, hat jetzt aber ihren Ruf verloren. Gegen den akuten Gelent rheumatismus wird in neuester Zeit der innere Gebrauch von Salicylsäure als ein fast untrügliches Mittel von den Aerzten vielfach verordnet, gegen chronischen Muskelrheumatismus sind Senfteige, spanische Fliegenpflaster, Einreibung die Haut reizender Mittel, wie Kampferspiritus, flüchtiges Liniment( Salmiakgeist mit Provenceröl), auch Einreibungen mit Quecksilber- und Jodkaliumsalbe angewendet worden; bei Muskelrheumatismus scheint die Anwendung von Elektricität günstige Erfolge zu erzielen. Im allgemeinen kann man jedoch sagen, daß diese Krankheiten weniger durch äußere Mittel als hauptsächlich durch Beseitigung der muthmaßlichen inneren Störungen des Körpers zu heben sind und daß nur ein Arzt die hierzu erforderlichen Verhaltungsmaßregeln angeben kann. Der Geheimmittelschwindel, welcher von unwissenden Spekulanten getrieben wird, hat die erwähnten, auch in der medizinischen Praxis nach Maßgabe des Falls angewendeten Mittel unter volltönenden Namen in mannigfachen Variationen auf den Markt gebracht. In welcher Weise die von der Wissenschaft geförderten Resultate benutzt werden, charakterisirt sich am besten durch die weitverbreiteten Rheumatismusketten von J. T. Goldberger in Berlin . Diese aus Zink und Kupfer verfertigten Ketten, deren Schluß durch ein mit Zink- und Kupferspähnen gefülltes Glasröhrchen gebildet wird, sollen um den Hals auf bloßem Leibe
oder der Herzgrube oder auch auf dem schmerzhaften Theile zu liegen kommt. Ihre Heilkraft sollte angegebenermaßen durch elektrische Einwirkung auf den Körper verursacht werden; Heidenreich hat nun gefunden, daß diese Ketten für sich gar keinen elektrischen Strom entwickeln, und glaubt demnach, daß ihre ganze Wirksamkeit nur auf einen Kizel der Haut und auf Einbildung beruhe. Ihr Preis ist 1 Mt. 60 Pf. bis 4 Mt. 52 Pf. Ueber Goldberger erzählt man sich folgendes: Es stellte ihn jemand zur Rede, wie er solches Zeug verkaufen könne, das doch gar nichts helfe. Was," antwortete er ,,, nichts helfen? Mir haben sie geholfen," und flopfte sich schmunzelnd auf die Taschen. Von den kursirenden Geheimmitteln sind anzuführen: Universalmittel gegen Rheumatismus von Dir. D. Besser in Berlin , nach Schädler ein grobes Pulver aus Bern stein , Weihrauch, Lavendelblumen, Chamillen und Wachholderbeeren. Universalmittel von 2. Janke in Berlin besteht nach demselben aus Rüböl , Petroleum, Terpentinöl und Wachholderöl. Die Flasche kostet 3 Mt., Materialwerth 30 Pf. Rheu matismus - Extrakt von Jos. Böhlen in Baireuth enthält Chloroform, Terpentinöl, Petroleumäther, Kampfer, Senföl und ist mit Anilin roth gefärbt. Rheumatismus - Pommade von J. Brause in Berlin besteht aus Seife, Kampfer, Spiritus, Salmiakgeist, Thymianöl. Fast ebenso zusammengesezt ist Anodin von Ernst Müller in Berlin . Die Rheumatismussalbe von Hungerford in Berlin wird aus Kampfer, Karbolsäure und Wachssalbe bereitet. Die Antirheumatischen Tropfen von Roll in Amsterdam enthalten einen aus der sehr giftigen Pflanze Eisenhut( Aconitum Napellus) bereiteten spirituösen Extrakt, welcher früher bei akutem Gelenkrheumatismus verordnet wurde, ferner Queckenextraft. und Opium. Durch seine arge Reklame bekannt ist der Balsam Bilfinger, eine braunrothe Flüssigkeit, die nach Schädler aus schwarzer Seife, Kampferspiritus, Salmiakgeist und Paprikatinktur( spanischem Pfeffer) besteht. Ihr Preis ist 2 Mt. 25 Pf., Materialwerth