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so einfachen Gemeinplazes, den die Alten sorglos als selbstverständliches Denkgesez hinnahmen. Man fürchtet für die Grundwahrheiten der Religion", wenn die Menschenseele für nichts Besseres als die thierische erklärt werden soll. Nun! darauf antwortet schon der frömmste aller christlich germanischen Dichter, Klopstock, in seiner Frühlingsfeier.
Dem Grade, nicht der Art nach, verschieden sind Menschengeist und Thiergehirn. Durch die einzige, graduellgesteigerte, Höherentwicklung des, in seiner Urbeschaffenheit gleichartigen, Denkens hat der Mensch sich über die anderen dumpfen Geschlechter der kinderreichen Erde zu erheben gewußt. Seine Intelligenz fing aber sehr bescheiden an: Beweis die Njam- Njam! Im Buzen des eigenen Körpers erst offenbart sich der zum Selbstbewußtsein aufsteigende Mensch zuvörderst unserm forschenden Blick als ein vom anderen Säuger- und Vogelgeschlecht verschiedenes warmblütiges Wirbelthier; als eine höhere Spezies der Gattung homo, zu der ein unbefangener Denker wie Linné auch die Affen bekanntlich rechnete; zugleich mithin als denkende Abart der Gattung, als homo sapiens.
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Ja, die Sucht, den eigenen Körper mit fremdartigen Sachen zu pußen, ist, soweit wir bis jetzt wissen und sehen, dem Menschen allein gegeben. Dies Thun nämlich jetzt voraus eine Unterscheidungsfähigkeit des eigenen Jch, wie sie nur der hände begabte Zweibein allein sich erworben hat. Unendlich langsam war natürlich der Fortschritt bis zum wirklichen Selbstbewußtsein von jenem ersten Anfange an, da der Mensch seinen Körper als Gegenstand für seine Seelenthätigkeit gleichsam objektivirte, d. h. wie etwas Fremdes förmlich von sich selbst ablöste. Gemacht aber war der Anfang durch den ersten Schritt des Behän gens mit anderen Dingen, des Tätowirens, des Durchbohrens der Lippen, Ohren, Nase. Dies Alles nun setzt wieder voraus die Uebung im Gebrauche von Werkzeugen, mit denen gleichsam spielend, sich zuerst der Mensch den eigenen Körper zu stechen und zu schaben gelernt haben mag.
Der Gebrauch von Werkzeugen konnte bisher bei keinem der menschenähnlichen Affen, geschweige denn bei irgend einem anderen Thiere, nachgewiesen werden. Nun beruht aber alles künstliche Wirken der greifenden Menschenhand zu allerletzt auf diesem allein endgültig das Menschengeschöpf von anderen Wesen unter scheidenden Merkmal seiner Gattung, dem Gebrauch von Werkzeugen. Wo immer daher z. B. mit Steinen zerklopfte Mark- oder Röhr knochen gefunden werden, vermuthen wir die Existenz des Menschen; wo Feuersteine in Messerform auftreten, kann man gleich falls schwer an ein Naturspiel glauben; wo aber gar gebrannte oder auch nur an der Sonne gehärtete Thonscherben liegen: ist die Anwesenheit von Menschen unbezweifelbar.
So sind wir denn beim ersten Punkt unserer Betrachtungen angelangt.
Gebrannte Scherben sind kein Naturgewächs, wie noch vor 400 Jahren allgemein von den ausgegrabenen Urnen geglaubt ward. Versteinerte Knochen sind ebensowenig als die nach Voltaire von Pilgern auf hohe Berge verschleppten Muscheln Zu
fälligkeiten. Selbst Leonardo da Vinci war schon klüger und gründete die Paläontologie oder Urzeitkunde durch seine verständige Erklärung der Petrefakten.
Wenn aber legere nur die Geschichte der Erde und ihrer pflanzlichen wie thierischen Urbewohner enthüllen, da noch kein versteinerter Mensch in unbestreitbar sicherer Urschicht gefunden ist, so offenbart sich der eigentliche Urmensch uns in den steinernen oder versteinerten Resten seiner Existenzmittel.
Von diesen urgeschichtlichen Funden also wollen wir reden. Es sind: 1. die Topfscherben oder auch ganze Gefäße; 2. die Steinwerkzeuge; 3. die Mahlzeitspuren und Reste.
Tief unter dem Nilschlamm Aegyptens finden sich Scherben in einer Schicht desselben, die auf ein Alter des Menschengeschlechts von Jahrzehntausenden hinweist. Längst ist man diesen und ähnlichen Weisthümern gegenüber zu der festen Annahme gelangt, daß die Jahre der biblischen Urzeitrechnung nicht mit unserer jeßigen Zählweise zu vergleichen sind. Die Geschichte der Menschheit ist nach Graf Adolf Schacks poetischer Fassung„ Jahrhunderttausende" alt.
Hierauf leiten auch ganz andere Betrachtungen hin.
Dies Jahrhundert hat Wissenschaften geboren, von denen die früheren Jahrhunderte nichts geahnt: vor allem die Vergleichung der Sprachen und Mythen. Aus ihr aber hat sich endlich nun die jüngste Wissenschaft der Völkerpsychologie entwickelt, welche die gesammte Geisteswelt des Menschthums zu umschreiben sucht. Wie jung auch immer das ganze Gebiet dieser gelehrten Sammelwissenschaften sein mag, die geradezu unzählbare Masse Mitarbeiter hat ihnen zu einem ungeheuren Aufschwung verholfen. Die ruhigste Betrachtung aller bis jetzt gesammelten Ergebnisse zwingt dazu, von unserem Geschlecht eine Dauer vorauszuseßen, die weit alle bisherigen Schäßungen überragt und sich den Riesenzahlen altindischer Zeitrechnung nähert.
Beispielsweise lehrt die Sprachgeschichte, daß Abänderungen, wie Jakob Grimm sie entdeckt und„ Lautverschiebung" genannt hat, allein schon immer nach vielen Jahrhunderten erst sich vollziehen. Nimmt man nun an, daß die s. g. indogermanischen Sprachen ihre Veränderungen, die weit durchgreifender sind, in verhältnißmäßiger Zeit vollbracht haben, so führt auch diese Annahme wieder auf Jahrzehntausende, wie der Fund ägyptischer Thonscherben und die Steinwerkzeuge s. g. vorsintfluthiger Schichten oder die dänischen Kjökkermöddings, d. h. Küchengemüll, zusammengebackene Reste von Mahlzeiten der Urmenschen mit Spuren von Thieren, die jetzt in Europa ausgestorben sind. Beispielsweise findet man Austernschalen auf dem Festlande der Ostseeprovinzen, obwohl die allzu salzarme Ostsee keine Austern mehr nährt. Dieselben entstammen demnach muthmaßlich einer Zeit, da die Ost see noch mit dem Weißen Meer zusammenhing. Nun aber hebt sich die ganze finnisch- skandinavische Platte so langsam, daß auch diese Ausrechnung wieder auf ein Alter der menschlichen Ostseeanwohner führt, welches weit in die Jahrtausende rückwärts reicht. ( Schluß folgt.)
Irrfahrten.
Von Ludwig Rosenberg. ( Fortsetzung.)
Wie ein Schiffer nach einer gefahrvollen Fahrt mitten im weiten Ozean ein kleines, grünes Eiland begrüßt, an dessen Gestaden er sein Fahrzeug ankern läßt, um sich endlich einmal einen Tag der Ruhe zu gönnen, mit demselben frohen Gefühle schlug ich gestern hier meine Wohnung auf. Von meinem Fenster aus begrüße ich den ruhig dahinströmenden Fluß mit seinen waldigen Ufern. Ein liebliches Bild, das sich da vor meine Augen stellt, und ein Hauch der Freiheit zieht durch meine kranke Brust. Mir ist um vieles wohler, als in der letzten Woche. Ich hoffe, nicht mehr so schrecklich zu träumen, wie in der vorigen Nacht. Alles Fürchterliche, was sich eine Fieberphantasie nur zusammenreimen kann, hatte sich in diesen kurzen Traum hinein gedrängt. Ich will die Erinnerung durch Beschäftigung endlich zu tödten suchen.
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Mein lieber Vater! Du fragst mich, aus Besorgniß mißtrauend, ob es denn wirklich die Thätigkeit meines Berufs allein
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gewesen sei, die meinen sonst so gesunden Körper untergraben? Ich habe darauf nur ein einfaches Ja. Nichts mehr, nichts weniger. Soll ich noch einmal die jüngste Vergangenheit schildern?- Laß mich schweigen, mein lieber Vater, laß mich ver gessen und laß mich der Ruhe genießen! Ich habe gelernt, viel gelernt; mein Auge ist geschärft, mein Urtheil ist tiefer geworden. Ob ich nach Berlin zu meinem Berufe zurückkehre? Wenn mich nicht die Noth zurückdrängt, dann: Nein! Ich habe einen Plan, den ich aber noch nicht entdecken will. Man muß nicht zu früh aus der Schule plaudern; das ist Art der Schwäger, nicht der Männer.- kunft! Solange ich selbst das Steuer nicht verloren, ist keine Fürchte nicht für meine ZuNoth! Bruder Gustav ist schon seit vier Wochen in der Lehre! Es freut mich, zu hören, daß er mit Fleiß bei der Arbeit ist. Ein jeder Arbeiter, der seines Geschäftes Herr ist, verdient die
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