Forschungsfahrten im nördlichen Polargebiet. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. M. Traufil.

( Fortsetzung.)

Welchen Erfolg birgt die Erforschung des nordsibirischen Meeres für praktische Handelszwecke?

Der bedeutendste und nächste Erfolg der Nordenskiöld  'schen Erfor­schung liegt in der Eröffnung des Seeweges zwischen Europa   und den großen sibirischen Stromgebieten. Ob, Jenisei und Lena umspannen mit ihren Quellen und Nebenflüssen ein ungeheures und zum Theil sehr fruchtbares Land von 146,000 Quadratmeilen. Ist auch die Pro­duktionsfähigkeit noch eine geringe, so hat dies bisher wesentlich an dem Mangel an Absatz gelegen, und sie wird sich heben, wenn ein solcher sich findet. Nordenskiölds erster Ausflug nach dem Ob und Jenisei   im Jahre 1875 hat schon eine sich alljährlich erneuernde Han­delsverbindung nach diesen Strömen hervorgerufen. Jetzt steht der Ausdehnung bis zur Lena und Kolyma   nichts mehr im Wege. Weiter nach Osten hin wird der Pelzhandel einen ganz neuen Aufschwung ge­winnen. Jetzt wandern Biber- und andere Felle aus dem fernsten Osten Sibiriens  , sowie aus dem Norden Amerikas   bei den wilden Ein­geborenen von einer Hand zur andern. Das erhöht ihren Preis, bis fie nach Jrbit auf russischen Boden gelangen, recht erheblich. Der Seeverkehr muß das Verhältniß vollständig umgestalten. Die Tschutt schen fristen ihr Dasein zum großen Theile noch mit Stein- und Knochengeräthschaften. Nordenstjöld führt eine lange Reihe von ganz billigen Tauschartikeln an, welche für sie großen Werth besißen. Er hält die Reise für vollständig sicher, sobald man die nördlichen Meere nur erst besser kennt. Nach dem Ob waren im eben verflossenen Jahre vier englische, zwei deutsche  , zwei schwedische Schiffe unterwegs. Frei­lich fanden sie alle drei Zugänge zum karischen Meere vom Eis ver­sperrt und kehrten um, bis auf den deutschen   Dampfer ,, Luise", welcher, auf günstigere Eisverhältnisse wartend, blieb. Es gelang ihm in der Folge auch, die Reise fortzuseßen, da das karische Meer selbst eisfrei war. Sind erst einmal die projektirten circumpolaren Beobachtungs­stationen errichtet, so können solche ungünstige Perioden vermieden werden, die in Strömungs- oder Windverhältnissen ihre Ursache haben.

Auch die Wissenschaft, zumal die ethnographische Forschung, wird reiche Ausbeute in den neueröffneten Gebieten finden. Vom höchsten Interesse sind die Mittheilungen über das merkwürdige, in seinen Eigen­arten an die Mongolen, an grönländische Eskimos und auch an die Indianer Nordamerikas   erinnernde Volk der Tschuktschen. Nicht minder verdienen die Nachrichten über das von ihnen einstmals verjagte Volk der Onkilon, dessen alte Wohnpläße und Opferstätten, die Aufmerkſam­keit der Forscher. Jenes Volk soll, nach den Ueberlieferungen der Ein­geborenen, vor seinen Drängern weiter nach Norden auf ferne Inseln im Eismeer gewichen sein. Öntilon ist gleichbedeutend mit Ongkadlon ( Küstenbewohner). Dieser Name bezeichnet in der Tschuktschensprache insbesondere einen Eskimostamm an der Anadyrbucht. Die Verdräng­ten sind also wohl Eskimos gewesen, die heute möglicherweise noch das bisher nie von einem weißen Manne betretene Wrangelland bevölkern. Dann treten nach dieser Richtung hin die neusibirischen Inseln mit ihren reichen Lagern von Knochen, Thierüberresten aller Art und Mammuthzähnen in den Vordergrund. Nordenskiöld mahnt zu schleu­nigem Beginn der Arbeit in jenen Gebieten. ,, Um die Landvertheilung am Schlusse der Tertiärzeit zu erforschen, um näher die Rückgratsthiere kennen zu lernen, welche gleichzeitig mit dem ersten Auftreten der Menschen existirten," sagt er, um neue Beiträge zur Lösung der schwierigen Frage zu erhalten, wie es möglich für die Stammväter der Elephanten Indiens   gewesen ist, in den Eisregionen Sibiriens   zu leben, um die Gewächse und Seethiere des vormaligen geologischen Zeitraums in diesen Gegenden kennen zu lernen, um bessere Kenntnisse von der Beschaffenheit des sibirischen Eismeeres zu erhalten eine Frage, welche jetzt von wirklicher Bedeutung für die Schifffahrt zu werden scheint sollte eine genaue wissenschaftliche Untersuchung aller der­jenigen Inseln, welche nördlich des sibirischen Eismeeres liegen, sobald wie möglich vorgenommen werden." Resultatreicher, weiterer Forschung hat Nordenskiöld   ein großes Feld eröffnet. Er selbst, der erst im 48. Lebensjahre steht, wird gewiß seine Aufgabe noch nicht als voll­endet betrachten, und die Welt noch Manches von neuen, kühnen und glücklichen Expeditionen erfahren, die er unternehmen wird. Dafür spricht sein von Serdze Kamenoi den 31. Mai 1879 datirtes und an Sibiriakoff gerichtetes Schreiben: Nach meiner Rückkehr gedenke ich mich ein Jahr mit der Herausgabe einer Schilderung der Reise der ,, Vega" zu beschäftigen, alsdann aber wünsche ich die Untersuchungen des Eismeeres an der Küste von Sibirien   mit dem Lenaflusse als Aus­gangspunkt und den neusibirischen Inseln als Operationsbasis fortseßen zu können. Eine solche Untersuchung ist von außerordentlicher Bedeu­tung für das Ziel, welches ich mir gesteckt habe, nämlich den nördlichen Theil Asiens   vollständig der Schifffahrt zugänglich zu machen." Glück auf! Seitdem man die Erforschung unbekannter Himmelsstriche als hochwichtigen Faktor für die Entwickelung der Menschheit ansieht und die Kenntniß fremder Länder mindestens gleichwerthig neben die Kennt niß blutiger Kriege und trügerischer Friedensschlüsse stellt, ist auch die Sphäre der gedankenlosen Routine pedantischer Gelehrten erweitert worden. Auf diesem neugewonnenen Gebiete der Wissenschaft hat der Forscher Nordenskjöld   seinen Gönnern Oskar Dickson  , Alerei Sibiriakoff

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und Gordon Bennet ein unvergängliches Denkmal errichtet. Möge ihre Opferwilligkeit dazu beitragen, daß die Erdkunde, bisher ein Borrecht der Gelehrten, bald zum Gemeingut aller Gebildeten würde.

Die innerhalb des Polarkreises gelegenen Festlandsmassen Amerikas  und die von ihnen abgetrennten Inseln, deren Küstengebiet der arktische Ozean bespült, gehören zur westlichen Polarregion.

Unter den Inseln nimmt Grönland   den ersten Rang ein. Seine Westküste ist bis 82030, seine Ostküste bis 77° 30' erforscht worden; ob es sich noch weiter nach Norden erstreckt und als ununterbrochene Ländermasse oder in Gestalt eines Archipels mit dem nördlich von Si­ birien   gelegenen Wrangelland zusammenhängt, muß durch künftige Forschungen festgestellt werden; doch sprechen viele Thatsachen zu Gun­sten dieser von Petermann befürworteten Hypothese. Sollte sie sich als wahr herausstellen, dann zerfiele der arktische Ozean in zwei getrennte Becken, ein östliches, welches die Nordküsten von Europa   und Asien  , sowie die der Inseln Spizbergen, Nowaja Semlja  , Neusibirien und Wrangelland bespült und durch die breite Meeresöffnung zwischen Norwegen   und Grönland   mit dem atlantischen Ozean, und ein west­liches Becken an der Nordküste Amerikas  , welches durch die Berings­straße mit dem stillen Ozean, durch den Smithsund, Lancastersund und andere Meerengen mit der Baffinsbai in Verbindung steht. Unsere Abhandlung soll die Erforschung des westlichen Beckens schildern. Seine Beschiffung ist viel schwieriger, wie die des von dem warmen Golfstrom berührten östlichen Beckens, weil nur ein wenig mächtiger Strom war­men Wassers durch die Beringsstraße in dasselbe dringt. Auch für die Abfuhr des während des Winters gebildeten Eises sind die Verhältnisse in dem abgeschlossenen westlichen Becken ungünstiger, wie in dem öſt­lichen.

Der Leser möge uns nach Jsland, einer Insel des atlantischen Ozeans, unter dem 65. Grad nördlicher Breite gelegen, geleiten. Die Bewohner dieses Urheims germanischer Kultur sind von normännischer Abstammung und wurden im Jahr 795 zum Christenthum bekehrt. Daß schon vor Columbus im elften und zwölften Jahrhundert nor­männische Seefahrer von Jsland aus Grönland   und die Küsten von Nordamerika   besucht hatten, das ist eine historisch ausgemachte That­sache, durch das Zeugniß älterer und jüngerer Schriftsteller und durch authentische isländische Urkunden, die man in Kopenhagen   gefunden, bestätigt.

Im Frühling des Jahres 986 fuhr Erich Rauda, d. h. Erich der Rothe, von Island   nach Grönland   und gründete daselbst an einem Ort, der nach ihm Eriksfjord hieß, eine Niederlassung. Unter seinen Begleitern war Heriulf Bardson, der sich an einem Ort niederließ, welcher noch heute den Namen Heriulfsneß trägt. Sein Sohn Biarn, von einem Sturme verschlagen, sah die Küste von Nordamerika  ( viel­leicht Labrador), doch ohne zu landen.

Erichs Sohn Leif besiedelte mit 25 Männern, worunter ein Deutscher, Namens Tyrker, im Jahre 1000 Helluland( Labrador) und besuchte Markland( Neufundland  ) und Vinland( vielleicht Massachussets oder Rhode Island  ).

Adam von Bremen  ( 1076) berichtet uns von den Fahrten eines Bruders von Leif, Thorfine, und seines Weibes Gudrid nach Vin­ land  .

Nach einem auf der Insel Kingiftorsoak, nördlich von Upernivit, 1824 gefundenen Runenstein waren die Normänner Sighvatson, Thortharson und Oddson schon 1135 bis zu 72055 nördlicher Breite vorgedrungen.

Andere mögen ein Jahrhundert später noch drei Breitengrade weiter nach Norden, bis in die Nähe des Lancastersundes, gelangt sein. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts hört die Kunde von Grönland  auf; die normännischen Kolonien geriethen in Verfall und Vergessenheit, die Ansiedler erlagen Seuchen und den Angriffen der Estimo. Im Lauf der Zeit, als die Völker Europas   für große Aufgaben reif wur­den, hatte man das von den Normannen Entdeckte nochmals zu ent decken. Der Fischreichthum der Neufundlandbänke führte die Fischer aller ſeefahrenden Nationen dahin.

Den Weg wies ihnen im Jahre 1462 der Portugiese Gaspar Cortoreale.

Ob Christoph Columbus   auf seiner stürmischen Fahrt von Bristol  nach Jsland( 1477) westwärts verschlagen wurde und die Küste von Grönland   oder Nordamerika   zu Gesicht bekam, ist nicht bekannt. Jeden falls hörte er im Hafen von Reikiavik  ( Island  ) von der neuen Welt im Westen, die er, wie alle seine Zeitgenossen, für einen Theil von Asien   hielt. Deshalb auch der heute noch gebräuchliche Name West­ indien   für die Inseln des karaibischen Meeres. Der Erfolg des Co­ lumbus   spornte die Thätigkeit der Seefahrer zur höchsten Kraftanstren gung und belebte die Hoffnung der Gelehrten, endlich die so sehnlich gewünschte nordwestliche Durchfahrt, als den kürzesten Weg nach Asien  , zu finden.

Der Venetianer John Cabot   und sein Sohn Sebastian segelten im Jahre 1497 unter englischer Flagge von Bristol   nach Westen und entdeckten die Küste von Labrador.

1500 segelte Gaspar Cortoreale zum zweitenmale nach Neu­ fundland   und erreichte Grönlands   südlichste Spize, Kap Farewell  . Im nächsten Jahr wiederholte er die Fahrt mit zwei Schiffen, verfolgte die amerikanische   Küste nach Norden und raubte in Labrador 57 Eingebo rene, welche ihm als Sklaven gutdünkten. Auf der Rückfahrt hatte die