№o 22.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk. Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
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Dem Schicksal abgerungen.
Novelle von Rudolph von B...... ( Fortseßung.)
Die umfangreiche redaktionelle Thätigkeit, welche der Chefredakteur Schweder in den letzten Wochen entwickelt, hatte seine Arbeitskraft feineswegs ausschließlich in Anspruch genommen. Im Gegentheil! Am intensivsten hatte er nach einer andern, freilich weniger offen zutage tretenden Richtung hin gewirkt. Fast allabendlich war er mit dem Oberbaurath Schneemann zusammengekommen, für dessen unausrottbare Kneiplust er der beste Zechfumpan war. So sehr es aber dem Oberbaurath hauptsächlich um lustige Bechbrüderschaft zu thun war, so sehr handelte es sich für Herrn Schweder fast ausschließlich um wichtigere Dinge. Es galt, dem Oberbaurath eine bestimmte Meinung einzutrichtern, so langsam, so allmählich, daß er selbst nicht merkte, wie er dazu kam, und daß sie mit seinem dicken Schädel felsenfest verwüchse. Und Schweder sollte seine Abend- und Nachtſtunden nicht umsonst dem verehrungswürdigen Freunde geopfert haben. Schon am Ende der ersten Woche vertraute Schneemann seinem Freunde Alster an, daß der Weiterbau der Bahnlinie von P. nach Oberbergstadt bald in Angriff genommen werden müsse. Acht Tage darauf war er der Ueberzeugung geworden, daß dieser Bau ganz unverzüglich, womöglich noch im Herbste desselben Jahres, zu beginnen habe. Und nachdem wieder einige Tage verflossen und der Berwaltungsrath der Bahn seine regelmäßige Monatssitzung hielt, hatte der Vorsitzende desselben, der Herr Justizrath Dr. Wichtel das Vergnügen, ein Exposé des ersten technischen Direktors, der eben niemand anders war, als der Herr Oberbaurath Schneemann, vorzulegen, worin dieser den zwingenden Beweis, wie der Herr Justizrath versicherte, der sich als Jurist auf zwingende Beweise verstand, lieferte, daß die Eisenbahngesellschaft durch eine ganze Armee von Gründen sich genöthigt fühlen müsse, auf der Stelle ben von Sachverständigen schon lange geplanten Ausbau der Linie nach Oberbergstadt mit allen Kräften zu betreiben.
Es hatte einen harten Kampf gekostet im Verwaltungsrathe, ehe derselbe in der statutarisch nothwendigen Zweidrittelmajorität sich für die Annahme der schneemann'schen Vorschläge, welche der Justizrath Wichtel eiligst zum Antrage erhoben hatte, zu erwärmen vermochte. Aber die Beredsamkeit des Antragstellers, der, um ungenirter seine Meinung äußern zu können, für diese Sigung die Leitung der Verhandlungen an den zweiten Borsigenden ab gegeben hatte, gestützt auf die ellenlangen Kostenzusammenstellungen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen des Erfolgs, trug schließlich den Sieg davon, zumal Alster endlich auch sein gewichtiges Wort in die Wagschale warf und in durchschlagender Rede entwickelte,
V. 28. Februar 1880
1880.
daß es sich ja eigentlich nur darum handle, die Linie nach Oberbergstadt durch Anschluß an die Bahnen des Nachbarlandes ertragsfähig zu machen und der Kohlen- und Getreideproduktion dieses Landes die bequemste Verbindung mit ergiebigen Absatzgebieten zu eröffnen. Er selbst sei von vornherein für den Bau der Seitenlinie bis Oberbergstadt nicht gewesen, führte Alster aus, da er gewußt und auch darauf hingewiesen habe, daß sich an diesen Bau weitere Bahnanlagen nothwendig würden anschließen müssen. Der betreffende Beschluß sei aber im Bewußtsein der damals für den Eisenbahnbau ungewöhnlich günstigen Konjunkturen gefaßt worden, und nun frage es sich nur, ob man sich für lange Zeit mit dem gewaltigen Defizit, welches die Linie Oberbergstadt mache, zufrieden zu geben Lust habe, oder ob man, nachdem man einmal A gesagt, auch B zu sagen den Muth habe, und die unerläßlichen Bedingungen für die Rentabilität der Bahn schaffen wolle.
Die Zweidrittelmajorität des Verwaltungsraths sagte denn auch, wie gewünscht, B und acceptirte, als das Eis der ängstlichen Zurückhaltung einmal gebrochen war, leichten Herzens das ganze Alphabet der schneemann- wichtel'schen Forderungen. Die Vorarbeiten, welche schon vor Jahr und Tag einmal aufgenommen waren, dann aber bei der ungünstigen Aenderung der Zeitverhältnisse unvollendet liegen geblieben waren, sollten sofort von neuem aufgenommen werden. Es wurde eine Präliminarkommission niedergesetzt, bestehend aus dem Justizrath Wichtel, als Vorsitzenden des Verwaltungsrathes, dem Oberbaurath Schneemann, als erstem technischen Direktor, und dem Oberamtmann Licht, der weder Mitglied der Direktion noch des Verwaltungsrathes, sondern einfacher Aktionär war und als Sachverständiger für Güterkäufe galt. Diese Kommission sollte unverzüglich sich überzeugen, welche Ankäufe an Grund und Boden zur Ausführung des beschlossenen Baues nöthig sein würden, und die Unterhandlungen mit den gegenwärtigen Besizern der zu erwerbenden Länderstrecken einleiten. Sobald es die Witterung im nächsten Frühjahr nur irgend erlauben würde, sei dann, so wurde weiter beschlossen, der Bau selbst, und zwar an einer ganzen Reihe von Pläßen zugleich, aufzunehmen, damit zum Beginn des zweitfolgenden Sommers die Eröffnung der neuen Linie in deren ganzer Ausdehnung stattfinden könne.
Als die ,, alten Freunde" Wichtel und Alster mit einander den Sigungssaal verließen, strahlte der erstere förmlich vor Vergnügen und drückte beim Abschied vor der Thür des Direktionsgebäudes