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Herr, der zwar sehr stattlich war und sehr klug sein mochte, wie der Papa immer behauptete, ihr aber doch in seinem Fühlen und Denken, in seinem Leben und Sichgeben zu fern stand, um ihr Interesse zu erwecken. Das Einzige, was ihr für einen Augenblick einen Hauch von Sympathie zu dem Manne einge flößt hatte, war der brillante Aufruf gewesen, welcher die große Wohlthätigkeitsbewegung in P. offiziell eröffnet hatte. Heute, als er, zuerst aus dem Schlitten herausspringend, ihr entgegen trat, hatte sie sich daran erinnert, aber sein kühles, überlegtes, wenn nicht hochmüthiges Benehmen hatte zur Vermehrung jener schwachen sympathischen Regung nicht beigetragen. Sie hätte sich daher um ihn nicht weiter gekümmert, wenn er jetzt nicht zu ihr getreten wäre und sie gefragt hätte, ob sie und Herr Klose nicht vielleicht Hülfe gebrauchen könnten. Sie schwankte, ob sie nicht kurz ablehnend antworten sollte, ein Zug in seinem Gesicht sprach von einem ihr noch unverständlichen, aber in dem ersten Eindruck doch bedenklichen Etwas in seinem Charakter und diese Sicherheit in seinem Auftreten, so kraftvoll und unerschütterlich, mochte zwar den meisten anderen Leuten ungeheuer imponiren, sie aber fühlte sich keineswegs angezogen. Aber sie hatte auch tein Recht, unhöflich gegen einen Begleiter ihres Vaters zu sein, der ihr ja nie im Leben etwas gethan hatte, sie wählte daher einen Mittelweg, indem sie auf die oberen Zweige des hohen Baumes wies, und sagte:
,, ja, Hülfe können wir schon brauchen. Da oben haben noch sehr viele Platz und unser lieber Herr Klose wird, wenn er sich zu Tode arbeiten wollte und dürfte, denn das lasse ich natürlich nicht zu, wohl gar nicht fertig werden können."
Herr Klose protestirte.
Wanda aber beharrte auf ihrer Meinung.„ Wenn wir noch eine Leiter hätten," fügte sie hinzu, und sich jemand bereit finden ließ, an unserer ja so leichten und herzerfreuenden Samariterarbeit theilzunehmen, dann wäre wenigstens Aussicht vorhanden, daß wir die armen Kleinen heut Nachmittag nicht stundenlang warten zu lassen brauchten."
,, Da wird wohl leicht geholfen werden können," erwiderte Schweder ruhig und schritt nach der Thür.
,, Wohin, Freund Schweder?" rief der Doktor Wichtel, der sich inzwischen eifrigst mit seiner Gönnerin, der Frau Doftor Winter, unterhalten, seinen Freund Schweder aber, seit er zu Wanda getreten war, nicht einen Moment aus dem Auge gelassen hatte. Leiter holen," replizirte Schweder lakonisch.
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" Leiter holen, ha, ha, famoser Kerl, dieser Schweder. Fräulein Wanda erlauben, daß, während mein Freund Schweder die Leiter holt und dann darauf herumklettert, ich ihr hier parterre meine Dienste widme?"
Wanda sah, daß sie vom Regen in die Traufe gekommen. Aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel.
Können Sie Nüsse vergolden, Herr Doktor?"
Der Doktor Wichtel hatte von dieser Kunstfertigkeit keine Ahnung. Er erbot sich dagegen, die Zweige des Christbaums zu halten, damit Wanda bequemer Nüsse, Aepfel, Pfefferkuchen 2c. daran binden könne. Wanda lachte ihn aus.
Die Zweige fann ich mir selbst halten, aber vergoldete Nüsse brauche ich noch, und wenn ich das auch noch selbst machen soll, so werd' ich ganz bestimmt nicht fertig. Ich will Ihnen zeigen, wie's gemacht wird."
Der Doktor Wichtel mochte wollen oder nicht, Wanda nahm Goldpapier, feuchtete es an, drehte und drückte es dann geschickt um eine Nuß und die Vergoldung war geschehen.
„ Es gibt nichts Einfacheres," sagte sie.„ Auch der gelehrteste Jurist lernt so etwas auf der Stelle."
Wichtel junior hatte eben der ersten Nuß glücklich ein fadenscheiniges und vielfach zerrissenes goldnes Mäntelchen umgelegt, eine Arbeit, die ihm mehrfach mißglückt war und über fünf Minuten in Anspruch genommen hatte, als Schweder wieder auf der Schwelle des Saals erschien und hinter ihm der Hausknecht, eine lange Leiter, die er sich bei einem Nachbar hatte leihen müssen, auf der Schulter. Schweder nahm dem Manne die Last, die ihm nicht leicht gefallen zu sein schien, mit einer Hand ab, ohne auf dessen Versicherung, die Leiter sei zu schwer, um sie mit einer Hand zu tragen, Rücksicht zu nehmen. Dann trug er sie, als ob sie leicht wäre, wie eine Feder, zum Christbaum hin.
" Wollen Sie die Güte haben, Fräulein Alster, mir die Stellen zu bezeichnen, wo ich den Baum Ihnen puzen helfen könnte?" fragte er.
" Ich glaube gar, Sie wollen wirklich auf der Leiter herum
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klettern, bester Schweder," sagte Wichtel, lebhaft erstaunt über Schweders Thun. ,, Gewiß, warum nicht!" antwortete dieser.
" Aber, das geht ja doch nicht," rief Wanda lebhaft.„ Das ist ja keine Treppenleiter. Wo wollen Sie denn diese Leiter anlegen, Herr Schweder, an unseren Christbaum geht's nicht, da werfen Sie den ganzen Baum um, und sonst ist's auch nicht möglich."
" Doch, mein Fräulein," replizirte Schweder bestimmt;„ sehr leicht geht es." Er legte die Leiter auf den Fußboden, nahm einen großen, schweren Tisch, stellte ihn in einiger Entfernung von einer der mächtigen die Saaldecken tragenden Säulen auf eine seiner Schmalseiten aufrecht hin, sodaß die Tischbeine der Säule zugekehrt waren, dann stemmte er die Leiter gegen den Fuß der Säule und legte ihren oberen Theil auf die erhobene andere Schmalseite des Tisches fest. Als das geschehen war, stieg er mit derselben Sicherheit, mit welcher er auf Parquetboden zu wandeln gewohnt war, auf das improvisirte Gerüst.
Wanda entfuhr ein Ausruf des Schreckens. Der alte Herr Klose und Alster versicherten, die Sache sehe wirklich gefährlich aus, und der letztere setzte hinzu, es lohne sich doch der Mühe nicht, wegen einer Christbescheerung für Bauernjungen solch' halsbrechende Kunststücke zu machen. Auch die Frau Doktor Winter war herbeigekommen, sie schwur hoch und theuer, sie falle in Ohnmacht, wenn Herr Schweder nicht sofort heruntersteige. Wichtel junior" war der einzige, dem Schweders anscheinende Waghalsigfeit Spaß machte.
,, Aber ich bitte Sie, verehrte Herrschaften, lassen Sie unserm Freunde Schweder doch das unschuldige Vergnügen, zu probiren, wie es ist, wenn man am Weihnachtsabend ein Bein bricht. Oder vielleicht den Hals,- was ist Ihnen lieber, bester Schweder?"
Schweder blieb höchst kaltblütig auf der Leiter und band Pfefferkuchen und vergoldete Nusse an die Zweige des Christbaums. Seinem Freunde Wichtel antwortete er garnicht, die andern beruhigte er. Er sei Turner, an ein Umfallen wäre nicht zu denken und eine Gefahr überhaupt nicht vorhanden.
Man ließ ihn daher unbehelligt auf seiner Leiter. Selbst die Frau Doktor zog vor, nicht in Ohnmacht zu fallen. Das Werk des Christbaumpußens ging nun vortrefflich von statten. Auch der Herr Doktor Wichtel leistete im Nüsse und Aepfelvergolden Befriedigendes. Er strengte sich auch riesig an, um von Schweder nicht in den Schatten gestellt zu werden. Schweder war eben fertig mit seiner Arbeit in den oberen Regionen des Christbaums, als sich die Saalthür öffnete und laut grüßend ein Fremder eintrat. Schweder kannte die Stimme, er wendete sich rasch um auf seiner Leiter und schaute hin nach dem Eintretenden.
" Der Herr Gutsbesitzer Willisch," sagte der alte Herr Klose, ,, ein braver Mann. Er hat uns oft freundlich mit Rath und That unterstützt, einer von den wenigen Herren der Nachbarschaft, die das gethan haben."
Willisch Gruß wurde freundlich erwidert. Nur Schweder grüßte nicht; er schien wenig erbaut über diese Vermehrung der Gesellschaft. Seine Blicke flogen von einem der Anwesenden zu dem andern; zunächst blieben sie auf Wichtel haften. Dieser hatte sich nach dem Ankömmling umgekehrt; jezt sah er ihm mit dem Ausdruck höchster Verwunderung ins Gesicht. Merkwürdige Aehnlichkeit," brummte Wichtel so laut, daß Schweders scharfes Ohr die Worte verstand, in den steif gewichsten Schnauzbart.
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In demselben Momente wurde Schweder noch eines anderen Menschen ansichtig, auf dessen Zügen sich ein noch viel lebhafteres Erstaunen fundgab.
Der August des Herrn Alster war hinter dem Fremden in den Saal getreten; augenblicklich stand dieser so, daß sich die beiden ins Auge schauten. Ein paar Sekunden starrte August den andern mit weitaufgerissenem Munde an. Dann rief er: ' S is nich möglich, meiner Seele, der Cousin Schneider," und wollte mit weitausgebreiteten Armen auf den Rittergutsbesitzer Willisch zustürmen.
Herrn Schweder schien der Moment zu irgendeiner Art von Intervention gekommen. Zum Ueberlegen gab es keine Zeit. Mit einem Blick noch nach unten in den Saal und den leise gemurmelten Worten:" Der einzige, der gestreift werden könnte, ist dieser eitle Narr pah!" gab er seiner Leiter einen gewaltigen Ruck, daß sie seitlich bis zu einem der in die Luft ragenden Tischbeine glitt, der Tisch schwankte einen Augenblick und dann stürzte er mitsammt der Leiter laut aufkrachend auf den Fußboden hin.
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