Aus der Nahrung des Kindes schließe man Fleisch und Fleischzubereitungen aus und gewähre Milch, Grüße, Brot, Obst, Reis, Cacao 2c. Auch Kaffee, Thee , besonders aber berauschende Getränke, verabfolge man unter keiner Bedingung. Erst in der Zeit gegen das Jünglings- und Jungfrauenalter hin wird Kaffee, Thee in schwachem Aufguß manchmal ein gutes Anregungsmittel sein.
Die Periode des Eintritts der Geschlechtsreife erfordert, be sonders bei dem weiblichen Geschlechte, Vorsicht und Sorgfalt.
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Auf der Höhe des Lebens, im Alter der Reife, gelte als Hauptgrundsatz der Diät: Mäßigkeit und Einfachheit, Ordnung und Regelmäßigkeit in der ganzen Leibespflege, besonders im Essen und Trinken. Zu dieser Zeit des Daseins entscheidet die Lebensweise über die Dauer und über die leiblichen Grundlagen des Glückes des Alters. Die höchsten Altersjahre pflegen Die zu erreichen, welche besonders zur Zeit ihrer Blüthe und Vollfraft weise und mäßig lebten, Ausschreitungen sich nicht zu schulden kommen ließen, und anstatt des Alkohols Wasser tranken. Die größte Mehrzahl der Hundertjährigen hat ohne Ausschrei tungen, in Einfachheit und Mäßigkeit, und zumeist bei ausschließ licher oder fast ausschließlicher Pflanzenkost bestanden.
Beobachtet der Greis, nach gesundheitsgemäß verlebten Jah ren der Jugend und der Reife, das gewöhnte und für gut wir kend befundene Regiment weiter, so darf er des besten Wohl befindens bis in die höchsten Jahre des Alters sicher sein. Hat er aber sein Dasein mit Zechen und Schwelgen verbracht, so muß er, weiß geworden, zu einfachem, mäßigem Leben seine Zuflucht nehmen, um mindestens die letzten Tage möglichst rein, ehrbar und frei von Krankheit zu durchleben und nicht als Jämmerling zu sterben.
Man hat Wein die Milch der Greise genannt. Dies ist berechtigt und nicht berechtigt. Der Alte, welcher vermöge naturgemäßen Lebens bei guter Gesundheit ist, bedarf des Weines nicht. Nur für solche Greise, denen es an Lebensenergie fehlt und deren Leib durch Krankheiten und Exzesse aus der Zeit der Jugend und Vollkraft her erschüttert wurde, hat der Wein seine Bedeutung als belebendes Mittel. Die meisten Hundertjährigen nahmen kein geistiges Getränk auf.
Man kann die Menschen nach ihrer Leibes- und Seelen beschaffenheit in stärker und in schwächer ausgeprägte unterscheiden, in kräftigere und minder kräftige, in leidenschaftlichere und ruhigere. Alle diese Kategorieen bedürfen einer verschiedenen Nahrungs- und Lebensweise; denn überall weichen die Einzelheiten des organischen Haushalts, die gegenseitigen Verhältnisse der Eingeweide und der Glieder von einander ab. Je größer diese Verschiedenheiten, desto größer auch die Verschiedenheiten in der Diät; eine That sache, die durch den gesunden Instinkt deutlich zum Ausdruck
tommt.
Die konzentrirteren Menschen haben schärfer ausgeprägtes Nervensystem, weniger wasserreiches Blut, strammere Muskulatur und eine mehr ausgeprägte Leber. Diese bedürfen mehr der milderen Pflanzendiät, weniger der üppig nährenden Speisen, kaum der Gewürze und garnicht der geistigen Getränke. Die verdünnteren Menschen, bei denen das Blut reicher an Wasser, die Muskulatur minder stramm, das Nervensystem nicht so bestimmt ausgeprägt und die Leber minder hervorspringend ist, können schon mit größerem Vortheil von kräftig nährenden Speisen und von Gewürzen Gebrauch machen.
Im Schatten der Civilisation werden die Instinkte krankhaft, und auf diese Art kommt es, daß Choleriker jene Lebensweise befolgen, die für Phlegmatiker paßt, und umgekehrt; daß Robuste so sich nähren, als ob sie Schwächlinge wären, und Leidenschaftliche durch ihre Diät stets Del in das Feuer gießen und immer mehr sich erhitzen, anstatt sich abzukühlen.
Nach der Profession, nach Klima und Wohnort, muß die Art der Ernährung abweichen. Ob eine Gegend stark den Winden ausgesetzt ist, ob das Klima rauh oder mild ist, ob die Profession im Freien oder in geschlossenen Räumen betrieben wird, heftige Nerven oder heftige Muskelanstrengung erfordert oder nicht, dies bedingt Abweichungen im diätetischen Regiment. Wer wollte dem Schmiede zumuthen, von Thee und Zwieback zu leben, wer glauben, daß der Kanzleischreiber ausschließlich von Bohnen zu bestehen vermöchte, ohne den Unannehmlichkeiten der Blählolit zu verfallen!
Jede den Anforderungen von Beruf, Klima und Wohnort nicht entsprechende Lebensweise wird für den Menschen zum sicheren Anlaß von Erkrankung und Verkürzung des Daseins; denn der Organismus beantwortet jeden Vorenthalt des nöthigen Ersatzstoffes mit Störung in seinem Haushalte, die um so größer wird, je mehr dauernd der ungenügende Ersatz der verbrauchten Materien zur Geltung kommt.
Der Umsatz der Gebilde im leiblichen Haushalt steigert sich mit Zunahme der Rauheit des Himmels. Aus dieser Quelle entspringt die Vieleſserei ebenso, wie die massenhafte Fettaufnahme im Norden, und die Mäßigkeit und Genügsamkeit im Süden. Wer dem Nordländer einen Vorwurf aus der Vielesserei macht, ist hierzu nur dann berechtigt, wenn er gegen wirkliche Ausschreitung kämpft; das rauhe Klima bestimmt den Bewohner der | mitternächtigen Gegenden, größere Stoffmengen sich einzuverleiben. Was immer der Mensch für ein Handwerk treibe, er suche so viel als möglich Ordnung zu halten in seinen Mahlzeiten, und dieselben stets nach sorgfältigster Waschung seiner Hände und des Gesichts einzunehmen. Anders können die schädlichen und giftigen Stoffe, mit denen in so vielen Gewerben hantirt wird, leicht den Speisen sich beimengen und sodann die verhängnißvollsten Wirkungen ausüben.
Ueber die Geseke , denen der Fortschritt der Civilisation unterworfen ist*).
Nachdem man allmählich zu der Erkenntniß gelangt ist, daß| ,, alle Menschen gleich geboren, sind ein adelig' Geschlecht", bemüht man sich, die Einflüsse und Gesetze, denen die Menschheit in ihrem Entwicklungs- und Bildungsgange unterworfen ist, nachzuweisen und zu studiren. Dieses Beginnen führte zu der einfachen, grundlegenden Frage: Sind die Handlungen der Menschen und folglich auch der Gesellschaft bestimmten Gesezen unterworfen, oder sind sie das Ergebniß entweder des Zufalls oder einer übernatürlichen Einwirkung?
Ein völlig unwissendes Volk betrachtet jede Begebenheit für sich und vereinzelt und blos als das Ergebniß eines blinden Bufalls. Diese Auffassung wird aber bald durch die Ausdehnung der Erfahrung geschwächt werden, welche die gleichmäßige Folge und das gleichmäßige Dasein in der Natur fortwährend nach weist. Wenn z. B. wandernde Stämme nur von Jagd und Fischerei lebten, so könnten sie wohl glauben, daß ihre Lebensbedürfnisse sich ihnen durch Zufall darböten. Die Unregelmäßig keit ihrer Ausbeute und die scheinbare Launenhaftigkeit, wenn ihr Fang bald reich, bald spärlich ausfällt, würde sie daran ver
hindern, irgend etwas wie Methode in den Einrichtungen der Natur zu vermuthen und ihr Geist das Dasein jener allgemeinen Prinzipien gar nicht begreifen, wodurch die Begebenheiten geordnet und beherrscht werden und durch deren Kenntniß wir oft ihren fünftigen Verlauf vorherzusagen im Stande sind. Wenn aber diese Stämme sich zum Ackerbau erheben, machen sie zum erstenmal von einer Nahrung Gebrauch, die durch ihre eigene Thätigkeit hervorgebracht wird. Was sie säen, ernten sie auch. Sie sehen einen bestimmten Plan und eine gleiche regelmäßige Folge in der Beziehung ihrer Aussaat zu dem gereiften Korn; zum erstenmale dämmert dem Geiste eine schwache Vorstellung von dem, was eine spätere Zeit die Geseze der Natur nennt. Wie ihre Beobachtung sich bereichert, ihre Erfahrung sich über ein gewisses Gebiet ausdehnt, begegnet ihnen eine Gleichmäßigkeit, deren Dasein sie nie vermuthet und deren Entdeckung jenen Glauben an den Zufall schwächt, von dem sie ausgegangen. Ein wenig weiter vorwärts und es erzeugt sich ein Geschmack am Denken; einige wenige verallgemeinern die gemachten Beobachtungen und glauben, im Widerspruch mit den alten Vor
*) Diese Arbeit ist im wesentlichen ein Auszug aus den ersten Kapiteln der epochemachenden ,, Geschichte der Civilisation in England" von H. Th. Buckle. Da der Umfang und der Preis des Originalwerkes seiner größeren Verbreitung hinderlich im Wege stehen, glaube ich vielen Lesern der ,, N. W. " mit diesem Auszug einen Dienst zu erweisen.
C. Fehleisen.