stände und Verhältnisse Bezug haben, bei höherer Kultur und tieferer Durchbildung solche von mehr innerlicher, zarterer Be­deutung.

Wie man an den Eigennamen allerlei Beobachtungen über Moden und Zeitgeschmack eines und desselben Volkes zu ver­schiedenen Zeiten anstellen kann, so ist dasselbe auch möglich in Bezug auf Verschiedenheit der unterschiedlichen Völfer, auf ihre sogenannten Nationalcharaktere. Wenn zum Beispiel der Römer seine Söhne einfach numerirt und sie Sekundus, Tertius, Quintus, Sextus  , Septimius, Octavianus u. s. w. nennt, so scheint uns das dem nüchternen praktischen Charakter des Volkes ganz ent­sprechend, welches berufen war, das größte geschichtliche Welt­reich zu begründen und der Welt sein Recht zu geben und dieses in ein System zu bringen, das für sehr lange Zeit, ja bis in unsre Zeit mustergiltig war. Für den ursprünglich ächt bäuer­lichen Charakter dieses Volkes von Weltbeherrschern legen ferner beredtes Zeugniß ab Namen wie Agricola gleich der Landmann, Fabius gleich der Bohnenmann( von faba, die Bohne), Lentulus gleich der Linsenmann, und unzählige andere. Wieviel schwung­

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voller und poetischer sind dagegen die Eigennamen der Griechen, bei denen Schönheit und Anmuth alle Lebensformen durchdrangen! Da finden wir Namen wie Diogenes   gleich der Götterentstamnite, Aristobulos gleich der beste Rathgeber, Musäus   gleich Liebling der Musen; Apollodorus   gleich Geschenk des Apollo, und andere, bei denen schöne, sinnige Bedeutung mit dem süßen Wohllaut der sprachlichen Form einen holden Wettstreit einzugehen scheinen. Wenn wir nun im Folgenden eine kleine Heerschau über die deutschen Personennamen anstellen wollen, so machen wir von vornherein darauf aufmerksam, daß wir naturgemäß auf die Vollständigkeit etwa eines Namenlexikons verzichten müssen, und daß wir nur gesonnen sind, bedeutsamste und interessanteste Namen­gebungen, ihre Anlässe und ihren Sinn zu berücksichtigen, nament­lich aber dabei die allgemein kulturhistorischen Gesichtspunkte fest­halten werden. Viele unserer Leser werden etwa auch ihrem eigenen Namen begegnen, und es dürfte manchem eine kleine interessante Ueberraschung zutheil werden, wenn ihm der Begriffs­inhalt seines Namens vorgeführt wird. Dazu fügen wir denn gleich, daß in der Namengebung gute und böse Kobolde ihr

Prisren.( Seite 251.)

Wesen treiben, wir selbst aber von uns abweisen müssen die etwaige Annahme, daß wir uns mit den Trägern bestimmter Namen einen Scherz machen wollten. Neckische oder tadelnde Bedeutung des Namens kann heute wohl kaum, oder doch nur höchst selten einem wehe thun: er hat sich die Bezeichnung ja nicht durch eigene thörichte oder üble Thaten zugezogen, sondern von seinen Vorfahren ererbt, von deren Tadelswürdigkeit ja auch noch der Beweis anstünde. Ebenso werden wir im Leben ja auch nicht ohne weiteres und ohne Beweis einen Menschen nach seinem guten oder schönen Namen schäßen, den er von be­rühmten und verdienten Vorfahren ererbt hat, wenn derselbe da­bei nicht des goethe  'schen Wortes eingedenk ist:

"

Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen."

So wollen wir versuchen, nach gewissen Gesichtspunkten eine Reihe von Gruppen deutscher   Personennamen vorzuführen, und es soll uns freuen, wenn wir manchem unserer Leser, die ja alle auf einen guten Namen halten, seinen eignen Namen, den er bisher als eine Gabe des Zufalls oder einer willkürlichen, viel­leicht wunderlichen Laune betrachtete, plötzlich lebendig erscheinen

lassen können, sodaß ihm nun dieses Erbstück, das ihm seine Ahnen überlieferten, Bedeutung und höheren Werth erhält*). Die ältesten deutschen Eigennamen finden sich bei den griechi­schen und römischen Schriftstellern, und sie sind zugleich auch die ältesten erhaltenen Proben deutscher Sprache überhaupt. Sodann kommen solche zu tausenden vor in den alten Urkunden und Geschichtsbüchern unseres Volkes in der althochdeutschen Zeit, die man etwa bis zum elften Jahrhundert rechnet. Ganz dem kriege­rischen, rauhen Geiste des ersten Zeitalters deutscher   Geschichte gemäß, spricht aus den Namen dieser Zeit ein starker, wilder Schlagtodtgeist: Kriegslärm und Kampfgetöse, Krachen von Schil­den und Zusammenklirren von Waffen, liebliche Musik den Ohren unserer Altvordern, tönt aus den Namen der Urväter heraus.

Da nun viele Worte, welche Bestandtheile der alten Namen bilden, unserer Sprache verloren gegangen und außer Umlauf

Wissen und die uns zugängigen Hülfsmittel reichen, unseren Lesern *) Auf Wunsch sind wir auch erbötig, soweit unser Können un ihre oder sie interessirende Namen zu deuten. Anfragen der Art bitten wir an die Redaktion der ,, N. W.  " zu richten. Auch Mittheilung be­sonders merkwürdiger Namen wäre dem Verf. willkommen. M. W.