erreicht, die nicht hinter der zurücksteht, welche die blühendsten alten Reiche besaßen. In den fruchtbaren Ebenen Südasiens gelangten diese barbarischen Stämme zuerst zu einem gewissen Grade von Bildung, erzeugten sie eine nationale Literatur und organisirten eine Staatsverfassung; nichts von alledem hatten sie in ihrer Heimath erreichen können.

Ebenso sind die Araber in ihrer Heimath wegen der Dürre des Bodens immer ein rohes, ungebildetes Volk geblieben; denn in ihrem Falle und so überall ist große Unwissenheit die Frucht großer Armuth. Aber im 7. Jahrhundert eroberten sie Persien , im 8. den besten Theil Spaniens , im 9. fast ganz Indien . So­wie sie sich in ihren neuen Niederlassungen eingerichtet hatten, schien ihr Charakter eine große Veränderung zu erleiden; wäh­rend sie in ihrer Heimath nicht viel mehr als herumstreifende Hirten waren, konnten sie in ihren neuen Wohnsitzen Reichthum ansammeln und daher einige Fortschritte in den Künsten der Zivilisation machen; sie wurden die Gründer mächtiger Reiche, bauten Städte, stifteten Schulen, sammelten Bibliotheken und die Spuren ihrer Kultur sind noch in Cordova, Bagdad und Delhi zu sehen.

Im Osten der endlosen Sandwüste Afrikas fließt der Nil; seine austretenden Gewässer bedecken den Sand mit fetten An schwemmungen, welche der Arbeit reichen Ertrag gewähren; die Folge war, daß hier bald Reichthümer angesammelt wurden und daß dieser schmale Streifen Landes der Sitz der ägyptischen Zivilisation wurde.

Diese Betrachtungen beweisen, daß die Fruchtbarkeit des Bo­dens diejenige Ursache war, welche in der alten Welt den größ ten Einfluß auf die Zivilisation ausübte; in Europa dagegen war die andere große Ursache, das Klima, mächtiger und dem entsprechend auch die Wirkung eine andere. Allem Fortschritt

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muß Ansammlung von Reichthum vorangehen; in Asien und Afrika war die Bedingung dazu ein fruchtbarer Boden, der reich­lichen Ertrag gab, in Europa veranlaßte ein glücklicheres Klima eine erfolgreichere Arbeit. Nun hängt aber der einzige, wahr­haftige Fortschritt nicht allein von dem Reichthum der Natur, sondern vielmehr von der durch das Klima bedingten Thatkraft des Menschen ab. Deshalb hat die ursprünglich von dem Klima bestimmte Zivilisation von Europa eine Entwicklungsfähigkeit gezeigt, die den Zivilisationen unbekannt ist, welche ihren Ur­sprung dem Boden verdankten. Denn die Naturkräfte sind trotz ihrer Großartigkeit beschränkt und stationär, wir haben nicht den geringsten Beweis, daß sie jemals zugenommen haben oder je zunehmen werden. Aber die Kräfte des Menschen sind einer unbegrenzten Entwicklung fähig und da diese Fähigkeit, seine eigenen Hülfsmittel zu vermehren, eine Eigenthümlichkeit des menschlichen Geistes ist, so ist klar, daß das Klima, welches dem Menschen dadurch Reichthum gibt, daß es ihn zur Arbeit an­treibt, günstiger auf seinen Fortschritt einwirken muß, als der Bo­den, welcher ihm zwar auch Reichthum gewährt, aber nicht durch Aufstachelung seiner Thatkraft, sondern lediglich vermöge des natürlichen Verhältnisses zwischen der Bodenbeschaffenheit und der Menge oder dem Werthe des Produkts, welches der Boden eigentlich freiwillig gewährt. Nachdem der Reichthum hervor­gebracht ist, entsteht die Frage, in welchem Verhältniß er den einzelnen Klassen zukommen soll; auf einer vorgerückten Stufe der Gesellschaft hängt dies von einer Menge verwickelter Um­stände ab, deren Erörterung nicht hierher gehört, aber auf einer früheren Stufe, ehe die späteren feineren Verwickelungen begon­nen haben, läßt sich sehr wohl nachweisen, daß die Bertheilung des Reichthums, wie seine Hervorbringung, gänzlich unter natür­lichen Gesetzen steht. ( Fortsegung folgt.)

Irrfahrten.

Von Ludwig Rosenberg. ( Fortsetzung.)

Theuerste Seele! Die religiöse Wandlung ist bei mir langsam und ruhig vor sich gegangen. Kaum merkte ich etwas davon. Was bei anderen Menschen fast nur unter gewaltigen Gährungen und Aufregungen durchdringt, kam mir nach und nach unmerklich zum Bewußtsein. Studium von Werken, eigne Betrachtungen und fortwährende Unterhaltungen haben mir das Abstreifen unnügen Ballastes höchst natürlich und nothwendig erscheinen lassen. Ich bin zwar in manchen Punkten, in den letzten, wichtigen Fragen noch nicht recht im klaren, doch gebe ich mich der Hoffnung hin, daß die Bewältigung derselben nur von emsigem Fleiß und von der Zeit abhängen werde. Du wirst Dir wohl vorstellen können, welch' unbezahlbares Vergnügen ich genieße, wenn ich so recht tief in Spekulationen mich versenke; bei jedem Schritt löst sich von dem alten Bruch ein morsches Steinchen ab, wird es mir leichter, wohler, friedreicher im Herzen. Die neue Weltanschauung, der ich soeben angefangen habe zu huldigen, eröffnet mir mächtige, überwältigende Perspektiven. Oft gerathe ich in eine Art Verzückung, wenn sich das fruchtbare. Gebiet in seiner ganzen Ausdehnung vor mir aufthut. Dann bin ich glücklich, und niemand kann dieses Gefühl mitempfinden. Wie schade! Mit einem Schlage bin ich so aus allem Glaubens dunkel verflossener Jahre gerissen. Erst jetzt habe ich Dich ver­standen, als Du einmal schriebst: Du mußt Dir eine feste Basis für Deine Weltanschauung herstellen, die Dich bei keinem Schritt zum Wanken bringt, deren Quadersteine aus ewiggiltigen Vernunft­säten zusammengesetzt sind." Ich habe sie gefunden, Theuerster! Alles, was ich mit meiner Vernunft nicht fassen kann, ist für mich nicht da! Alle Formen im menschlichen Leben sind Pro­dukte geschichtlicher Entwicklung. Gedanke baut sich auf Gedanke. Und die Entwicklung kann man deutlich erkennen. Es gibt keinen Abschluß der Gedanken, keinen Abschluß der Formen. Ein Thor der, der ein Dogma aufstellt für ewige Zeiten! Und wie be­dauernswerth sind alle die Menschen, die Anfang und Ende aller Weisheit in der Bibel zu erblicken glauben, die auf die Bibel schwören, als wäre deren Inhalt der Ausfluß einer überirdischen Offenbarung! Kindliche Seelen sind es, die Märchen von Wunder­thaten zujauchzen und so ihren Verstand in Schlaf singen! Wecke sie aus diesem traumvollen Schlummer, und sie begegnen Dir

wie jedes Kind mit bösen, widerwärtigen Launen! Sie wünschen weiter zu schlafen. Die süße Gewohnheit ist ihre treue Amme!" Nach diesen wenigen Bemerkungen noch schnell ein paar Fakta! Unter Beibringung eines ärztlichen Attestes bat ich die Direktion um Verlängerung des Urlaubs. Wir fühlen uns nicht ver­anlaßt," schrieb sie nach alter Weise, Ihrem Gesuch zu ent­sprechen, und müssen Ihnen hiermit fündigen, wenn Sie zur Aufnahme des Dienstes noch nicht im stande sein sollten. Ihren Gehalt bewilligen wir Ihnen noch für drei Monate und bedingen uns umgehenden Entscheid." Damit sind also die Würfel ge­fallen! Was thut es? Ich gehe und werde schon nicht ver­hungern. Ich nahm vor einigen Tagen eine Lehrerſtelle an, der ich nun mit vieler Lust und Freiheit vorstehe. Sie gewährt mir soviel Verdienst, daß ich vorläufig wohl keine Noth leiden werde. Mit meiner Gesundheit geht es bergan. Noch einige Wochen und ich bin wieder der Alte! Mit vollen Segeln hoffnungsvoll zu Meer!

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Noch immer nicht die Feengestalt erspäht! Ich spüre ein Verlangen, mit einem mir sympathischen Wesen zu verkehren, und da ich bis jetzt keines gefunden, fühle ich mich zeitweise ziemlich einsam. Ein wie seltsames Ding ist doch das menschliche Herz!

Frau Sander bat mich, mit ihr eine Kindtaufe zu besuchen, deren Veranstalter ihr eng befreundet wären und die mich mit Vergnügen in ihren Kreis aufnehmen würden. Ich sagte ihr schließlich zu, und ein paar Stunden später saß ich in einem fröhlichen Kreis von Menschen, deren Freude, wie es mir schien, wohl zumeist der reichbesetzten Tafel zugeschrieben werden mußte. Die Taufe sollte im Hause selbst stattfinden. Gleich nach unsrer Ankunft fand sich auch der Pfarrer ein, worauf sich die Tauf­formalitäten in behäbiger Ruhe abwickelten. Ich hatte während des ganzen Ceremoniells so meine Gedanken! Da lag der Täufling, still und friedlich eingeschachtelt in weiße Tücher, schlafend und lächelnd, das Bild der Sorglosigkeit, der Unschuld und gewiß des Unbewußtseins. Davor sprach man fromme, andäch­tige Worte, sprach man Segenssprüche, spreute Wassertropfen aus und hoffte so den heiligen Geist in den Körper des Säuglings übergehen zu lassen! Heiliger Geist?- Ein schönes Wort,

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