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Entschieden nicht ohne Absicht läßt uns der Baron wiederholt allein, der reiche Schwiegersohn Waldenau wäre ihm schon recht. Wüßte er, wie dankbar ich ihm bin für jede Minute des Alleinseins mit Melanie, obgleich unsere Unterhaltung nie um eines Härchens Breite von einem Gespräch abweicht, das alle Welt zum Zeugen haben könnte. Sie hat offen ihre Freude über meine körperliche und geistige Frische ausgesprochen, aber als ich die Gelegenheit benußen und von meinen Gefühlen reden wollte, lenkte sie auf ein anderes Thema, und wiederum sah ich jenen Ausdruck der Besorgniß ihre Stirn beschatten, wenn sie eine Erklärung fürchten, eine andere Liebe ihr Herz füllen sollte Ich mag nicht denken!

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Sie sprach von meinem Sohne, seiner Gattin; ich schilderte unser Verhältniß, wie es ist, ungeheuchelt, ungeschminkt, sie schien mit Theilnahme meinem Bericht zu folgen. Des Urtheils enthielt sie sich, aber nicht mir, dem warm, vielleicht zu warm. Fühlenden schien sie die Schuld beizumessen, daß die Kette, die Vater und Sohn verbindet, loser geknüpft, als die Natur es mit sich bringen sollte.

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Natur, Band der Natur, Stimme der Natur, habe ich ein Recht, den geheiligten Namen, wenn er wirklich den Begriff der Wahrheit in sich schließt, zu profaniren, der wider ihn zu sündigen im Begriff, der mit Wollust einschlürft der Sünde süßes Gift? Ich thu's, ich thu's, ist Natur Wahrheit, wird sie sich zu rächen wissen, ich bin darauf gefaßt.

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Acht Tage sind verstrichen, jeder führte mich nach Wolfs­ hagen ; mein treuer Bernhardt macht mir Vorwürfe, daß ich mich nicht um des Hauses geschäftliche Angelegenheiten fümmere. In folge der durch Anschaffung der neuen Maschine billiger als andere Fabriken zu liefernden Ausführung laufen die Aufträge massenhaft ein. Bernhardt kann die obere Leitung kaum be­wältigen. Er scheint traurig und etwas auf dem Herzen zu haben, ich kann mir denken, was, der Respekt verbietet ihm, sich zu äußern. Mein lieber, alter Freund, nur jetzt nichts vom Geschäft, nur jetzt nicht.

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Er geht unbefriedigt, ich kann ihm nicht helfen; ich möchte gern eine Welt beglücken, andern Freude bereiten, nur soll man mich mir selber überlassen, bis alles entschieden, es wird, es muß; die Frucht ist überreif, sie muß gebrochen werden oder

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verdorren.

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Ich denke eben daran, seit lange habe ich nichts von Frankenthal gehört. Er soll eine Freude haben. Ich stelle seinem Sohne die Maschine zur genauen Kenntnißnahme zur Disposition. Neulich kam in Melanies Gegenwart die Rede auf Vater und Sohn. Ich glaubte, eine Bewegung bei ihr zu spüren; auch sie erzählte von öfterer Begegnung, sie sprach so anerkennend, so warm. Mein Blut kochte, es muß zu Ende kommen, heute noch!-

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Mein alter Jakob bringt mir Kunde von dem Resultat der Untersuchung, die gegen den Schrecken der Gegend, den schwarzen Wolf, eingeleitet. Man hat nichts Gravirendes entdecken können und ihn entlassen müssen. Nun hat der Bursche die Gegend verlassen und geschworen, er werde wiederkommen und eine That ausüben, die seinen Namen berühmt machen und den Richtern Kopfzerbrechen schaffen solle. Man wird ihm zu begegnen wissen. Jakob bringt mir einen Brief meines Herbert. Er ist ge­wohnt, daß ich die Briefe meines Sohnes, den er auf seinen Armen gewiegt, in seiner Gegenwart öffne und für ihn Passendes aus seinem Inhalt mittheile. Auch heute machte er sich in meinem Zimmer zu schaffen.

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Ich brach das Couvert; der Brief war lakonisch, wie immer, jeder Buchstabe hatte sein Recht, wie jedes Wort, jeder Punkt an Ort und Stelle, wohlerwogen jeder Gedanke. Es war, ats ob ein Eishauch mich durchriesele. Der Schluß des Schrei­bens schien in etwas erregterer Stimmung geschrieben, allein die Bewegung entsprang einer kaum ernsten Weißbilligung meines letzten Schreibens. Ob das Herz bei seiner Abfassung im Ein­fluß der neuen, überwältigenden Gefühle der Hand diktirt? Herbert ahnte, ob unberufene Einmischung ihm ins Ohr ge­blasen? Seine Zeilen enthielten so seltsame, ja verlegende An­spielungen, daß ich, ohne die Lektüre zu beenden, den Brief zur Seite warf.

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Das fehlte noch!" Ich hörte deutlich diese Worte über Jakobs Lippen kommen.

Ich fuhr empor. Was?" fragte ich kurz.

,, Daß die unselige Leidenschaft, von der Stadt und Land voll, noch vollends das Band zwischen Vater und Sohn zerreißt. Herr Ehrenfried, Herr Ehrenfried, was soll daraus werden?"

Ich fühlte, wie glühende Nöthe mein Antlitz bedeckte. Soweit war es schon gekommen, daß mein Diener sich berechtigt glaubte, über meine Gefühle nach seiner besten Einsicht richten zu wollen. Erst der eigene Sohn, dann der Diener, der ein Echo der Welt, Stadt und Land sagt es, Stadt und Land.

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Er wollte mich ja selber noch als Ehemann sehen; freilich, wie ich's verstehe, tann's keinem passen; die gesetzte Wittwe, die Altjungfer, die meine Strümpfe strickt und mich mit ihren poeti­schen Ergüssen in den Schlaf liest, das hätte jeder vernünftig gefunden, das hätte die Welt gefreut, die liebe, theilnehmende Welt, alt zu alt, jung zu jung, Jahre zu Jahren; aber so Stadt und Land spricht davon.

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Wider die Natur, ich nehme ihn auf, den Kampf auf Tod und Leben, noch heute werbe ich um Melanies Hand,- nicht bei dem Vater, das dünkte mir Entweihung der tiesinnersten Handlung meines Daseins, sie selber soll entscheiden. Jakob schien erstaunt, mich nicht in Hize gerathen zu sehen, wie es sonst wohl meine Weise. Ich blickte ihn an und lächelte. Ein jüngerer, Diener trat ein und überhob mich des weiteren. Er meldete den älteren Frankenthal . Sein Besuch ersparte mir den beabsichtigten Brief; ich empfing ihn.

Des Eintretenden Miene schien mir verdüstert und sorgenvoll, augenscheinlich drückte ihn etwas. Auf meinen Wink entfernte sich Jakob sofort, und freundlich ihn zum Sizen nöthigend, bot ich ihm meinen Beistand an, falls er einer Hülfe bedürfe.

Ich nehme Sie beim Wort," erwiderte Frankenthal ,,, ja, ich brauche Ihren Beistand; er wird Ihnen freilich ein Opfer kosten." Disponiren Sie," rief ich, einem alten Jugendfreunde Seelenruhe zu verschaffen, ist mir keines zu hoch."

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Frankenthal seufzte. Wer weiß," sagte er. Wollen Sie mir meinen Sohn wiedergeben, so gut, so vertrauend auf eigene Kraft, so ungebrochen, wie noch vor kurzer Zeit, da ich Ihnen Oswald vorstellte?"

Was ist mit Ihrem Sohne geschehen?" fragte ich. Noch eben beschäftigte ich mich in Gedanken mit ihm und mit Ihnen. Die Maschine entspricht der Erwartung. Ich stelle das System zu seiner Disposition. Nachahmer werden nicht ausbleiben. Ihnen zuvorzukommen, sei Ihres Oswalds Aufgabe. Die Fabrik steht ihm offen, Bernhardt wird den Schlüssel zum Raum, der das gut verwahrte Kleinod birgt, zu seiner Disposition stellen."

,, Nicht um materiellen Vortheil handelt es sich," rief Frankenthal fast unwillig, obwohl mich Ihr Vorschlag unter anderen Um­Ein ständen heute beglücken würde, wie es bereits geschehen. anderes führt mich hierher, zu Ihnen, dem alten Freunde. Waldenau, seit einiger Zeit sind Sie ein ständiger Gast auf Wolfshagen , dem Besitz des verrufenen Freiherrn von der Hellen. Allgemein heißt es, der Kommerzrath Waldenau habe das Gut zu fabelhaftem Preise erstanden, die Schulden des Barons seien geordnet, ja, man sagt mehr"

Ich blickte dem Stockenden fest ins Auge. Herr Frankenthal."

Sprechen Sie aus,

Meine Kälte schien ihm Fassung zu geben. Sie fragen, was mich es fümmert, wenn ein Mann Ihres Alters, selbst Vater, in unseliger Leidenschaft zu einem Mädchen erglüht, das dem Alter nach seine Tochter sein könnte? Ich verschmähte es von jeher, mich zum Echo der Menge zu machen, für seine Thaten trägt der Mensch den Richter in sich, sein Urtheil kommt, früher, später, aber unausbleiblich. Nicht auf Freundesrecht pochend, würde ich mir erlauben, zu Ihnen zu reden, wie es geschieht, ich will hoffen, zur guten Stunde. Nicht warnend, bittend komme ich zu Ihnen, bittend unter Thränen: entsagen Sie dem Taumel der Leidenschaft, der Sie umfängt, eines jungen, hoffnungsvollen Daseins halber, dessen reinste Blüthen, die zu segenbringendem, reinsten Lorbeer ersprießen könnten, durch Sie verdorren würden. Widerlegen Sie das Gerücht, Sie, der Fünfziger, werbe um die Hand Melanies von der Hellen."

Die Gewißheit einer längstgehegten Ahnung schoß mir wie ein Geißelhieb der Eumeniden durch die Seele; ein Schauer durchrann mein Blut. Kaum bezwang ich mich.

" Ihr Sohn liebt die Baronesse von der Hellen?" fragte ich. ,, Kommen Sie etwa in seinem Auftrag?"

Nicht ohne Würde antwortete Frankenthal : Kein Auftrag, der Oswald, wie mich selber erniedrigen würde, führt mich zu Ihnen. Sie fragten mich neulich, als ich von einer Veränderung