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durchschaut haben würde. Er hatte daher Brell entlassen mit der gemessenen Weisung, sein Bündel unverweilt zu schnüren, und war mit gewinnendster Freundlichkeit auf die beiden Herren zugeeilt, hatte ihnen warm die Hände geschüttelt und seiner lebhaften Freude, sie hier zu treffen, Ausdruck gegeben.
Herr Alster erwiderte die Begrüßung nicht minder freundlich, Herr Wichtel junior dagegen schien weniger entzückt. Er quetschte sich den Klemmer auf die respektable Nase und schnarrte sein geistreiches Ei, sieh da, Timotheus!" in dem Tone, in welchem etwa ein abgerichteter Papagei die Leute zu begrüßen pflegt, welche er nicht leiden mag.
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Schweder erkundigte sich in liebenswürdiger Höflichkeit, was die Herren so unerwartet in dieses Stück deutsches Sibirien geführt habe. Wichtel hätte ihn gern mit furzer Antwort abgefertigt:
„ Wir wollen einmal sehen, inwieweit der Nothstand als gehoben gelten kann. Wir werden Ihnen Bericht erstatten, bester Schweder. Wenn Sie wollen, können Sie heut gleich einen kleinen Einleitungsartikel von mir mitnehmen."
Schweder lächelte freundlich. Ich nehme Sie beim Wort, lieber Wichtel. Sie geben mir heut noch den Artikel."
,, Sie wollen wirklich heut schon wieder zurück?" fragte Alster mit einer Betonung, die deutlich erkennen ließ, daß der Fragende eine verneinende Antwort wünschte.
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Schweder that ihm den Gefallen:„ Das nicht. Ich habe einige Tage Zeit und bin auch mit der Absicht hierher gekommen, die Lage der Dinge hier oben einmal mit eigenen Augen zu betrachten. Ich schließe mich daher den Herren an wenn Sie gestatten!?" Mit dieser Höflichkeitsfrage wandte er sich blos an Alster . Der junge Wichtel biß sich ärgerlich auf die Lippen. Schweder kam ihm heut über die Maßen ungelegen, aber er war nicht loszuwerden, denn schon hatte Alster mit offen zutage tretendem Behagen Schweders Anerbieten begrüßt und acceptirt.
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" Sehen Sie," sagte Alster,„ das trifft sich vorzüglich. Ich hatte mir, wie mir der Herr Doktor bezeugen wird, auf der Herfahrt schon Vorwürfe gemacht, daß ich Sie von unserer winter lichen Bergfahrt nicht benachrichtigt. Aber sie kam mir selbst ganz urplöglich über den Hals. Ein Einfall meiner Tochter- Sie glauben nicht, bester Freund, was ein junges Mädchen für Launen hat! ein mich selbst aufs höchste und keineswegs aufs angenehmste überraschender Einfall meiner Tochter also war es, der mich hierher gesprengt hat. Denken Sie Sich um alles in der Welt, das Mädchen will das Weihnachtsfest hier auf, weiß der Himmel welchem, Dorfe feiern. Sie gedenkt, die Jugend eines ganzen Dorfes um sich zu versammeln und mit dieser den Weihnachtsabend zu begehen. Ja, ich glaube sogar, wenn ich ihr Schreiben recht verstanden, das mich in eine heillose Aufregung versetzt hat, da es alle meine Vorbereitungen und Pläne kreuzte, sie will in einem halben Duhend von Dörfern Weihnachten feiern; am Weihnachtsabend in zweien, und an den beiden Feiertagen auch noch in einer ganzen Reihe. Daß ich ihr das erlaube, hat sie sich als ihr einziges Weihnachtsgeschenk erbeten, was wollte ich da machen, ich konnte nicht nein sagen und mußte, wenn ich nicht zum erstenmal seit siebzehn Jahren am Weihnachts abend von dem Mädchen, das mir ans Herz gewachsen ist, wie sonst nichts in der Welt, getrennt sein wollte, wohl oder übel mich auch zu der Probe entschließen, wie sich in den Dorfschenken und mit ganzen Heerden von Bauernkindern das schönste Fest im Jahre feiern läßt."
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Der junge Wichtel konnte seinen Unmuth kaum verhehlen. Es war zum Verzweifeln, daß dieser Schweder überall dabei sein, überall seine Hand im Spiele haben mußte. Der junge Wichtel hatte ihn nur darum wieder einigermaßen leiden können, weil er ihn eine zeitlang für gänzlich harmlos und indifferent allen offentlichen Fragen gegenüber hielt; seit er es aber mit einem Schlage, wie man es nachgerade bei ihm gewohnt geworden war, zu öffentlicher Bedeutung gebracht und einen Einfluß erlangt hatte, gegen den der des hoffnungsvollen Wichtel jun. nicht im entferntesten auffommen fennte, seit er auch eine maßgebende Stellung gewonnen zu den industriellen Unternehmungen und finanziellen Spekulationen der Bundesgenossenschaft WichtelAlster, hatte der Doktor Wichtel wieder jede Spur von Sympathie für ihn verloren. Am liebsten wäre ihm längst ein offener Bruch und Krieg mit Schweder gewesen, und er hatte es gar nicht gebilligt, daß sein Vater ein Scheinbündniß mit dem gefährlichen Menschen einging, um ihn, wie schon so nanchen andern, für die Privatinteressen des Hauses Wichtel ich Kräften auszunügen.
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Schweder wußte genau, was er von den Wichtels zu halten und zu erwarten hatte. Daher wäre ihm das Mißvergnügen des Doktor juris über seine Theilnahme an der„ winterlichen Bergfahrt" nicht entgangen, wenn dieser es auch sorgfältiger zu verbergen gesucht hätte. Selbstverständlich bestärkte es ihn in seinem Vorhaben.
So verbrachten die Drei gemeinschaftlich den Abend des Tages, an dem sie sich getroffen hatten, in Oberbergstadt, um sich Tags darauf in die Gegend zu begeben, wo sich augenblicklich Alsters Tochter mit ihren Begleitern, dem alten Herrn Klose und der Frau Doktor Winter, aufhielt.
Es war eine beschwerliche Fahrt, die sie höher in das Gebirge hinaufführte. Vor einigen Tagen war plöblich Thauwetter hereingebrochen, welches rasch den Schnee in den Thälern geschmolzen hatte, aber nur um, wieder ohne allen Uebergang in starren Frost umschlagend, mit gefährlichem Glatteis die Wege und Stege zu überziehen. Pferde und Menschen vermochten auf dem stellenweise spiegelglatten, glitzernden Boden, gleichviel ob es bergauf oder bergab ging, nur schrittweis vorwärtszuschreiten und konnten sich oft auch durch die größte Vorsicht gegen plötz lichen harten Sturz nicht schützen.
Die ersten zwei Stunden, nachdem die drei Herren und der August des Herrn Alster, den er sich zur Bedienung mitgenommen hatte, von Oberbergstadt in bequemem, mit zwei stattlichen Pferden bespannten Schlitten abgefahren waren, ging es mäßig bergauf, so daß die Reisenden über nichts weiter zu flagen fanden, als über das verzweifelt langsame Vorwärtskommen. Selbst Herr Alster, der kein Freund von Fußpartien war, am wenigsten im Gebirge und in ziemlich kalten Wintertagen, versicherte, er wolle zehnmal lieber zu Fuße gehen, als sich so in einem Schlit ten mit Schneckenlangsamkeit von Chausseebaum zu Chausseebaum schleppen zu lassen.
Der Kutscher, der das gehört hatte und sich, weil er der größte Fuhrwerksbefizer von Oberbergstadt in eigner Person war, schon ein Wort mit dreinzureden erlaubte, meinte, zum Laufen tönne schon Rath werden, denn wenn sie blos noch eine Anhöhe hinauf wären, ginge es eine halbe Stunde bergab und da würd' die Geschichte wohl nicht so glatt abgehen. Und die Geschichte ging. nicht so glatt ab. Kaum war die Anhöhe erreicht, so mußten die Herren den Schlitten verlassen, sie mochten Lust dazu haben oder nicht. Ja, es kam noch schlimmer; auf dem hin und wieder ziemlich steil abfallenden Fahrwege drängte der Schlitten so stark auf die vorsichtig Fuß vor Fuß sezenden Pferde ein, daß schließlich der Fuhrwerksbesitzer den Herren trocken erklärte, sie mußten mit angreifen und den Schlitten halten helfen, daß die Pferde nicht schen würden, sonst mache er keinen Schritt mehr von der Stelle.
Das war ein saures Stück Arbeit und eine verzweifelte Bergpartie, die da begann. Zu der einen halben Stunde Wegs bergab, die freilich, wie der Volkswitz sagt, der Fuchs gemessen haben mochte, brauchten die Reisenden zwei Stunden, und trotz der Kälte standen den Herren Alster und Wichtel junior die hellen Schweißtropfen auf der Stirn, als sie endlich auf der Thalsohle angelangt waren. Nun konnten sie freilich wieder in den Schlitten einsteigen, aber rascher kamen sie deswegen auch nicht vorwärts, und als sie endlich im nächsten Dorfe waren, das von dem, wohin sie gewollt, noch gute zwei Meilen beschwerlichsten Weges entfernt war, begnügte sich der Kutscher nicht damit, vor dem sehr dürftig aussehenden Dorfwirthshause zu halten, sondern er versicherte auch, an die Weiterfahrt sei am heutigen Tage garnicht zu denken. Die Pferde seien durch das beständige Ausgleiten so strapazirt, daß sie mehrere Stunden Ruhe haben müßten, und im Abenddunkel bei dem Glatteise zu fahren, sei unmöglich zu riskiren. Die Herren würden in dem Wirthshause gut zu essen und zu trinken finden und auch ein vernünftiges Nachtquartier. Morgen früh, wenn er seinen Pferden habe von frischem die Hufeisen schärfen lassen, könne es dann weiter gehen.
Dagegen halfen weder ruhige Vorstellungen noch Bitten oder Entrüstung. Selbst Schweders Versuch, für jeden beliebigen Preis andere Pferde aufzutreiben, mißglückte. Die Leute, denen bei dieser schlechten Zeit für Geld alles feil war, hatten keine Pferde zu vergeben, und der einzige große Bauergutsbesitzer im Dorse, der ein halbes Dutzend Gäule hätte hergeben können, war viel zu dickköpfig und auch viel zu sehr auf das Wohl seines Stallviehs bedacht, als daß er sich hätte bewegen lassen, zu helfen.
Nach dem Geschmacke des Kutschers war das Wirthshaus vorzüglich, nach dem der verwöhnten, geldübermüthigen Städter