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,, Gift," sagte sie leise; ,, ich selbst."- Dann streckte sie sich und als ich mich über sie beugte, vernahm ich noch den Namen Paul. Ich barg mein Haupt in den Händen. Thränen rollten über meine Wangen; ich schluchzte wie ein Kind. Der Jammer, den ich seit den lezten Wochen gesehen, das Unglück, das sich in diesen letzten Tagen vor mir aufgethürmt, es war zuviel für meinen franken Körper. Ich weiß nicht, wie ich in mein Zimmer gekommen; ob man mich hinaufgeführt, ob ich selbst hinauf­gegangen. Ich vermuthe das Lettere. Meine Wirthin kam heute früh besorgt ins Zimmer; als sie mich schreiben sah, lächelte sie und meinte: ,, Machen Sie nur nicht auch Geschichten!" Ich werde Paul Gerstmann aufsuchen. Man sagte mir, es sei ihr Bräutigam gewesen. Morgen verlasse ich Berlin ! O, Menschheit verhülle dein Antlig und weine! Nie hat das Licht auf traurigere Thaten geblickt! Die Unschuld wird von dem Unglück zermalmt, und kalt blickt die Selbstsucht auf ihre Beute! Nur Heldenmuth kann widerstehen; die Sanftmuth ist machtlos! armes, liebes, sanftmüthiges Kind, arme Louise! Ihre Mutter war zu mir gekommen. Sie sind meinem Kinde immer ein guter Freund gewesen," sagte sie, ,, lesen Sie diesen Brief." Ich nahm das Blatt, Frau Bürger weinte; mir tanzten die Buchstaben vor den Augen. Ich dachte an Louisens Worte auf dem Heimgange von Bertha Trostens Begräbniß: Ich bin die Erste, die ihr folgt." Endlich kam mir die klare Vernunft, ich begriff, was ich las. Es waren zwei Briefe; der eine von Gerstmann an Louise, der andere von der Todten an die Mutter. Der erstere lautete:

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Mein Fräulein!

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Bisher sah ich in Ihnen ein Mädchen, daß alle Eigenschaften besaß, die man von einem guten Weibe verlangen darf. Ich war findisch genug, dem Schein zu folgen und mich durch ein betrügerisches Benehmen bestechen zu lassen. Zufällig war ich in Weinbergs Laden, als einige Herren mit galanten Manieren das Haus betraten. Ich frug, sowie man eben leichthin fragt, wen diese Herren wohl besuchen könnten, worauf mir die Ant wort wurde: Jedenfalls das schöne Stickmädchen oben, wen sonst? O, ich hätte eher geglaubt, daß die Sterne vom Himmel fallen würden, als daß Louise eine Dirne sein könnte, sie, mit den treuen Augen, deren süß angenehme Stimme mir stets so wohlthuend und beruhigend in die Seele drang. Träumend verließ ich den Laden, eine kräftige Hand riß mich vor den Pferden eines Wagens fort, die eben im Begriffe waren, über mich wegzusetzen. Wäre ich zermalmt! Ich bin um den letzten Rest meines Glaubens an die Menschheit betrogen. Und Sie, die ich gerettet und geborgen glaubte vor der allge­meinen Seuche, sind nun auch so schlecht und so tief gesunken. Ich habe Sie zu sehr geliebt, um Sie sofort vergessen zu können. Sie waren mein erster Gedanke, Sie waren mein letzter. Nun sind auch sie angesteckt von dem Gifte! Tief erschüttert stehe ich hier, einsam, nicht fluchend, nein! mit grenzenlosem Mitleid in meinem zerrissenen Herzen, denn Sie können nur ein bedauerns­

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werthes Opfer, eine Verführte sein. Nicht mit Ihnen habe ich zu rechten, mit dem schweren Geschick, aus dessen Giftschooß die gefährlichen Keime herausschießen! Wie es mich nun um mein einziges Gut, um meine Hoffnungen, um meine Pläne und um mein Lebensglück gebracht hat, so suche ich von jetzt ab mit ihm den Krieg. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen. Leben Sie wohl!"

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Ich legte den Brief zitternd aus den Händen!- Der Brief­schreiber war ein guter Mensch, aber ein Thor- ein bis zum Verbrechen leichtgläubiger Thor. Dieser Weinberg hatte sein Werk vollbracht! Ich entfaltete Louisens Brief. Er lautete:

,, Liebe Mutter!

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Ich kann nicht länger leben. Paul hält mich für ein schlechtes Frauenzimmer. Ich schwöre es Dir im Tode zu, daß ich es nicht gewesen. Um seine Frau nicht zu verdächtigen, hat Weinberg mich geopfert. Mit einem armen, unbedeutenden Mädchen kann man ja sein Spiel treiben. Es ist niemand da, der sich als Beschützer aufwirft. Ich suchte Paul in seiner Wohnung. Er war abgereist. Theure Mutter! Seitdem der nicht mehr an meine Ehre glaubt, dem ich ganz vertraute, bin ich jetzt unnüz in der Welt, ich habe nichts mehr auf ihr zu hoffen. Zürne mir nicht, wenn ich mich selbst von der Last meines Lebens befreie. Ich liebe Dich unendlich und über den Tod hinaus währt meine Liebe. Ich verzeihe meinen Feinden. Mein Tod wird meine Sünden tilgen. Wie Goethe's Klärchen greife ich zu Gift. Mein Egmont ist mir verloren- und ich bin nichts, gleich Klärchen, ohne ihn.--Legt mich neben die kleine Bertha! Ich ahnte es, daß ich ihr zuerst folgen werde. Ich muß sterben! Ich muß!"

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Louisens Leichnam stand blumengeschmückt im Hausgange. Theilnahmsvolle Seelen drängten sich herbei, des lieben Kindes leblosen Körper noch einmal zu sehen. Sie lag friedlich lächelnd da, ihre weißen starren Finger hielten ein paar weiße Rosen. Es war mein letzter Gruß. Es war mein leßter Gruß. Die schwarzen Männer mit den Armensündermienen kamen, den Sarg zu schließen. Mit ihnen kamen noch mehrere Menschen hinzu. Ich sah Weinberg und seine Frau. Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Ich wollte sprechen, das Wort erstarb auf den Lippen. Schließt den Sarg!" jagte jemand hinter mir. Nein, schließt ihn noch nicht!" rief ich heiser, schließt ihn noch nicht!" Und indem ich die Hände nach Weinberg streckte, sagte ich: ,, Da steht, der dich in den Tod getrieben!" Man riß mich fort; ich hörte schnell den Deckel des Sarges fallen, die Menge sich entfernen dann war es still um mich, ganz still! Ich tappte mit den Händen( denn meine Augen sahen fast nichts mehr) nach meinem Bimmer, padte in Fieberhast meine Sachen, schrieb meiner Wirthin einen Abschiedsgruß und verließ eilends das Haus. Eben ertönt das Zeichen der Abfahrt. Ich habe Berlin hinter mir. In diesem Augenblick wird wohl schon Louise in der Erde liegen! ( Fortsetzung folgt.)

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Forschungsfahrten im nördlichen Polargebiet. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. M. Traufil. ( Fortsetzung.)

Das Jahr 1513 eröffnet ein neues Kapitel im Buche der Erd­funde. In diesem Jahre gelangte Balboa in die Südsee. Kaum ver­breitete sich die Kunde von Balboas Entdeckung der Südsee, welche den bisher für Theile Asiens gehaltenen Festlandsmassen Amerikas die Be­deutung eines neuen Kontinentes gab, so entsprang im Kopf Sebastian Cabots der Plan, den kürzesten Weg nach Asien im Norden des neuen Erdtheils zu suchen. Er erhielt vier Schiffe unter dem Befehl von Sir Thomas Pert und segelte 1517 von England ab. Es gelang ihm nicht, eine nordwestliche Durchfahrt zu finden. Uebrigens theilt er sein Mißgeschick mit all seinen Nachfolgern. Auch Frankreich sandte 1524 unter Giovanni Verazzano vier Schiffe vergeblich zu diesem Zweck aus. Mit nicht besserem Erfolg versuchten es die Spanier unter Este

ban Gomez.

Die Erfolglosigkeit aller bisherigen Versuche, eine nordwestliche Durchfahrt nach Indien zu finden, lenkte die Aufmerksamkeit des uner­müdlichen Cabot nach der entgegengesezten Richtung. Er entwarf einen Plan für Aufsuchung der nordöstlichen Durchfahrt. Wie dieser Plan burch Unterſtüßung reicher Kaufleute im Jahre 1553 von Sir Hugh Willoughby und Richard Chancelor ausgeführt wurde, haben wir im ersten Artikel erzählt.

Dreiundzwanzig Jahre später segelte Forbisher von England mit drei Schiffen nach Nordwesten, fand aber nur die nach ihm be­nannte Bai und neue Landstrecken im Norden der Hudsonstraße ( Meta incognita). Gleich Cortoreale entführte auch Forbisher einen Eskimo sammt Kajak( Boot) nach England, brachte ihn aber ein Jahr später in sein Vaterland zurück. Auch seine dritte Expedition( 1578) war verfehlt.

1583 iegelten Davis und Briton von England ab, sichteten Grönland , das sie Desolationland nannten, und ankerten an der West­küste im Gilbertsund, dem heutigen Godthaab. Die Davisstraße kreu­zend, erreichten sie neues Land unter 66° 40' nördlicher Breite, verfolg­ten es südwärts, befuhren den Cumberlandsund, mußten aber wegen Nebel und Sturm nach England zurückkehren. Während seiner zweiten und dritten Expedition erreichte Davis 72° 12' nördlicher Breite.

Auch die Dänen sandten( 1605-1607) drei Expeditionen zur Auf suchung der verschollenen Kolonien in Westgrönland aus, die zwar nicht sonderlich die räumliche Kenntniß von diesem Land zu erweitern vermochten, dafür aber zur Kenntniß der eingeborenen Küstenbewohner wesentlich bei­trugen. Es war das erstemal, daß die geographische und ethnogra phische Wissenschaft an der Erforschung des nördlichen Polarkreises theilnahm. Von den Fabeln, wie sie der damalige Zeitgeschmack liebte, wollen wir absehen und nur das Natürliche, was später die Forscher Mackenzie, Scoresby, Roß und Parry bestätigten, schildern. Dänische Polarfahrer erzählen in ergöglicherweise von dem großen Nationalfest

der Grönländer, welches sie bei Wiederkehr der Sonne nach der langen