-

270

Betrachtungen über die Gesundheitspflege des Volkes.

III. Diät.

Von Dr. Eduard Reich.

Im engeren Sinne dieses Wortes bedeutet Diät den Gebrauch der Nahrungs- und Genußmittel zur Erhaltung von Leben und Gesundheit. Je mehr der Natur gemäß ein Mensch Gebrauch macht von den Mitteln der Diät, desto mehr wird er, unter übri gens guten anderweitigen Verhältnissen, die Erhaltung seiner Gesundheit sichern und sein Leben verlängern. Es ist hier nicht allein die Rede von der Gesundheit des Körpers, sondern in dem nämlichen Maße von jener des Geistes und der Sitten; denn diese hängt mit der leiblichen innig und unzertrennbar zu­sammen.

Das erste Erforderniß alles wahren diätetischen Lebens ist der Besitz gesunder Instinkte. Jeder Mensch, der solcher sich er freut, bedarf der eingehenden, nach Egoismus riechenden Studien nicht, deren Ganzes darauf hinausläuft, alles nur Mögliche zu ersinnen und zu ergründen, was die Verdauung erleichtert, die Absonderungen der Drüsen regelt, Blähungen treibt u. s. w. Jeder mann, dessen Sinnen und Trachten auf das allerwertheste Selbst gerichtet ist, und zwar in einer mehr intensiven Art, der alle Vorgänge des Leibes in jedem Augenblick beeinflussen möchte, um nur ja keinen Fehler zu veranlassen, der die zu genießenden Speisen abwägt und zu der bestimmten Sefunde aufnimmt, ist ungenial, fleinlich, und wird immer mehr und mehr Egoist, Hypochondrist, geht durch solches Treiben semer gesunden In stinkte allmählich verlustig.

Bevölkerungen mit normalen Instinkten haben gesundes Blut und fräftige Nerven, richten ihre Nahrungsweise ganz nach Klima und Beschäftigungsart ein, leben im großen und ganzen durch aus regelmäßig, ohne die Bissen abzuwägen und zu zählen. Hier begegnet uns wenig fleinliche Selbstsucht, nur ausnahms weise Hypochondrie; aber wir finden eine ganz leidliche Welt­anschauung, ziemlich beträchtliche Heiterfeit des Gemüthes, flaren Kopf und ansehnliche Energie.

Das Gegentheil von alledem sind jene Bevölkerungen, deren Instinkte durch unpassende Lebensweise und die Schattenseiten emer frankhaften Civilisation verdorben werden. Diese Zwei­Diese Zwei händer bemühen sich unablassig, das in der Außenwelt zu suchen, was jeder normale Mensch in sich selbst findet, und die Mittel für die beste Ernährung der Nerven- und der Muskelmasse zu entdecken, Biere für erschlaffte Eingeweide zu brauen und Geister für gequälte Geister und gemarterte Nerven zu destilliren!

Man unterscheidet die Nahrungsmittel in flüssige und feste. In der Reihe der Getränke nehmen Wasser und Milch die ober: sten Pläge ein; sodann kommen Kaffee, Thee und Chokolade, und zuleßt jene Flüssigkeiten, welche Alkohol enthalten. In der Reihe der festen Nahrungsmittel nehmen Obst, Mehl, Hülsen­und Feldfrüchte die obersten Bläge ein; sodann kommen Eier und Käse, und zuletzt jere Stoffe, welche durch Tödtung von Thieren gewonnen werden.

Außer den eigentlichen Nahrungsmitteln bedient sich der Mensch noch mancherlei Rauch, Kau- und Schnupfmittel, um fich, wie angegeben wird, entsprechend anzuregen, in Wahrheit aber: sich zu schädigen.

Alle feste und flüssige Nahrung ist dazu bestimmt, dem Orga nismus Ersatz zu leisten für die durch die Lebensvorgänge ver­brauchten Materien und Wärmemengen, gleichwie den zum Auf­bau der Gebilde nöthigen Stoff zu liefern; außerdem dienen ge­wisse Genuß und Nahrungsmittel theilweise dazu, das Nerven und Gefäßsystem anzuregen, dadurch die Verdauung und Assi­milirung der aufgenommenen Stoffe zu befördern und die Aus scheidungen zu begünstigen.

Aus diesen Thatsachen ergibt sich die ganze Diätetik von selbst. Man nehme die entsprechenden Mengen wohl beschaffener Nahrungs- und Genußmittel auf und thue dies zu richtiger Zeit. Wer aber belehrt uns über die richtige Quantität und Qualität, über die naturgemäße Essenszeit? Ein gesunder Instinkt, ge­regelt durch die Erfahrung.

Jeder natürliche Mensch weiß ganz genau, daß weder zuviel noch zuwenig, noch auch Unordnung im Essen und Trinken der Gesundheit zuträglich sei; er weiß auch, daß bezüglich der Ge­nußmittel es sehr darauf ankomme, Vorsicht und Bescheidenheit walten zu lassen.

Allzuviel und allzuwenig von Speise wirfen nachtheilig auf die Verdauungsorgane und auf das Nervensystem. Wer Ueber­ladung des Magens sich zur Regel macht, dehnt den Magen aus, wird zum Vielfraß und legt den Grund einestheils zu Krankheiten des Nahrungsschlauches, anderntheils zu allerlei Affet­tionen, die aus Fülle von Blut und Saften entspringen, lenkt die Nervenkraft in übergroßem Maße dem organischen Haushalte zu und entzieht dieselbe dem höheren Seelenleben. Daher kommt es denn, daß die Mehrzahl der Gefräßigen dumm ist.

Menschen, welche Jahr aus Jahr ein zu wenig essen, werden nervös, auch wenn sie nicht übermäßig geistig arbeiten; denn die Menge von Nahrungskraft, die bei normaler Ernährung innerhalb der Verdauungsorgane sich entladt, beziehungsweise verbraucht wird, kommt anderswo zur Entladung und hilft den verhängnißvollen Zustand der Nervositat begrunden. Dieser leg­tere entsteht auch durch jenen Mangel an Blut oder an richtig beschaffenem Blut, welcher die Folge des Zuwenig und Zu­schlechtessens ist und dem Wiedererjazz der durch den Stoffwechsel verloren gegangenen Materien so große Schwierigkeiten bereitet. In Dertlichkeiten, woselbst regelmäßig zu gut und zu viel gegessen und getrunken wird( sehen wir von den gebrannten Wassern hier ab und denken wir nur an Wein und schweres Bier), begegnet uns der blutige Schlagfluß gleichwie die Gicht sehr häufig. Dort, woselbst zu wenig oder zu schlecht gespeist wird, begegnet uns das Heer der Krankheiten sehr häufig, die aus Blutmangel und Nervosität entspringen.

Gute Nahrung ist die, welche den Organismus entsprechend für seine Verluste entschädigt und ihm die nöthige Menge von Material liefert zum Aufbau seiner Gebilde. Dem gewöhnlichen Vorurtheil gemäß müßte Fleisch das beste Nahrungsmittel sein. Nun versuche es jemand, ausschließlich von Fleisch zu leben, und er wird eines elenden Todes sterben. Eher tann man ausschließlich von dem Obste selbst der nördlichen Gegenden sein Dasein erhalten. Wie hängt dies zusammen?

Im Fleische sind wohl viele Eiweißkörper und Salze, aber nur ganz unbeträchtliche Mengen von zucker und stärkemehl­ähnlichen Stoffen enthalten. Dieser letzteren bedarf der Orga­nismus ganz ebenso nöthig, wie der ersteren. Obst enthält, wie alle pflanzlichen Nahrungsmittel, eiweißartige Stoffe. Von größeren Obstmengen kann also der Mensch bestehen, von Fleisch für sich allein nicht.

Erbsen, Bohnen und Linsen enthalten die sämmtlichen Nähr­stoffe in einer sehr glücklichen Kombination: eiweißartige Körper, Fett, zucker und stärkemehlähnliche Materien und Salze; sie er­uähren demnach richtiger und vollkommener, als Fleisch. bunden mit Obst oder Wurzeln machen sie Nahrungsmittel aus, die auch das beste Fleisch tief in Schatten stellen.

Läuft man bei Fleischgenuß Gefahr, von Trichinen, Band­würmern, Finnen 2c. befallen zu werden, so ist von solcher Gefahr bei Vegetabilien nicht die Rede, und einigermaßen entsprechende Reinheit und Sorgfalt der Zubereitung vermag den letzten Rest gefährlicher oder doch bedenklicher Beimengungen zu entfernen, in der Voraussetzung, daß die betreffenden Pflanzentheile nicht ganz verdorben oder giftig sind.

Die Getreidearten gehören zu den den Bedürfnissen des Menschen am meisten entsprechenden Nahrungsstoffen; sie liefern das tägliche Brot, um welches millionen von Wesen in jedem Augenblicke zum Himmel flehen. Der Erfahrung gemäß ist das Brot aus Roggen ebenso nahrhaft, wie das aus Weizen; das mit der Kleie verbackene Brot ist im allgemeinen besser, als das aus gesiebtem Mehl bereitete, weil die klere vortheilhafte Wirkung auf das Darmrohr ausübt, ganz abgesehen davon, daß sie auch noch nährende Stoffe enthält. Für einen Menschen hat der Genuß frisch gebackenen Brotes keine Gefahr, für den andern wird selbiger zur frankmachenden Potenz. Das jüße Brot ver­dient meistenstheils den Vorzug vor dem saueren.

Großen Einfluß auf den Organismus haben die Salze, die in den verschiedenen Nahrungsmitteln enthalten sind. In den Getreidearten kommen überwiegend phosphorsaure Verbindungen vor, demnach Mineralstoffe, welche die im Stoffwechsel verbrauchten und durch den Harn ausgeschiedenen anorganischen Materien treff­lich wieder erseßen.