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man die rechte Lendengegend, so scharrt der Hypnotisirte mit dem rechten Bein, streicht man die linke, so tritt an dem linken Bein dieselbe Erscheinung auf. Diese vergleichenden Beobachtungen lassen eine Art der Bewegungserscheinungen in einem neuen Lichte erscheinen. Die Physiologie hat nämlich nachgewiesen, daß das Großhirn das Organ aller mit Bewußtsein verbundenen Ver­richtungen ist, daß also im Großhirn jener schon besprochene Vorgang stattfindet, der die von außen eintretende Erregung in Empfindung umwandelt und hierdurch gleichzeitig die den Empfin­dungen entsprechenden Bewegungen veranlaßt. Außer diesen durch das Großhirn vermittelten, willkürlichen Thätigkeiten gibt es aber noch eine Reihe von Bewegungserscheinungen, welche direkt durch lebertragung des Reizes der erregbaren Nerven auf die ent sprechenden Bewegungsnervenknoten vermittelt werden, ohne daß das Bewußtsein, das Großhirn, in Thätigkeit tritt. Man nennt sie Reflexerscheinungen. Wird z. B. durch hineingelangenden Staub die Schleimhaut des Kehlkopfes oder der Nase oder auch die Bindehaut des Auges gereizt, so macht die Schleimhaut Bewegungen, um den fremden Körper auszustoßen, wir husten oder niesen oder schließen das Auge. Diese Reflexbewegungen geschehen, ohne daß wir es wollen, also ohne das Großhirn; sie können aber durch dasselbe, durch den Willen, theilweise unter­drückt werden, wie jedermann weiß, daß man einen Husten- oder Niesausbruch zeitweilig verhindern kann. Ueberhaupt wirkt die Thätigkeit des Großhirns herabseßend auf die Reflexerregbarkeit; diese tritt daher stärker auf, sobald das Großhirn außer Funktion getreten ist, so im Schlaf und bei einigen Krankheiten des Hirns. Das Quaken des ohne Großhirn lebenden Frosches ist daher eine Reflexbewegung, das Scharren mit dem Bein bei dem auf oben beschriebene Weise vivisezirten Hunde ist ebenfalls eine durch den äußeren Reiz des Streichens unmittelbar hervorgerufene, nicht durch bewußte Vorstellung gewollte Reflerbewegung. Das auto­matische Nachsprechen der Hypnotisirten ist also ebenfalls eine Reflexerscheinung, folglich ist in ihnen das Großhirn nicht in Thätigkeit. Allerdings ist es noch nicht genau festgestellt, ob wirklich eine völlige Lähmung des Großhirns oder vielleicht nur ein solcher, Torpor genannter, Zustand in der äußeren, sogenanten grauen Hirnrinde vorliegt, was besonders für schwächere Grade des Reflexzustandes wahrscheinlich ist.

Heidenhain zeigte noch ein weiteres interessantes Phänomen, welches diesen Ansichten zur Stüße dient. Hansen hatte an­gegeben, daß gewisse Medien, wenn man gegen ihre Brust- oder Magengegend spricht, bestimmte Antworten geben, eine Behaup­tung, auf der ja schließlich das Wesen des Somnambulismus und Hellsehens beruht. Heidenhain fand nun selbstverständlich nicht, daß die Versuchspersonen etwa Fragen beantworten, aber er bemerkte, daß durch Reizung gewisser Stellen in der Magen­gegend der nachahmende Sprechapparat in Thätigkeit versetzt wird. Mittels eines Sprachrohrs, durch welches er seine Worte auf genau begrenzte Orte richten konnte, suchte er die besonders erreg baren Bezirke auf, und es zeigte sich, daß zu der Magenregion noch die hintere Rachenwand und der Kehlkopf hinzutreten. Wurden Stimmgabeln, welche in Schwingung versetzt waren, an diesen Orten aufgestellt, so gab das Objekt einen summenden Ton an. Diese reizbaren Bezirke werden nun von einem Nerven versorgt, den die Anatomie Nervus vagus ( herumschweifenden Lungen­magennery) nennt; er geht von dem verlängerten Mark aus und liefert Aeste, die nach dem Schlund und Kehlkopf, Herz, Lungen, Speiseröhren und Magen sich verzweigen. Heidenhain ist nun der Ansicht, daß die durch das Ohr wahrgenommenen Schall­eindrücke vermittels dieses Nerven im Erregungszustande auf den Sprechapparat reflektorisch übertragen werden. Es bleibt das noch weiter zu beweisen, Thatsache ist jedoch, daß dieser Nerv besonders erregbar wird, und da man, ebenfalls durch Thier­versuche von Golz, weiß, daß bei heftiger Reizung des Nervus

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vagus, z. B. durch Klopfen auf den Bauch, die Herzthätigkeit in Stillstand gerathen kann, so ist das Bedenken, daß bei den hansen'schen Experimenten eine Herzlähmung eintreten könnte, völlig gerechtfertigt.

Außer den Nachahmungs- und den Reflexbewegungen treten aber an Hypnotisirten noch eine Reihe anderer interessanter und wichtiger Erscheinungen auf. Erstens wird die Schmerzempfindung bei der Mehrzahl herabgedrückt( bei einigen wird sie in hohem Grade gesteigert). Die Schmerzlosigkeit ist für den Zuschauer besonders frappant, und Hansen unterließ es nie, seinen Medien eine Stecknadel bis zum Knopfe in die Hand zu senken, ohne daß der Betreffende etwas merkte, wie Verfasser an sich selbst überzeugt wurde.

Ferner zeigt sich aber noch, daß alle Muskeln, welche reflek­torisch erregt werden, längere Zeit in diesem Zustande verharren. Streicht man bei einem normalen Menschen leise über die Haut, so erfolgt reflektorisch eine schnelle Zusammenziehung der Muskeln, die aber bald vorübergeht; bei den Hypnotischen aber bleiben dieselben auf längere Zeit zusammengezogen, es tritt ein starr­trampfartiger Zustand ein, welcher sich auf den ganzen Körper erstrecken und diesen steif machen kann. Streicht man einem Hypnotisirten über die geballte Hand, so tritt sofort Krampf ein und die Hand kann nicht geöffnet werden; ebenso verhält es sich mit dem Hansen'schen Experiment des Schließens der Augen und der Zähne. Dieser Starrkrampf ist ähnlich dem bei einer gewissen, jedoch wenig genau studirten, seltenen Krankheit auftretenden, bei der Katalepsie, und Heidenhain hält dafür, daß der hypnotische Zustand nichts weiter ist, als eine künstlich erzeugte Katalepsie. Durch kräftige Hautreize, so durch das Anblasen, das Hansen anwendet, wird sie geschwächt, aber keineswegs beseitigt, denn es wurde festgestellt, daß hypnotisirte Personen noch nach mehreren Tagen äußerst leicht kataleptisch erregbar sind. Der Starrkrampf ist die Ursache, daß Hansen seine Medien in jede beliebige Stellung bannen kann, sobald er wiederholt die Körpertheile leicht streicht, und hierauf beruht auch das so bewunderte Experiment, daß ein in diesem Zustande mit Kopf und Füßen auf zwei Stühlen frei ruhender Mensch, mag er noch so schwächlich sein, das Körper­gewicht des Herrn Hansen ohne jede Druckempfindung aushält, was ebenfalls der Verfasser an sich selbst beobachten konnte.

Ein anderes wichtiges Faktum wurde von Berger gefunden, nämlich, daß man ein Objekt aus einem gesunden, normalen Schlaf in den hypnotischen Zustand überführen kann. Wenn die Versuchspersonen in tiefen Schlaf versunken dalagen, näherte er sich ihrem Bett, legte die Hand auf ihre Stirn, und nach zwei bis drei Minuten war ein tataleptischer Zustand eingetreten. Dasselbe erreichte er durch erwärmte Platten, welche er über dem Haupte des Objekts anbrachte. Auch hier ist die Ursache der Erscheinung die Erregung der Reflexthätigkeit, welche im Schlafe besonders stark geweckt werden kann, da ja, wie wir oben zeigten, in ihm das Großhirn, das eine hemmende Thätigkeit ausüben könnte, in Ruhe ist. Ausgedehnte Untersuchungen dieser neuen Beobachtung werden vielleicht noch einiges Licht werfen auf die Entstehung des Schlafwandelns.

Hansens unbekannte Wirkung, sowie eine große Reihe der früher einem thierischen Magnetismus zugeschriebenen Erschei­nungen brauchen also zu ihrer Erklärung nicht die Annahme einer neuen Naturkraft; mehrere gleichzeitige Umstände bewirken jene Nachahmebewegungen, reflektorischen Sprachbewegungen und den Starrkrampf. Weitere Beobachtungen, welche mit gleich kritischer Schärfe und experimentellem Geschick ausgeführt würden, wie die beschriebenen, werden die noch dunklen Thatsachen völlig aufklären und den thierischen Magnetismus endgiltig in das Fabelgebiet verweisen.

Vorläufig ist allerdings erst der Anfang gemacht, aber wenn wir wissen, werden wir auch erkennen.

Ueber die Gesetze, denen der Fortschritt der Civilisation unterworfen ist.

( Fortsetzung.)

Werfen wir einen Blick auf die neue Welt, so finden wir in den Theilen, welche vor Ankunft der Europäer in gewissem Grade civilisirt waren, ganz ähnliche Verhältnisse: eine höchst ungleiche Vertheilung von Reichthum und Pracht. Prächtige Tempel und Paläste bezeugen uns die Macht der Priester und des Adels,

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während, wie gewöhnlich, keine Spur von den Hütten übrig ge­blieben ist, in denen die Masse des Volkes lebte.

Auffallend ist, daß in dem von der Natur so bevorzugten Brasilien nicht die geringsten Spuren einer Civilisation zu finden sind und doch ist dieses Land mit einer üppigen Vegetation geseg­