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werth ein Mensch ist, der die Schönheit um sich hat, wenn er für sich, für die Seinen, für das Wohl des Volkes seine Hände und seine Sinne regt. Schon als ich Elisabeth zum erstenmale sah, erkannte ich sie als ein schönes, ein geistreiches, gemüthvolles Mädchen! Aber eine Frau ist nichts außerhalb des Hauses. Man muß sie zwischen ihren eignen Wänden belauschen, sorgen, arbeiten sehen, sprechen hören. In ihrem Heim, da ist die Frau erst Frau. Du müßtest Elisabeth in ihren bescheidenen Räumlichkeiten sehen und du würdest ganz meine Verehrung für sie begreifen. Ganz im Stillen aber! Beileibe nicht prable­risch, auffällig, dreist. Ich verehre mit Blicken. Diese stumme Sprache ist die geeignetste, die einzig erschöpfende. Das Wort ist plump. Nur der Blick entbehrt des grob Sinnlichen, und der Blick allein ist rein, wenn der Mensch nur rein denkt. Ich habe mich an Elisabeth so gewöhnt, wie an eine Schwester; ich verheimliche ihr nichts, sie nichts mir. Wie das gekommen? Jch ging eines Tages auf der Straße, darüber sinnend, wie ich am besten und ohne Ostentation Elisabeth sehen und mit ihr sprechen könne, als ich plötzlich meinen Namen nennen hörte. Als ich erschreckt aufsah, stand sie vor mir. Schon seit Monaten hier und Sie haben uns noch nicht besucht!" rief sie fast vorwurfsvoll. Neulich rannten Sie an mir vorüber und ich war nahe daran, zu denken, Sie hätten mich absichtlich nicht gesehen!" Ich entschuldigte mich. Ich sagte ihr offenherzig, meine bescheidene Stellung hätte mir den Zwang des Nichtbesuchens auferlegt. Mein Stolz duldete es nicht, mich ihrer Familie als eine unbedutende Schreiberseele vorzustellen u. s. tv. ,, Unsinn, Unsinn!" rief sie ,,, Un­sinn!" Und dabei lachte sie und versicherte mich, daß ihre Eltern schon von meiner Anwesenheit wüßten und durchaus keine engherzigen, kleinlichen Menschen seien. Ich begleitete sie bis zu ihrem Hause und seitdem bin ich bei Liebers ein gern gesehener Gast. Ich beaufsichtige dann und wann den kleinen Sohn, helfe ihm bei seinen Schularbeiten nach, bereichere durch Belehrung und Erzählungen seine geistige Welt, muntere ihn zu rastlosem Streben auf und habe so in Frau Lieber eine mütterliche Freundin gewonnen!- Herr Lieber ist ein herrlicher Mann, bescheiden, ruhig, bedachtsam; ehemaliger höherer Post­beamte, lebt er jetzt von einem kleinen Vermögen und seiner Pension, sich nebenher mit allerlei Liebhabereien aus seiner Ju­gendzeit beschäftigend. Er treibt vor allem Geschichte, ist mit allen Vorkommnissen der Politik bekannt und bringt den öffent­lichen Angelegenheiten das regste Interesse entgegen. Ich profitire viel von seiner Unterhaltung. Wer von der Politik sich ängstlich fern hält," so ist sein Ausspruch, der kommt dem Menschen gleich, der von der Kritik der Religion sich abschließt. Beide sind Philister und gehören nicht in unser Jahrhundert!" Ganz meine Ansicht.- Sonntags machen wir oft zusammen einen größeren Spaziergang. Gewöhnlich vor das Thor, wo Liebers auf einer Anhöhe einen Garten be­sigen. Dort habe ich am besten Gelegenheit, mehr und mehr die trefflichen Eigenschaften Elisabeths kennen zu lernen.- Mein neuer Freund der Chemiker tadelt zwar diese häu­fige Berstreuung, und hat im Grunde auch wohl recht, aber ist es nicht natürlich, daß ein Mensch, der endlich einen behaglichen Ort gefunden, nach des Tages Last und der Anstrengung der Studien, wo seine Seele sich erholen und erheben kann, von dieser Annehmlichkeit begierig Gebrauch macht?

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Aber, Teufel! Ich bin tief in die Plauderei gerathen, der du immer so abhold gewesen, und ich habe nun fast teinen Raum mehr, dir besseres zu schreiben. Seit kurzem habe ich mein Augenmerk auch auf die politischen Parteien geworfen und unter diesen hat die, welche man die rebellische nennt, am meisten Reiz auf mich ausgeübt.- In den Kreisen, in welchen ich bisher verkehrte, erfreut sich dieselbe zwar keines großen Respekts, aber dies scheint mir ein neuer Beweis für den Indifferentismus der wohlfituirten Klassen gegen den Zeitgeist und die Bedürfnisse der Zeit. So habe ich angefangen, die Programme der politischen Parteien zu studiren, worin mir der alte Herr Lieber mehr oder weniger behilflich ist."

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Aus dem Tagebuch.

Freimann wird mir von Tag zu Tag lieber. Wir saßen heut so in der Abenddämmerung beisammen. Nach einer kleinen Unterhaltung über unsere Studien war Stillschweigen eingetreten. ,, Sie müssen sich aus dieser Sphäre, aus diesem Scheinleben emporraffen," hatte er gesagt, Sie müssen eine Ihrer würdige

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Position einnehmen." Als Antwort erzählte ich ihm meine Lebensgeschichte, wies ihn auf die Schwierigkeiten, die sich Menschen wie mir entgegenstellen, die nichts weiter besißen, als Kopf und Hand. Am Schluß fügte ich hinzu: Ich habe schon öfters Versuche gemacht, mich empor zu bringen, aber da hörte ich dann jedesmal die Frage: Wo ist der Beweis Ihrer Be­fähigung? Welches Staatsinstitut hat Ihnen Ihre Befähigung attestirt? Sehen Sie, das ist das Zeichen unserer Zeit  .- Sie will Dressur, konzessionirte, approbirte Dressur. Nach jedem solchen Mißerfolg vergeht mir die Lust, von neuem die Erfah­rung zu machen und so mache ich die Reise an das gesteckte Ziel, langsam, gleichsam per pedes, statt mit Benußung eines schnellbefördernden Vehikels. Und dann die Moral?- Man kann doch nicht glänzende Stellen würdig nennen, wenn sie gegen die Freiheit der Seele verstoßen? Solche glänzende Stellen könnte ich bekleiden, aber dazu bin ich zu wenig Lump und zu sehr skrupulös."-Freimann antwortete nicht sogleich. Nach einer Weile erst sagte er: Sie hatten die Idee, sich auf die Journalistik zu werfen. Thun Sie dies? Senden Sie in Zeitungen vernünftige Artikel ein. Und haben Sie sich solcher Art einen Standpunkt und ein Fundament erobert, so ist Ihnen der Weg offen. Warten Sie erst, bis Sie alle philosophischen Systeme und alle Literaturgeschichten durchgeackert haben, so möchten Sie darüber das geistige Fluidum verlieren, welches Ihnen jetzt so förderlich sein kann. Sie fühlen das Rechte und das Unrechte. Geben Sie diesem Gefühle auf den verschiedensten Gebieten Ausdrnd und da unserer Zeit mehr als je die Ueber­gangsstufen zwischen Recht und Unrecht unkenntlich sind, werden Sie dem Volke nußbar sein. Zum Gelehrten fehlt Ihnen Zeit und Geld; auf Erwerb angewiesen, balanciren Sie immer zwischen Brotstudium oder Handwerk und es könnte leicht sein, daß Sie eines guten Tages doch die Freiheit des Handelns und des Willens zum Opfer bringen müßten. Der Weg, den ich Ihnen zeige und den Sie selbst zu gehen beabsichtigen, ist hart und dornenvoll; Enttäuschungen schwerer Art drohen Ihnen und bedrängen Sie überall; aber es muß Ihnen doch ein behagliches Gefühl sein, auf ihrem richtigen, eigenen Felde zu sein, als auf fremdem, wo sie gezwungen sind zur Frohnarbeit und zur Heuche­lei!" Was mir solange schon auf der Seele lag, Frei­mann hatte es mit diesen Worten getroffen. Von ihm wollte ich schon längst Rath erholen und nun hatte er selbst ihn mir gegeben. Ich drückte ihm die Hand und sagte: Sie sind mein wahrer Freund und mein Herz schlägt Ihnen dankbar entgegen.". Da lachte er laut und rief: Auf nach Valencia  !" Dann machten wir einen Feldzugsplan, besprachen die geeignetste Zei­tung und nun werde ich mich sogleich hinseßen, das Drama in Szene zu setzen. Erster Auftritt unter 100 Grad C. Hize! Das wird gut werden.

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Wir haben Ihren Aufsatz," schrieb mir heute die Freie Presse", mit Vergnügen gelesen und werden denselben mit einigen wenigen Strichen, die der Sache nur nüßen und im Interesse unseres Leserkreises geboten erscheinen, zum Abdruck bringen!"

So ist der Anfang glücklich gemacht, die Aussichten sind günstig und ein sanfter Wind treibt mein Lebensschiff auf das offene Meer! Wie mich die Nachricht erfreute! Ich bin heute lustig wie ein kleines Kind. Vier Wochen später.

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,, Wie können Sie nur etwas in der Freien Presse" drucken lassen?" rief mir diesen Morgen ein Bekannter entgegen. Das Blatt zahlt Ihnen ja nichts, Sie schreiben umsonst und überdem sollten Sie wegen Ihres Fortkommens behutsamer und praktischer sein. Für wen schreiben Sie?" frug er verächtlich, aber ich unterbrach ihn plößlich in seiner Rede und rief: Für mich, für mich und für das Volk!" ,, Dabei verhungern Sie," entgegnete der Mann. Doch nicht," gab ich zurück, dafür habe ich zwei Hände, Muth und freudige Lust. Der Mensch, der nichts zu opfern im Stande ist, entbehrt bei mir des Nimbus von Edelmuth und Größe. Ich will mir selbst in der Tiefe der Seele genügen und da frage ich nach einigen Lumpenpfennigen ,, Würden Sie Ihre Feder aber einer anderen Zeitung leihen," er nannte mir einen Namen, so würden Sie zu größerem und besserem Schaffen befähigt sein; jetzt bah, gehen Sie, der Mensch muß praktisch sein!" Was der Bekannte mir sagte, hatte ich schon öfters seit dem Tage, wo mein erster Artikel erschien, hören müssen. Die meisten be­dauerten, daß ich mich mit einer Zeitung mit ausgesprochen und wahrhaft freisinniger Tendenz liirt habe und einer, der es gut

nicht!"